Schulfilme: Immer Ärger mit den Paukern

»Das Lehrerzimmer« (2022). © Alamode Film

»Das Lehrerzimmer« (2022). © Alamode Film

Nein, so charismatische Lehrkräfte wie im »Club der toten Dichter« oder an der »School of Rock« sind bei uns kaum zu finden – außer vielleicht 
Zeki Müller in »Fack Ju Göhte«. Und doch kann man in den zahlreichen Schulen des deutschen Films interessanten, bisweilen auch abgründigen Pädagogen begegnen, aktuell etwa in »Das Lehrerzimmer«. Ein Streifzug durch die deutsche Filmgeschichte

Von der »eisernen deutschen Jugend« schwadroniert der von Michael Wittenborn gespielte Rektor vor der versammelten Schülerschaft. Hinter sich das Kollegium, steigert er sich immer mehr in seinen patriotischen Furor hinein: »Unsere Zukunft, die Zukunft Deutschlands, liegt in den Händen seiner größten Generation. Meine Freunde, das sind Sie! Darum auf in den Kampf, für Kaiser, Gott und Vaterland!« – Das Bild des Lehrers im deutschen Oscargewinner »Im Westen nichts Neues« könnte kaum düsterer sein. Mehr Demagoge als Pädagoge, treibt der Mann seine Schützlinge geradewegs in die Hölle des Stellungskriegs. Was wir heute empörend finden, spiegelt – wenn auch zugespitzt – das einstige Selbstverständnis eines Berufsstands wider, der weit mehr als andere dem gesellschaftlichen Wandel unterworfen ist, schließlich soll der Lehrer neben seinem Auftrag der Wissensvermittlung immer auch die Werte der Gemeinschaft transportieren, Vorbild sein. Da ist uns Heutigen natürlich ein Pädagoge wie ­»Unser Lehrer Doktor Specht« näher, den Robert Atzorn in der äußerst populären Fernsehserie geradezu idealtypisch verkörperte. 

In Filmen bildet sich der Wandel des Berufsalltags wie auch des Lehrer-Images recht plastisch ab. Und die Schule ist natürlich ein dankbarer Nährboden für Filmplots: als Mikrokosmos der Gesellschaft, mit Lehrern als Repräsentanten gesellschaftlicher Ordnung und Autorität und zugleich als Mittlern zwischen Individuum und Gemeinschaft, mit ganz zwangsläufigen Interessenkonflikten zwischen Lehrern und Schülern – da entstehen jede Menge filmreife Spannungen. Außerdem kann jede*r an die Erfahrungswelt Schule anknüpfen. Lehrerinnen und Lehrer, geliebt wie gehasst, haben das Erwachsenwerden eines jeden geprägt.

Das Genre der Schulfilme ist hierzulande zwar bei Weitem nicht so traditionsreich wie in Hollywood mit seinen Highschool-Filmen, doch ebenfalls recht umfangreich – wobei der Fokus traditionell meist auf der Schülerperspektive liegt, da sie die größten Identifikationsmöglichkeiten bietet. Klassiker wie Kästners »Das fliegende Klassenzimmer«, bereits drei Mal verfilmt (1954, 1973, 2003) – eine vierte Verfilmung soll im Oktober ins Kino kommen – oder »Die Feuerzangenbowle« nach Heinrich Spoerl (1944, Remake 1970) blicken mit mindestens so viel nostalgischem Gefühl wie Humor auf den Schulbetrieb. Die Lehrer sind dabei oft stark typisiert, als Inbegriff der Schrulligkeit etwa Professor »Schnauz« in der »Feuerzangenbowle«, 1944 von Erich Ponto verkörpert und Vorbild für viele etwas weltfremde wie pedantische »Pauker«. Bei aller kultigen Nostalgie um diesen Film wird gern übersehen, dass auch ein Schuss Nazi-Ideologie in die scheinbar keimfreie Unterhaltung eingegangen ist: Von der »neuen Zeit« und »neuen Methoden« spricht da der sympathische Junglehrer und vergleicht die Schüler mit jungen Bäumen, die man disziplinieren müsse, damit sie »schön gerade wachsen«.

