Buch-Tipp: Gelb wie die Nacht – Das italienische Thrillerkino

»Blutige Seide« (1964)

»Blutige Seide« (1964)

Irrational bis pathologisch

Hierzulande ist er eher eine Sache für Fans geblieben: von den Programmkinos – auch als es dort noch Repertoire-Reihen gab – weitgehend ignoriert, auf DVD fast ausschließlich von Kleinst-Labeln veröffentlicht. Der »Giallo« ist so etwas wie ein Stiefkind der Filmgeschichte. Seinen Namen hat er von den gelben Umschlägen der im Verlag Mondadori veröffentlichen literarischen Thriller. Den Regisseur Mario Bava, dessen Filme »The Girl Who Knew Too Much« (1963) und »Blutige Seide« (1964) am Beginn des Genres stehen, kennt man eher für seine Horrorfilme als für seine Gialli, während die späten Filme von Dario Argento in Deutschland schon gar nicht mehr in die Kinos kamen (und sich hierzulande bislang auch kein Verlag für seine Autobiografie fand).

Jetzt aber »Gelb wie die Nacht«: Der Autor Christian Kessler legt nach seinen Bänden zum pornografischen Film (Rot) und zum Horrorfilm (Blau) einen Band vor, in dem er sich dem Giallo widmet, zu dem er bereits 1997 mit »Das wilde Auge« ein Buch veröffentlicht hat.

Mehr als 250 Filme werden vorgestellt, in chronologischer Reihenfolge, von 1963 bis 2013, auf jeweils ein bis zweieinhalb Seiten. Die Credits sind knapp, ebenso die Inhaltsangaben, an die sich die Ausführungen des Autors anschließen, der dabei das jeweils Besondere des Films herausarbeitet und nicht nur den Regisseur, sondern auch andere vor und hinter der Kamera Beteiligte würdigt. Illustriert ist der Band primär mit den jeweiligen Plakatmotiven (in Farbe) – optisch eine Augenweide.

Bei seiner Auswahl will Kessler einerseits »einen möglichst umfassenden Überblick« bieten, betont allerdings: »Vollständigkeit habe ich nicht angestrebt.« Aufgenommen hat er dafür »auch zahlreiche Grenzgänger, vor allem solche, die selten Erwähnung finden«. 

Die Einleitung ist knapp gehalten, definiert den Giallo als »italienische Spielart des Thrillerkinos, die sich von der klassischen angelsächsischen dadurch unterscheidet, dass sie nicht der Ratio das Wort redet (oder dem, was für Ratio ausgegeben wird), sondern der Irratio . . .«. Im Giallo herrsche die Unvernunft, »die in Einzelfällen zum Wahnsinn, zum Chaos führt«. Zentrale Charakteristika und Motive des Genres werden gleichwohl in den einzelnen Texten hervorgehoben, so die schwarzbehandschuhten Mörderhände, in denen nicht selten ein Rasiermesser aufblitzt, oder die Erkenntnis: »Der Giallo arbeitet mit dem Offensichtlichen, aber der Schein trügt meistens.« Immer wieder geht es um »die sexualpathologische Seite des Giallo« und nicht zuletzt um »die Hoheit des Spektakels über die Narrative«.

Kesslers gelegentlich flapsige Ausdrucksweise ist hier seltener, dafür brilliert er öfter mit trockenem Humor, etwa wenn er seinen Text zu einem der frühen Genreklassiker mit dem Satz einleitet: »Der Plot von »Blutige Seide« müsste Friedrich Merz gut gefallen, denn er passt auf einen Bierdeckel.« Ein kenntnisreiches Buch, das seinem Anspruch gerecht wird, sich ebenso zum Nachschlagen wie zum Schmökern zu eignen. 

 

Christian Kessler: Gelb wie die Nacht. Das italienische Thrillerkino von 1963 bis heute. Berlin 2020, Verlag Martin Schmitz. 349 S., 35 €.

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