Umweltdokus: Filme vom Ende der Welt

»Unser Boden, unser Erbe« (2019). © W-film

»Unser Boden, unser Erbe« (2019). © W-film

Dokumentarfilme zu Umweltthemen ­haben sich in den ­letzten ­Jahren gehäuft. Jetzt kommt wieder eine ­kleine Welle ins Kino

Während die Menschheit gebannt auf einen mikroskopisch kleinen Stachelkörper schaut, hört der Boden unter ihren Füßen nicht auf zu schwanken. Die Freitagsdemonstrationen für die Zukunft sind ins Internet verlagert, auf den Agenden der Politiker hat »Pandemie-Management« den Klimaschutz vom Spitzenplatz verdrängt, doch der Wald brennt, die Stürme wüten, und das Wasser steigt. Man kennt die problematische Lage, in der unser Heimatplanet, es ist übrigens der einzige, sich befindet. Wenn schon nicht aus eigener Anschauung, dann doch aus dem Kino, denn im Kino finden sie sich mittlerweile zahlreich und vielfältig: Dokumentarfilme zum Thema Erde in der Krise. Genauer: Filme, die ihr Augenmerk auf den Wirkungskomplex Globalisierung, Ernährung und Umwelt/Natur/Ressourcen richten.

Insbesondere drei Werke österreichischer Dokumentaristen – »Darwin’s Nightmare« von Hubert Sauper (2004), »Unser täglich Brot« von Nikolaus Geyrhalter (2005) und »We Feed the World« von Erwin Wagenhofer (2005) – eröffneten das breite Spektrum an formalen Zugriffen und inhaltlichen Argumentationen, das in der Folge stilprägend wirkte. Wagenhofer geht klassisch dokumentarisch und didaktisch vor; er sammelt Daten und Fakten zum Thema Lebensmittelproduktion, schneidet Interviews mit Fachleuten im Wechsel mit illustrierenden Szenen, setzt Texttafeln wie Wegweiser ein. Am Ende ist man umfassend informiert und hinreichend motiviert, beim nächsten Einkauf die Hand doch eher nach der Bioware auszustrecken. Nikolaus Geyrhalter schlägt einen experimentelleren Weg ein; er verzichtet auf jede Erklärung, kommt ohne Worte, Texte und Musik aus. Er zeigt maschinelle Arbeitsabläufe auf Feldern und in Gewächshäusern, in Aufzucht- und Schlachteinrichtungen, ewig gleiche Handgriffe, die der effizienten Verwaltung der Nahrungsmassen dienen. In ihrer monotonen Folge erlangen die Szenen jedoch eine geradezu sakrale Kraft, die vom Originalton brummender Maschinen, klappernder Gerätschaften und leisen Gemurmels noch verstärkt wird. Der eine Zeile des Vaterunsers zitierende Filmtitel wird insofern eingelöst, als die immer feierlicher anmutenden Verrichtungen in den Produktionsstätten ein Gebet illustrieren, das Produzenten wie Verbraucher in Konsumtempeln an den Gott Mammon richten. Hubert Sauper ist der Polemiker unter den dreien. Kein kontroverses Statement scheuend, stellt er einen Zusammenhang zwischen der Fischindustrie Tansanias und dem Waffenhandel Russlands her. Dabei wird auch die Ausbeutungsstruktur beschrieben, die das Verhältnis der Industrienationen zum afrikanischen Kontinent bestimmt. Wenig verwunderlich, dass in dieser mit hohem persönlichem Einsatz und aus der Nahsicht gefilmten Anklage die vor Ort vorgefundene latente Aggression immer mitschwingt. Erde im Sinne von Erdboden spielt hier thematisch noch keine so große Rolle, vielmehr beschäftigen die Österreicher sich mit den augenscheinlichen Auswüchsen, die die Entfremdung des Menschen vom Mutterboden bereits mit sich gebracht hat.

