TV-Western: Das Postkutschenzeitalter

The Lone Ranger (Die Texas Rangers, 1949-1957)

»The Lone Ranger« (Die Texas Rangers, 1949-1957)

In Quentin Tarantinos »Once Upon a Time in... Hollywood« spielt ­Leonardo DiCaprio einen Westerndarsteller. Der Film ist eine Hommage an
die Goldene Ära des TV-Westerns

Auf der einen Seite stehen Steve McQueen, Charles Bronson, Kurt Russell, Burt Reynolds, Clint Eastwood. Sie und einige mehr verdankten ihre Leinwandkarrieren der Mitwirkung in einer TV-Westernserie. Andere wie James Garner, Lee Majors, Doug McClure wechselten zwischen Kino und Fernsehen, sind dem Publikum aber vor allem mit wiederkehrenden TV-Rollen in Erinnerung geblieben. Man sollte nie vergessen: Eine beliebte Hauptprogramm-Fernsehserie erreicht um ein Vielfaches mehr Zuschauer als ein noch so erfolgreicher Kinofilm, sei es in den USA oder in Deutschland. Einige haben sich die Verehrung ihrer Idole bewahrt und setzen sie künstlerisch um. Für ihre Westernserie »The Adventures of Brisco County, Jr.« (1993–1994, deutsch: »Die Abenteuer des Brisco County jr.«) baten die verantwortlichen Produzenten Jeffrey Boam und Carlton Cuse Westernveteranen wie Stuart Whitman, Paul Brinegar, Robert Fuller, Don Stroud, James Drury als Gaststars vor die Kamera.

Auch Quentin Tarantino, dessen Werk nur selten auf Fernseheinflüsse hin unter­sucht wird, zollt den Größen der US-Fernsehgeschichte immer wieder Respekt. Bo Svenson war in »Kill Bill 2« und »Inglourious Basterds« zu sehen, Lee Horsley in »Django Unchained« und »The Hateful 8«, Michael Parks in »Django Unchained« und »Grindhouse«. In Tarantinos aktuellem Film »Once Upon a Time in... Hollywood« begegnen wir unter anderem den TV-Altstars Clu Gulager und einmal mehr Bruce Dern. Ins fiktive Geschehen eingewoben sind die verstorbenen Westerndarsteller Wayne Maunder (Luke Perry †) und James Stacy (Timothy  Olyphant). Auch Steve McQueen lebt wieder auf, in Gestalt von Damian Lewis, dessen frappierende natürliche Ähnlichkeit mit dem unvergessenen McQueen ihn für die Rolle geradezu prädestiniert.

Tarantinos Beritt ist das Hollywood des Jahres 1969 mit einem um seine berufliche Zukunft bangenden Westerndarsteller (Leonardo DiCaprio) und dessen Stuntdouble (Brad Pitt). Fantasiegestalten, aber an reale Vorbilder angelehnt. Die Referenzen – und Reverenzen – gehen in Richtung Clint Eastwood und Buddy Van Horn sowie Burt ­Reynolds und Hal Needham und den Serien, in denen sie mitwirkten.

Als am Horizont die Siebziger aufzogen, waren Western aus den Fernsehprogrammen, ausgenommen einzelne Dauerbrenner wie »Gunsmoke« (1955–1975, deutsch: »Rauchende Colts«) und »Bonanza« (1959–1973), nahezu verschwunden. Dabei hatte das Genre gut 20 Jahre vorher maßgeblich zum Aufschwung des neuen Mediums beigetragen – kaum ein Fernsehabend, an dem die amerikanischen Wohnzimmer nicht unter Beschuss lagen.

Das Kino sattelt auf

Die filmische Serienerzählung ist fast so alt wie das Kino selbst. In den USA begann die Geschichte des Kino-Serials mit fortgesetzten Melodramen. Schnell erweiterte sich das Angebot um weitere Genres, Schauerromantik, Dschungelexotik, Weltraummärchen. Und natürlich den Western, das uramerikanische Genre schlechthin.