Doch auch auf der entgegengesetzten, progressiven Seite des Spektrums sind die Figuren oft sehr einfach gestrickt: So rührt etwa Joachim Fuchsberger als Klassenlehrer Johann Bökh, genannt »Justus«, im »Fliegenden Klassenzimmer« mit seiner schier unendlichen Gerechtigkeit, Geduld und Verständnisinnigkeit ans rein Sinnbildhafte. 

Pennälerhumor

Vollends auf der Ebene der Karikatur bewegen sich die Lehrkörper in den überaus erfolg- und folglich zahlreichen »Lümmel«-Filmen aus den 1960er und 1970er Jahren um den stets Unfug treibenden Pennäler Pepe Nietnagel (Hansi Kraus). Schülerstreiche und Lehrersorgen werden hier in Form von heute betulich wirkenden Schwänken – nun ja, Pennälerhumor . . . – und mit musikalischen Einlagen beispielsweise von Heintje durchgenommen. Theo Lingen spielt den zerstreuten, auch etwas trotteligen Oberstudiendirektor Dr. Taft; nebenbei gibt's billige Seitenhiebe auf die »unruhige Jugend« der Endsechziger: Aus »Ho-Ho-Ho-Chi-Minh!« wird »Ho-Ho-Hose runter!« 

Im Komödienspektrum sind falsche Identitäten ein sehr beliebter Topos. So wie Heinz Rühmanns Pfeiffer »mit drei f« in Wahrheit ein Schriftsteller ist, der versäumte Pennälerstreiche nachholen will, oder einige Jahrzehnte später Christian Ulmen in der Reality-Satire »Jonas« als angeblich 18-Jähriger auf reale Mitschüler und Lehrer trifft, so treiben sich auch falsche Pädagogen an Schulen herum: Reporter Peter Alexander schleust sich als Austauschlehrer im »Lümmel«-Film »Zum Teufel mit der Penne« ins Mommsen-Gymnasium ein, um aus erster Hand über das Bildungswesen zu berichten, und wird zum Verbündeten der Schüler – womit er eine frühe Inkarnation des wohl populärsten »Lehrers« des deutschen Films ist: Zeki Müller im Kassenhit »Fack Ju Göhte« von 2013 und den Fortsetzungen. Elyas M'Barek verkörpert einen Ex-Räuber, der nur an die Goethe-Gesamtschule geht, um an die Beute aus einem Coup heranzukommen. Den bocklosen Schülern der berüchtigten Klasse 10b begegnet er auf Augenhöhe, lässig und mit rotzigem Charme sowie Ansagen wie »Chantal, heul leise!« oder »Ich geh jetzt eine rauchen, bevor ich einem von euch auf die Fresse hau«. So entwaffnet er noch die Widerspenstigsten der Klasse – und steht in krassem Kontrast zum bemühten, verwirrten und weitgehend hilflosen restlichen Kollegium um Lisi Schnabelstedt (Caroline Herfurth) und Rektorin Gudrun Gerster (Katja Riemann). Die »Fack Ju Göhte«-Reihe, so kalauernd und derb sie daherkommt, ist ein durchaus charmantes Plädoyer, bei allen Diskussionen um »Problemschüler« etc. nicht zu vergessen, dass man es bei Schülern wie Lehrern mit Individuen zu tun hat.

Zum Verbündeten der Schüler wurde bereits Heinz Rühmann als »Der Pauker«. Axel von Ambessers brave Dramödie aus dem Jahr 1958 erzählt von einem selbstgefälligen, strengen Kleinstadtlehrer, der an ein Großstadt-Gymnasium versetzt und dort mit einigen schwierigen »Rock 'n' Roll«-Jugendlichen konfrontiert wird. Es knirscht etwas, doch letztlich führen die Konflikte auf beiden Seiten zu einem positiven Wandel: Aus Rowdytum wird Dialogbereitschaft, aus Strenge Verständnis. 