Gut zehn Jahre später trieb Geyrhalter seinen distanzierten Zugriff auf die Spitze mit »Homo Sapiens«, in dem Bilder von Ruinen und kata­strophenverwüsteten, aufgegebenen Landstrichen (Tschernobyl, Fukushima) kommentarlos, doch mit ausgeklügeltem Sounddesign versehen, aneinandermontiert sind. Ein postapokalyptischer, daseinsphilosophischer Essay, der die Interpretation zur Gänze dem Publikum überträgt. Homo Sapiens steht auch für eine Art von Endzeitfilm, die mitunter ein ästhetisch überwältigendes Theater der Grausamkeit hervorbringt. Am Beispiel von »Leviathan« (Lucien Castaing-Taylor, Véréna Paravel, 2012) und »Welcome to Sodom« (Christian Krönes, Florian Weigensamer, 2018) lassen sich hier die ästhetisch-argumentativen Positionen aufzeigen. »Leviathan« liefert kein aufklärend aufbereitendes Voiceover zum kommerziellen Fischfang vor der Küste von Massachusetts, sondern macht die Plackerei und das Massenmorden körperlich erfahrbar. Dies gelingt mit Hilfe kleiner Digitalkameras, die wie entfesselt und immer mittendrin das Geschehen in eine audiovisuelle Kakophonie überführen, aus der sich mit der Zeit die titelgebende eschatologische Vision ringt. In »Welcome to Sodom« hingegen gerät nicht die Kamera ins Trudeln, blümerant wird dem Zuschauer von dem, was sie zeigt: die Zustände auf der Müllkippe Agbogbloshie am Rand von Accra, Ghana, wo jährlich 250 000 Tonnen illegal aus Europa ausgeführten Elektroschrotts verarbeitet werden. Ein höllischer Ort und zugleich ein Wirtschaftsplatz, eine symbolträchtige Verdichtung globaler (Macht-)Verhältnisse, die sich allein aus der neutralen Beobachtung der Vorgänge und den Erzählungen der dort tätigen kapitalistischem Vorbild folgenden »Selfmademen« ergibt. Die Zerstörung des Ökosystems Erde durch den Raubbau des Menschen an den Ressourcen wird in diesen Filmen durchaus auch mit dem Gestus des Erhabenen als »schreckliche Schönheit der Apokalypse« in Szene gesetzt. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte die Entwicklung mit »Anthropocene: The Human Epoch« (Jennifer Baichwal, Nicholas de Pencier, Edward Burtynsky, 2018), der sich erschöpft in Szenen des Giftig-Unwirtlichen, die informativ kaum erschlossen, dafür umso pathetischer ins Bild gesetzt werden.

Flankiert werden diese Extreme – die eine dem Untergang geweihte Welt unheimlich zelebrieren – von einer reichlichen Menge Dokus, die ihre Umweltthemen überwiegend mit konventionellen Mitteln in Szene setzen. Weltweit zusammengetragen werden in diesen Filmen Aussagen von Expert:innen, umweltpolitische Fakten und wissenschaftliche Erklärungen zu den Themen Plastik (»Plastic Planet«, Werner Boote, 2009), Wasser (»Bottled Life«, Urs Schnell, 2012), Agrarflächen (»Landraub«, Kurt Langbein, 2015), Landwirtschaft (»Bauer unser«, Robert Schabus, 2016), Gentechnik (»Gekaufte Wahrheit«, Bertram Verhaag, 2010) und Klimawandel (»11th Hour – 5 vor 12«, Leila Conners Petersen, Nadia Conners, 2007), um hier nur die wichtigsten zu nennen. Ein ums andere Mal wird in diesen Filmen deutlich, dass, wie es sich eben selbst noch für ein zusammenbrechendes Ökosystem gehört, alles mit allem zusammenhängt: Der Klimawandel mit seinen Folgekatastrophen ist ohne die industrielle Landwirtschaft ebenso wenig zu denken wie die Krise der Demokratie ohne die Globalisierung der Märkte. Die Schuldigen sind meist schnell gefunden: Großkonzerne, Global Players, Börsenhandel, Banker, das weltweit siegreiche kapitalistische System – und damit auch: die Konsument:innen, die es am Laufen halten, also letztlich: wir alle. Woraus die Frage folgt: Was kann eine Einzelne schon groß bewegen angesichts der turmhohen Probleme? Was kann einer allein tun gegen die übermächtigen Mächtigen?