Der Strukturwandel der US-Filmindustrie in den Zwanzigern und Dreißigern wirkte sich in mehrfacher Hinsicht auch auf das Serial aus. Die Filmtheater gingen dazu über, abendfüllende Filme zu zeigen. Als Folge der Depression dann in Form von Doppelprogrammen aus A- und B-Film. Die B-Filme wurden, anders als der Hauptfilm, nicht prozentual, sondern pauschal bezahlt, was die Marge verringerte. Sie mussten daher möglichst billig hergestellt werden. Daraus resultierte eine auf größtmögliche Effizienz ausgerichtete Produktionsweise mit wiederkehrenden Hauptfiguren, schematischer Handlung und hohen Wiedererkennungseffekten. Anders als die Serials aber erzählten diese Schnellschussproduktionen abgeschlossene Geschichten. Auch hier waren Western in bedeutsamem Maße vertreten.

Die Serials erlebten nach einer durch die Einführung des Tonfilms ausgelösten kurzen Flaute eine Renaissance. Ihr Publikum bestand jetzt aus den jugendlichen Besuchern der wochenendlichen Matineevorstellungen. Die Teenager erfreuten sich an aktionsbetonten Storys mit eindeutiger Freund-Feind-Zeichnung, vorbildlicher ­Moral und untadeligen Helden, allzeit frisch rasiert und selbst nach tagelangen Ritten immer picobello in ihren posamentierten Fantasiekostümen.

Serials wie auch Serien ermöglichten kleinen, unabhängigen Produktionsgesellschaften den Zutritt zu einem Markt, der in einem Oligopol unter den fünf großen Studiounternehmen Warner Brothers, Loew's/MGM, Twentieth Century Fox, Paramount, RKO nebst den kleineren Mitbewerbern Universal Studios, Columbia Pictures, United Artists aufgeteilt war. Die großen Konzerne verfügten über Produktions- und Distributionskapazitäten sowie eigene Kino­ketten und konnten die Marktbedingungen diktieren. Diese Ära wurde 1948 durch ein Entflechtungsurteil des Supreme Court, das sich auch auf die beginnende Fernsehproduktion auswirken sollte, beendet. Wenngleich große Studios schon allein der Auslastung wegen auch B-Movie-Abteilungen unterhielten, gab es dort und im Bereich der Serials doch Nischen, in denen sich die Produzenten des filmischen »Armenviertels«, der »Poverty Row«, ansiedeln konnten.

Die Kleinunternehmer der Filmbranche wie die Republic Studios, Monogram, Mascot hatten die Produktionsabläufe ­standardisiert und verfügten, so die Hal Roach Studios, teils über die nötige Infrastruktur, um kostengünstige Erzählserien herzustellen. Neuer Bedarf entstand, als Ende der Vierziger der durch den Zweiten Weltkrieg unterbrochene Fernsehbetrieb wieder aufgenommen wurde. Die großen Filmstudios wären gern in dieses Geschäft eingestiegen, Paramount hatte bereits zwei TV-Stationen erworben. Die Regulierungsbehörden unterbanden dieses Engagement. Von der Programmzulieferung sahen die Marktführer vorerst ab. Noch waren ihnen die zu erwartenden Erträge zu gering.

Das Fernsehen war das neue Kino

Die Produzenten vom Katzentisch hingegen sahen neue Vermarktungsmöglichkeiten. Im kommerziellen TV-Markt der USA wird das Programm durch Werbung finanziert. Das Abendprogramm der vier Senderketten ABC, CBS, DuMont oder NBC bestand in den ersten Jahren vorwiegend aus zentral zugelieferten Live-Sendungen, darunter Westernserien wie »The Marshal of Gunsight Pass« (1950). Die Tages- und Spätprogramme gestalteten die angeschlossenen lokalen Stationen zumeist selbst, bezahlt von örtlichen Sponsoren.