Ebenfalls mit sanfter pädagogischer Haltung hat Sönke Wortmann zuletzt in den Kammerspielen »Frau Müller muss weg« (2015) und »Eingeschlossene Gesellschaft« (2022) aktuelle Konfliktlinien im Schulbetrieb thematisiert. Hier machen ganz zeitgemäß Helikoptereltern Probleme: So will eine Gruppe zwar sozial sehr heterogener, doch allesamt um die Zensuren ihrer Sprösslinge besorgter Eltern – Stichwort: »Eigentlich hochbegabt« – die Klassenlehrerin Frau Müller (Gabriela Maria Schmeide) quasi per Handstreich entsorgen. Das dafür anberaumte Gespräch mit ihr verläuft dann allerdings ganz anders als erwartet. Es stellt sich heraus, dass die geschmähte, angeblich »kaputte« Lehrerin sehr kompetent ist und obendrein auch cleverer als alle Eltern zusammen. In »Eingeschlossene Gesellschaft« ist es ein verzweifelter Vater, der am Freitagnachmittag ins Lehrerzimmer kommt und die Lehrer notfalls mit Gewalt dazu bringen will, seinem Sohn den einen Punkt zu geben, der ihn von der Abiturzulassung trennt. Die Lehrer zerfleischen sich alsbald in ihren Animositäten untereinander und geben in diesem Film ein ziemlich trauriges Bild ab: als Panoptikum aus Spießertum, Egozentrismus, Neurosen und Doppelmoral samt jeder Menge schmutziger kleiner Geheimnisse. Die sachte Kritik des Films an unserem notenfixierten Schulsystem wird allerdings von vielen formelhaften Wendungen und seichter Psychologisierung überdeckt. 

Pädagogische Utopien

Abseits der humorigen Annäherungen an die Schule gibt es im deutschen Film eine Tradition der im Schulumfeld angesiedelten Dramen mit dezidierter Kritik am bestehenden System. Herrmann Zschoche wagte mit seinem Film »Karla« 1965 sogar Kritik an DDR-Schulen. Seine Hauptfigur, eine idealistische junge Lehrerin, bemüht sich, verkrustete Strukturen aufzubrechen, und ermutigt ihre Schüler zu eigenständigem Denken – mit Konsequenzen auf und jenseits der Leinwand: Die Lehrerin wird versetzt; Zschoches Film lag Jahrzehnte auf Eis. Erst 1990 konnte er Premiere feiern. 

In den 1970er und 1980er Jahren widmeten sich einige kritische westdeutsche Filmemacher Lehrerfiguren und dem Schulsystem: Alexander Kluge schickte in seiner Episode von »Deutschland im Herbst« und dann noch mal in »Die Patriotin« Hannelore Hoger als Geschichtslehrerin Gabi Teichert auf die Suche nach der wahren deutschen Geschichte, die sie in den Standardformulierungen ihrer Schulbücher nicht finden kann. In »Vera Romeyke ist nicht tragbar« erzählt Max Willutzki von einer jungen Lehrerin, die sich für Veränderungen starkmacht, doch an der Angst konservativer Eltern vor einer »linken Indoktrination« ihrer Kinder scheitert. In »Echt tu matsch« von Claus Strigel findet Veränderung statt, ja das Schulsystem wird auf den Kopf gestellt: Die Schüler übernehmen die Macht und bestimmen nun, was und wie gelernt wird, sie vergeben sogar Noten an ihre Lehrer.