»Welcome to Sodom« (2018). © Camino Filmverleih

Fragen, die sich auch die Gesprächspartner:innen von Nikolaus Geyrhalter mitunter stellen, die dieser in seinem letzten, schlicht Erde betitelten Film an ihren jeweiligen Arbeitsplätzen von ihren Tätigkeiten erzählen lässt. »Erde« (2019) zeigt die umfassende Umwälzungs- und Wühlarbeit – man kann sie auch ein Zerstörungswerk nennen –, die die Menschheit auf dem Planeten leistet, und bleibt dabei ganz nah und sehr konkret am titelgebenden Element. Und doch stellt sich mit der Zeit aus dem Kontrast zwischen Bildern, die schonungslose Eingriffe in die Oberflächenstrukturen des Planeten zeigen, und Aufnahmen der Verantwortlichen, die über die Folgen des eigenen Treibens ins Räsonieren geraten, eine übergeordnete Ebene her: Auf ihr werden die Wunden, die Mutter Erde von ihrem Geschöpf geschlagen werden, förmlich spürbar.

Erde heißt sie schließlich nicht umsonst. In der Erde, jener Schicht Humus, die den Planeten hauchdünn umhüllt, steckt alles Leben. Milliarden von Klein-, Kleinst- und Winzlebewesen in jedem Quadratmeter, die dafür sorgen, dass der Boden fruchtbar bleibt und Pflanzen auf ihm gedeihen können, die Tier und Mensch als Nahrung dienen. Von diesem fruchtbaren Boden und seiner fahrlässigen Vernichtung durch die industrielle Landwirtschaft, die mittlerweile in totaler Abhängigkeit von global operierenden Pharmakonzernen steht, berichtet Marc Uhlig in »Unser Boden, unser Erbe«, der soeben in den Kinos startet. Es ist ein angenehm unaufgeregter Film, an dem zudem positiv auffällt, dass er den in Rede stehenden Missstand nicht an möglichst vielen Orten rund um den Erdball dokumentiert. Besuche bei ein paar ökologisch respektive konventionell wirtschaftenden Bauern sowie einigen Fachleuten im deutschsprachigen Raum tun’s auch, um das Ausmaß der Bedrohung zu verdeutlichen. Dass es Uhlig gelingt, den ökologischen Fußabdruck seines Films vergleichsweise klein zu halten, hängt jedoch auch damit zusammen, dass er auf einem umfangreichen Filmkorpus aufbauen kann, das in den vergangenen Jahren die Lage weltweit erfasst und das Publikum für die Verästelungen des Themas sensibilisiert hat.

»Zeit für Utopien« (2018). © Langbein & Partner

Aufklärung und Aufforderung gehen dabei oftmals Hand in Hand, und die Vorschläge zur Verhaltensänderung fallen passend kleinteilig und bewältigbar aus. Grundiert von einer optimistischen Haltung stellen Filme wie »10 Milliarden – Wie werden wir alle satt?« (Valentin Thurn, 2015), »Tomorrow« (Cyril Dion, Mélanie Laurent, 2015), »Zeit für Utopien« (Kurt Langbein, 2018) und »But Beautiful« (Erwin Wagenhofer, 2019) regional wirksame alternative Projekte auf der ganzen Welt vor, zeigen mögliche Wege aus der Krise, erläutern Zusammenhänge und Strategien. Immer häufiger kommen dabei auch Kinder ins Bild, werden Babygesichter und Patschhändchen ins visuelle Arsenal aufgenommen, um deutlich zu machen, dass es längst nicht mehr nur um unser gegenwärtiges Wohlergehen geht, sondern dass die Zukunft kommender Generationen auf dem Spiel steht.