William Boyd, Hauptdarsteller der Serienwestern um die Figur des Hopalong Cassidy, entschied klug, als er sich für 350 000 Dollar (nach heutigem Kurs circa das Zehnfache) die Rechte an seinen Filmen und an der Figur sicherte. Er verkaufte die im Archiv verstaubenden Filme mit Gewinn an diverse Fernsehstationen und drehte neue Episoden, die ab 1949 erfolgreich als ­Jugendprogramm ausgestrahlt wurden. ­Parallel gab es eine Hörfunkserie, Comic-Hefte und allerlei Zubehör, mit dem man auf dem Schulhof renommieren konnte. Der Wert des Hopalong-Cassidy-Imperiums wurde auf 200 Millionen Dollar geschätzt.

Neben Hopalong Cassidy eroberten der »Lone Ranger« (ab 1949) und »The Cisco Kid« (ab 1950) die nächste Generation junger ­Zuschauer. Im Rahmen von moderierten TV-Anthologien wie »Cowboys 'n' Injuns« (ab 1950) oder »The Ghost Rider« (ab 1951) begegneten den Heranwachsenden verdiente Revolverhelden wie Tom Mix, Buster Crabbe und der junge John Wayne. Die »singenden Cowboys« Gene Autry und Roy Rogers griffen zwischen den obligatorischen Raufereien zur Gitarre. Daran hatten dann auch die Mütter der mitfiebernden Lausbuben ein Wohlgefallen und kauften womöglich die zugehörigen Schallplatten.

Nebenbei: Zu den US-amerikanischen Fernsehpionieren zählte der deutsche Exilant Frank Wisbar. Er produzierte mit »­Fireside Theatre« (ab 1949) eine der ersten gefilmten TV-Anthologien.

Heldentod im Haupt­programm

Sowie die Rundfunkkonzerne durch Erweiterung des Sendenetzes und Verbesserung der Verbindungen ihre Reichweiten und Werbeeinnahmen erhöhen konnten, floss mehr Geld in den Programmankauf. Nun waren auch die klassischen Filmstudios zur Stelle. Die Columbia versteckte sich anfangs noch hinter der Tochterfirma Screen Gems. Für Schlagzeilen sorgten 1954 die Disney-Studios, die nach dem Vorbild der Unabhängigen nicht nur Lagerware verkauften, sondern mit »Disneyland« eine eigene Programmmarke für Dokumentar- und Spielfilme schufen. 1955 wurde ein Disney-Dreiteiler um die historische Figur des Davy Crockett zum Fernsehereignis und brachte den Beteiligten zusätzliche Erlöse durch ­Paraphernalien aller Art. Das geschätzt 3000 Produkte umfassende Angebot reichte vom Porzellanteller bis zur Fellmütze.

Nicht nur in kommerzieller Hinsicht schrieben die drei Filme »Davy Crockett«, »Indian Fighter«, »Davy Crockett's Keelboat ­Race« und »Davy Crockett and the River Pirates« TV-Geschichte. Wenngleich Autor Tom Blackburn die historische Figur an den Publikumsgeschmack anpasste, blieb er in beachtenswerter Konsequenz der Biografie treu: Crockett stirbt am Ende im Kampf gegen die mexikanische Armee. Der Tod einer Stammfigur ist bis heute eine Ausnahme in Serienerzählungen. Noch in anderer Hinsicht ging Blackburn über die Inhalte der naiven Western hinaus: Er thematisierte Crocketts Einsatz für die Rechte der Ureinwohner, den frühen Tod seiner ersten Frau, seine politische Tätigkeit im Repräsentantenhaus.

Aufritt auf breiter Front

Das Genre hatte Konjunktur und erlebte eine inhaltliche Diversifizierung, vom Viehtrieb und Eisenbahnbau über das Postkutschenwesen und die Flussschifffahrt bis zum Goldrausch. Sheriffs, Spieler und Soldaten, Cowboys und käufliche Revolverhelden, Agenten und Kopfgeldjäger gingen ihren Professionen nach. Selbst ein linkisches Greenhorn wie Tom Brewster in »Sugarfoot« (ab 1957) fand ein Publikum. »Brave Eagle« (ab 1955) und »Broken Arrow« (ab 1956) zeigten den Westen konträr zu den gängigen Formaten aus der Warte der Ureinwohner. Der Autor und Produzent Roy Huggins brachte mit »Maverick« (ab 1957) einen konfliktscheuen Glücksritter auf den Bildschirm, der ­Anklang beim Publikum fand, weil James Garner ihn mit lausbubenhaftem Charme und merklicher Selbstironie verkörperte. Zu diesem Zeitpunkt konnte Huggins bereits auf die Medienkompetenz des Publikums bauen und konkurrierende Produktionen parodieren, was die Komplexität seiner ­Serie noch erhöhte. Der Fernsehwestern ­zielte nicht mehr nur auf die Affekte, sondern sprach zunehmend den Intellekt an.

Die wachsende Fernsehbranche erhielt personellen Zulauf von den aufgekauften kleineren Studios und von den großen Filmgesellschaften, die aufgrund schrumpfender Erlöse ihre Kapazitäten verringerten. Die Fachkräfte aus dem Kinobereich mussten sich umgewöhnen. Fernseherzählungen gehorchen anderen Gesetzen als Kinofilme. Gute Kinoautoren und -dramaturgen, das gilt bis heute, sind nicht automatisch gute TV-Erzähler. Die Produktionsgesellschaft des Schauspielers Burt Lancaster beispielsweise scheiterte mit dem Versuch, dessen Kinofilme »Vera Cruz« und »Apache« als Fernsehserie zu verlängern. Nicht nur im Western löste sich das Fernsehen von den Konventionen des Kinos und fand seine eigene Sprache, die Fernsehepik.

Neue Sheriffs in der Stadt

In den Sechzigern geriet der klassische TV-Western außer Mode, seine erzählerischen Errungenschaften hatten Bestand. Gene Roddenberry verlagerte den »Wagon Train« (ab 1957) ins Weltall und nannte das Ergebnis »Star Trek« (ab 1966). Die neuen Sheriffs wie Sam McCloud (Dennis Weaver) in »McCloud« (ab 1970, deutsch: »Ein Sheriff in New York«) oder Sam Cade (Glenn Ford) in »Cade's County« (ab 1971) befassten sich mit Verbrechen der Gegenwart. Anstelle eines treuen, dem Publikum stets namentlich ­bekannten Pferdes bekamen die Helden (Erik Estrada, Larry Wilcox) in »CHiPS« (ab 1977) Motorräder zugeteilt. »Knight Rider« Michael Knight (David Hasselhoff, ab 1982) mit seinem sprechenden Auto KITT war quasi die Wiedergeburt des »Lone Ranger«. In »Street Hawk« (ab 1985) verbarg sich Jesse Mach (Rex Smith), ein einsamer Rächer im ­Geiste Zorros, hinter einem Motorradhelm. Die Nachfahren der alten Revolverhelden hießen »Renegade« (ab 1992) oder »Walker, Texas Ranger« (ab 1993).

Abgesänge auf den Serienwestern erwiesen sich als verfrüht. Mit »North and South« (ab 1985, deutsch: »Fackeln im Sturm«), »­Lonesome Dove« (ab 1989), »Deadwood« (ab 2004), »Godless« (ab 2017) und anderen lebte er weiter. Und bietet immer noch die Möglichkeit zu originellen Varianten.

Meinung zum Thema

Kommentare

Danke für diesen ausgiebigen und interessanten Hintergrundsbericht zum neuen Tarantino-Film. Damit lässt sich Rick Daltons Abstieg noch etwas besser einordnen.

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