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© Pandora Film Verleih

Andreas Dresens Biopic über den früh verstorbenen, Traktor fahrenden Liedermacher mit widersprüchlicher Vergangenheit Gerhard Gundermann ist ein ­kluger und einfühlsamer Beitrag zur deutsch-deutschen Geschichte

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Immer wieder ist es zu sehen, das riesige Braunkohlegrubenloch mitten in der weiten, grauen Leere der ostdeutschen Landschaft, in die sich die Schaufelräder eines Monsterbaggers hineinfräsen. Das ist der eine Arbeitsplatz von Gerhard Gundermann, im Kontrast zu dem anderen, mit der Gitarre auf kahlen Liedermacherbühnen und in Aufnahmestudios. Im Spannungsfeld zwischen zwei Zeitebenen, Mitte der 70er Jahre in der DDR und Mitte der 90er Jahre in der Nachwendezeit, wird ein Leben erzählt, in das der Widerspruch von Anfang an eingeschrieben ist. Der Regisseur Andreas Dresen und die Drehbuchautorin Laila Stieler sind ein eingespieltes Team, in gemeinsamen Filmen wie »Die Polizistin«, »Willenbrock«, »Wolke Neun« haben sie das deutsche Lebensgefühl auf immer neue Weise behutsam und doch genau eingekreist, immer wieder aus dem intimen Blick auf einzelne Lebensgeschichten größere Zusammenhänge destilliert.

Relativ am Anfang gibt es diesen Moment, in dem Gerhard Gundermann (Alexander Scheer) einen Kollegen (Milan Peschel) zu Hause besucht, um ihm zu gestehen, dass er ihn viele Jahre lang als IM, als »inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit«, bespitzelt hat. Der Kollege ist einen Moment lang konsterniert, auch ein bisschen verblüfft, doch dann löst sich die Anspannung, er grinst zwischen Schelm und Scham, ein Gefühls-Medley, das Milan Peschel in feinen Nuancen über sein Gesicht ziehen lässt: »Ich hab dich auch bespitzelt.« Worüber wiederum Gundermann ein bisschen entsetzt ist. Später will er, der Täter, in der Gauck-Behörde seine Opferakte einsehen, als die aber nicht auffindbar ist, verlangt er kurzerhand seine Täterakte. Doch das ist im System Gauck nicht vorgesehen, dabei will Gerhard Gundermann sich einfach nur selber Klarheit verschaffen, denn bekanntlich ist die Erinnerung unzuverlässig und trügerisch, man sortiert und filtert das Erlebte, poliert die Kanten, beschönigt das eine, vergisst das andere.

Derzeit gibt es eine ganze Reihe von Filmen, die das fragile Verhältnis von Realität und Erinnerung, von Verdrängen und Vergessen ausloten. Gerade im komplizierten Komplex politischer Aufarbeitung von Schuld und Gewissen in Nationalsozialismus und DDR-Geschichte ist die tastende Suche im Sumpf der Möglichkeiten allemal hilfreicher als vorschnelle Verurteilungen und Schuldzuweisungen. Darum ist der neue Film von Andreas Dresen auch sehr viel mehr als nur die Biografie des widersprüchlichen und früh verstorbenen Nachwende-Liedermachers Gundermann. Es ist ein kluger, einfühlsamer, vielschichtiger und vor allem auch sehr berührender Beitrag zur deutschdeutschen Geschichte, zu einem differenzierteren, menschlicheren Umgang damit. Ein ehrliches Ringen mit individuell erlebter Vergangenheit, ganz ohne arrogante Zeigefinger-Besserwisserei.

Dieser Gundermann, wie ihn der große Theater- und Kino-Mime Alexander Scheer jetzt verkörpert, macht es einem nicht leicht, mit Bewunderung und Identifikation. Zunächst ist er vor allem sperrig, fast sogar ein bisschen unsympathisch, wie er sich da mit all seinen menschlichen Makeln präsentiert, die sehnig hagere Gestalt in labbrigen Jeans und unförmigen Pullovern, die strähnigen Haare zum dürren Pferdeschwanz zusammengezurrt, der wässrig-suchende Blick durch riesige Brillengläser, die er immer wieder unbeholfen auf der Nase rumruckelt, all die linkischen kleinen Bewegungen und Ticks wie das näselnde Ausschnauben der Luft. Dann erst die Feigheit, der Verrat, der Betrug, die Ausflüchte. Erst nach und nach versteht man auch seinen durchaus widerspenstigen Eigensinn, seine innere Stärke, eine Aufmüpfigkeit, die sich durchaus gegen das System wandte. Und dann der schöne Satz, der viel ehrlicher und tiefgründiger ist, als es jede offizielle Abbitte sein könnte: »Ich werde nicht um Verzeihung bitten. Aber mir selbst kann ich nicht verzeihen.«

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