Filme zu Pflugscharen

chronik-der-anna-magdalena-bach-02.jpg
In den Siebzigern ging es der Filmkritik um Grundsatzfragen: Politik versus Ästhetik. Mitten in der Debatte: Herbert Linder

Herbert Linder war einer der wichtig­sten Autoren der Zeitschrift »Film­kritik« und sicher der umstrittenste. 1941 in Heilbronn geboren, schrieb er ab 1964 über Film, neben der »Filmkritik« vor allem in der »Süddeutschen Zeitung«. 1971 zog er von München nach New York, arbeitete aber noch bis 1973 bei der »Filmkritik« mit. In New York brachte er eine eigene Zeitschrift heraus, die »Filmhefte«, von denen nur zwei Nummern erschienen sind, über Edgar G. Ulmer und 1976 über Arnold Fanck. Von da an hat er bis zu seinem Tod im Jahr 2000 nichts mehr veröffentlicht.

In einem Band der Reihe »Film und Schrift« der Stiftung Deutsche Kinemathek wird Linder nun ausführlich vorgestellt mit Texten über ihn und vor allem von ihm. Linder war ein Außenseiter unter den westdeutschen Filmkritikern. Im April 1967 erklärte er in der »Filmkritik« seine Position. Vorausgegangen war die Spaltung der Mitarbeiter der Zeitschrift in eine politische und eine ästhetische Linke. Linder gehörte mit Enno Patalas und Frieda Grafe zur ästhetischen Gruppe; er wandte sich heftig dagegen, dass die politische Meinung eines Films, sei sie korrekt oder inkorrekt, entscheidend sei für seine Qualität. Linder: »Ein Film ist ein Pflug, mit dem ich mich umgrabe – die Kritik das Protokoll einer Begegnung«.

Vor allem der Satz mit dem Pflug wurde ihm höhnisch um die Ohren gehauen. Liest man heute seine besten Texte etwa über Godard und Straub, Ophüls und Eisenstein, dann merkt man, wie aufschlussreich Linder-Kritiken sein konnten. Die Texte sind sehr genau in der Beobachtung und Beschreibung, aber auch voller Assoziationen hin zur damaligen Gesellschaft und immer getragen von einem starken Interesse an der Filmgeschichte.

Linder hatte oft Streit mit Redakteuren, auch mit Patalas; meist ging es um Eingriffe in seine Texte, aber auch um Honorare. Nach Patalas’ Ausscheiden aus der »Filmkritik«-Redaktion machte er 1972 selbst zwei Hefte als Redakteur, über John Ford und Leni Riefenstahl. Das Riefenstahl-Heft, im Mittelpunkt ein langes, interessantes Interview mit der Regisseurin von Herman Weigel, wurde hart attackiert; es empörte bereits die Tatsache, dass überhaupt ein Heft über Riefenstahl erschien. Klaus Kreimeier sah in ihm ein Zeichen für den »Verfaulungsprozeß« der Zeitschrift (epd Kirche und Film 9/72). Rolf ­Aurich aber nimmt heute das Riefenstahl-Heft zum Ausgangspunkt für einen Essay über den Stand und vor allem die Versäumnisse der deutschen Filmgeschichtsschreibung in der Zeit um 1972. Für ihn ist dieses Heft ein Beitrag zu einer damals noch kaum vorhandenen Grundlagenforschung.

Der zweite Text über Linder stammt von Stefan Flach, der sich so objektiv wie möglich mit der Person Linder auseinandersetzt. Ich selbst, damals Mitarbeiter der »Filmkritik«-Redaktion, habe Linder ähnlich erlebt. Seine ironisch-böse Attacke gegen Kritiker, die Straubs Chronik der Anna Magdalena Bach verrissen hatten, hatte die Überschrift »Kinder, aufgepasst!«. Patalas schrieb bei anderer Gelegenheit gegen Linder: »Herr Lehrer, ich weiß noch was!«

Linders Aggressivität richtete sich immer stärker auch gegen die Kollegen bei der »Filmkritik« selbst, meist aus banalen Anlässen. Nach einem Streit über Honorare entwendete er die Abonnentenkartei der Zeitschrift. Flach sieht in Linders Verschwinden aus der deutschen Filmpublizistik eine »tragische Verweigerungshaltung«. Wie recht er damit hat, zeigt noch einmal der letzte Linder-Text des Buches, ein wunderbar gelöster Bericht über eine Amerikareise, erschienen in der »Filmkritik« 4/1971.

Herbert Linder: Filmkritiker. Konzeption und Redaktion: Rolf Aurich, Wolfgang Jacobsen. Mit Audio-CD. Film & Schrift Band 17, edition text + kritik, München 2013. 198 S., 26 €.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt