Kritik zu Amsel im Brombeerstrauch

© eksystent Filmverleih

Elene Naveriani erzählt in ihrem zärtlich-skurrilen Film vom sinnlichen Erleben einer älteren Frau, die sich von den Erwartungen der patriarchalen Gesellschaft befreit

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Das Leben in dem georgischen Dorf scheint in zwei voneinander getrennten Sphären zu verlaufen: In der einen trinken die Frauen abends auf der Veranda Tee, manchmal auch ein Likörchen, zu dem sie sich ebenfalls in Ausnahmen ein Stückchen Torte gönnen. Ihre Einkäufe erledigen sie im örtlichen Krämerladen »Schönheit & Komfort – nur für Sie«, in den sich tatsächlich nur selten ein Mann verirrt. Einer fragt einmal nach Kondomen, was eine der vielen hintergründigen Szenen ist. Ansonsten spart Elene Naveriani die Sphäre der Männer in ihrem zärtlich-skurrilen »Amsel im Brombeerstrauch« größtenteils aus. Der Film dreht sich ganz um Etero, die alleinstehende, kinderlose Hauptfigur, die den Laden »nur für Sie« führt, eine weitere dieser absurd anmutenden Begebenheiten des Films.

Naveriani lässt den Film fantastisch, fast mystisch beginnen: Etero (Eka Chavleishvili) pflückt an einem steilen Hang Brombeeren, fast sinnlich steckt sie sich eine in den Mund, beobachtet dabei, wie eine Amsel aus dem Busch in die Ferne flattert. Dann stürzt sie ab ans Ufer des Flusses. Auf dem Weg nach Hause blickt sie von einer Brücke auf den Fluss, wo sich die Dorfbewohner um ihre Leiche versammelt haben. Es scheint ein Erweckungsmoment – und eine Szene, die den Ton für den surreal anmutenden Film vorgibt. Denn wenig später verführt Etero in ihrem karg ausgestatteten Laden den Waschmittellieferanten Murman (Temiko Chichinadze). »Endlich, nach 48 Jahren«, bemerkt sie, als sie sich später in den Slip greift. Etero war bis dahin Jungfrau.

Und plötzlich ändert sich das Leben für die unabhängige, sperrige Frau, die aus Überzeugung nie geheiratet hat, wie der Film das Publikum glauben machen will, aber nicht immer stringent erzählt, vielleicht auch um damit in die Rolle der Dorfbewohnerinnen zu schlüpfen. Sie begegnen Etero mit unverhohlener Gehässigkeit. Ein ungebundenes Leben, wie Etero es führt, ist ihnen fremd. Die mollige Frau schert sich nicht um gesellschaftliche Erwartungen und Schönheitsideale. Und doch gerät ihre Welt aus den Fugen, als sich eine zarte Beziehung zu dem verheirateten Murman entwickelt. Mal etwas verloren, mal in sich ruhend geht diese Frau, die Chavleishvili so stark wie verletzlich gibt, durchs Leben.

Naveriani spickt den auf dem Roman von Tamta Melashvili basierenden Film mit Bildern und manchmal allzu plakativen Symbolen. Als Etero und Murman auf einer einsamen Lichtung liegen, erzählt Etero, dass sie sich bis heute zu den Brombeeren flüchtet. Sie seien ihre Eltern, ihre Klassenkameraden, Freunde und Liebhaber. Murmans Antwort »Ich werde deine Brombeere sein« grenzt an Kitsch. Zugleich wählt Naveriani immer wieder sinnliche, zärtliche, oft komisch anmutende Bilder. Die knappen Dialoge erinnern an Otar Iosseliani und entwickeln doch nicht dessen Sog. Naveriani hält ihre großartige Hauptfigur auf Distanz. Trotzdem ist »Amsel im Brombeerstrauch« eine starke Charakterstudie einer Frau, die sich in einer patriarchalen Gesellschaft keinerlei Normen unterwirft und so ihr persönliches Glück findet.

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