Deren derzeit halbwüchsige Vertreter:nnen allerdings zunehmend die Geduld verlieren, wie die zahlreichen Aktionsbündnisse der letzten Jahre belegen. Freilich werden auch diese wiederum dokumentarisch gefilmt: Bei den Filmfestspielen in Venedig hatte soeben Nathan Grossmans Porträt der »Fridays for Future«-Begründerin Greta Thunberg, »I Am Greta«, Premiere; im November startet mit Jim Raketes »Now«, der die jungen, klugen Köpfe an den Spitzen unterschiedlicher klimaaktivistischer Bewegungen vorstellt. Zu den unmittelbar Betroffenen gehört auch die Musikerin Inna Modja, die sich in »The Great Green Wall« (ab 24. Oktober im Kino) von Filmemacher Jared P. Scott begleitet auf den Weg macht, den Stand der Dinge eines ziemlich ehrgeizigen Projekts zu überprüfen: der Aufforstung der Sahelzone, die sich 8000 km lang quer über den afrikanischen Kontinent erstreckt und von der Ausbreitung der Sahara bedroht ist. Die Bestandsaufnahme fällt zwar nicht sonderlich rosig aus (gerade einmal 15 Prozent des Grünstreifens sind bislang realisiert), bietet aber Gelegenheiten, weitere grundsätzliche Pro­bleme in den Blick zu nehmen: Migration und Flüchtlingselend, resultierend aus dem Verlust der wichtigsten Ressource überhaupt – fruchtbarer Erde.

»The Great Green Wall« (2019). © Weltkino

Wie in einer Parallelrealität boomen unterdessen die Mainstream-Naturfilme, die in einer Art Wehmutsgestus die untergehende Schönheit des Planeten beschwören. Freilich wollen auch sie die Zuschauer:innen sensibilisieren für das, was auf dem Spiel steht; eben deswegen wirken sie mitunter aber sehr verlogen. Unter Titeln wie »Unsere Erde« (Mark Linfield, Alastair Fothergill, 2007), »Unsere Ozeane« (Jacques Perrin, Jacques Cluzaud, 2010), »Unser Leben« (Michael Gunton, Martha Holmes, 2011) werden die letzten »unberührten« Biotope gezeigt. Dabei kommt der gesamte Fuhrpark des emotionalen Überwältigungs- und Spektakelkinos zum Einsatz: Hightech-Kameras, Superzeitlupe, Makroaufnahmen, Drohnenflüge, symphonische Musik und pathetisches Voiceover, das sich nicht selten der Anthropomorphisierung der gezeigten Tiere schuldig macht. Der nostalgische Blick dieser Filme spart zwar die grausamen Fakten der Natur – Fressen und Gefressenwerden – nicht aus, macht aber die grundlegende Motivation nicht sichtbar: die Sehnsucht des Menschen nach der verloren gegangenen Harmonie.

Es ist dies eine Sehnsucht, die das Potenzial zur Übergriffigkeit in sich trägt. Einen Kontrast dazu bilden etwa »Grizzly Man« von Werner Herzog (2005) und »Der Bär in mir« von Roman Droux (2019, ab 15. Oktober im Kino). »Grizzly Man« ist die Geschichte des selbst ernannten Bärenschützers Timothy Treadwell, der seine Sommer jahrelang im Katmai-Nationalpark, Alaska, verbrachte, bis er 2003 von einem Bären gefressen wurde. Das von Herzog kommentierte Originalmaterial Treadwells zeigt, wie dieser die Grenze zum Wildtier immer wieder massiv verletzt und seine Mission im Grunde als Vorwand für Selbstfindung und Selbstinszenierung nutzt. Auch der Protagonist von »Der Bär in mir«, der Schweizer Bärenforscher David Bittner, hält sich seit Jahren sommers in Katmai auf, auch er bleibt nicht auf Distanz, auch er scheint in der Begegnung mit dem Wildtier die Wiederbegegnung mit dem verschütteten Animalischen in sich selbst zu suchen. Wo nun aber Herzog mittels Montage und Kommentar die Vergeblichkeit dieser Suche sichtbar macht und die tiefe, ja tödliche Kluft offenlegt, die die Spezien voneinander trennt, sammelt Droux beeindruckende Bilder, die nicht nur das Leben der Raubtiere aus erstaunlicher Nähe zeigen, sondern auch ein von Respekt getragenes Beieinander möglich erscheinen lassen.

Sind Natur und Mensch einander Freund oder Feind? Um diese Frage dreht sich am Ende alles: Sind wir noch in Kontakt mit unseren Wurzeln? Und wurzeln die noch in der Erde? Von der Antwort hängt das Überleben ab.

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