»Die Welle« (2007). © Constantin Film

Von den Utopien jener Jahre scheint beim Blick auf jüngere Filme nicht viel übrig. In Dennis Gansels auf wahren Begebenheiten beruhendem Erfolgsfilm »Die Welle« (2008) gerät bereits ein harmlos scheinendes Experiment in Form einer Projektwoche zur Entstehung von Totalitarismus vollkommen aus dem Ruder. Der Glaube des Gymnasiallehrers (Jürgen Vogel) an Aufklärung und Demokratie verliert sich in der Dynamik autoritärer Verhaltensmuster. Dass überhaupt große politische Fragen in Schulfilmen verhandelt werden, ist allerdings selten geworden. Stattdessen sind es ganz konkrete und akute gesellschaftliche Debatten und Ängste, die sich im Film spiegeln. Besonders Fernsehspiele greifen virulente Themen auf: So erzählen »Ihr könnt euch niemals sicher sein« (2008) und »Die Lehrerin« (2011) von der Angst vor beziehungsweise den Folgen von Amokläufen von Schülern – als Echo der furchtbaren realen Geschehnisse in Erfurt und Emsdetten. Den Umgang mit dem Verdacht sexueller Gewalt unter Schülern thematisiert das preisgekrönte Kammerspiel »Die Konferenz« (2002) von Niki Stein; die »Kopftuchdebatte« ist Thema in Buket Alakus' Drama »Die Neue« (2015); »Rufmord« (2018) von Viviane Ander­eggen erzählt von einer unkonventionellen Lehrerin, deren Existenz nach dem Auftauchen eines Nacktfotos im Internet ins Wanken gerät.

Affären und Skandale

Lehrer stehen stets im Blickpunkt, können sich kaum verstecken. Ihre Aufgabe verlangt Präsenz. Was ist da für sie bedrohlicher, als wenn ausgerechnet sie sich einen moralischen Fehltritt leisten – beziehungsweise wenn ein solcher bekannt wird? Filme über Lehrer auf Abwegen sind Legion, und was bietet sich in dem Zusammenhang besser an als Sex- und Liebesaffären? In den 1950er Jahren genügt schon der leiseste Verdacht unangebrachten Verhaltens: Im Drama »Immer wenn der Tag beginnt« spielt Ruth Leuwerik eine Lehrerin, die sich auch persönlich für ihre Schüler einsetzt – und einen besonderen Zugang zum einsamen Oberprimaner Martin (Christian Wolff) findet, der ihr hoffnungslos verfällt. Sie bewahrt die nötige Contenance, doch als sein Tagebuch voller Liebesbekenntnisse dem Rektor in die Hände fällt, führt das beinahe in eine Katastrophe. In Wolfgang Petersens »Tatort«-Klassiker »Reifezeugnis« wird Christian Quadflieg als Gymnasiallehrer, der eine Affäre mit einer 17-jährigen Schülerin (gespielt von der damals erst 15-jährigen Nastassja Kinski) hat, zum Ziel einer Erpressung. Schlimmere Folgen allerdings hat die Geschichte für die Schülerin und deren Freund: Wegen der Affäre wird sie zur Mörderin an ihm. 

Es liegt wohl an der auch jenseits der Minderjährigkeit fragwürdigen Konstellation Schüler*in/Lehrer*in, dass solche Verhältnisse in Filmen grundsätzlich kein Happy End finden. Auch nicht die hochromantische Liebesgeschichte zwischen Lehrerin (Julia Koschitz) und 18-jährigem Schüler (Jonas Nay) in einem Nordseekaff der 1960er Jahre in Thorsten M. Schmidts TV-Drama »Schweigeminute« (2016) nach Siegfried Lenz. Hier ist es ein Segelunfall, der wie ein Deus ex Machina die Zukunftsträume der Verliebten zerstört.

Bereits in zwei zentralen Klassikern des Weimarer Kinos stellt die Liebe die größte Bedrohung für Pädagogen dar: In Leontine Sagans Weimarer Klassiker »Mädchen in Uniform« mit Hertha Thiele (später neu verfilmt mit Romy Schneider) sind es die zärtlich-unschuldigen Schwärmereien einer Schülerin für ihre einfühlsame Klassenlehrerin in einem Potsdamer Internat der Kaiserzeit, die beinahe in eine Tragödie münden. Preußische Härte, Zucht und Ordnung, wie sie von der drakonisch strengen Oberin verkörpert werden, stellt der Film mit auch heute noch erstaunlicher Deutlichkeit in ihrer ganzen Lebensfeindlichkeit bloß. Und dann ist da natürlich Gymnasialprofessor »Unrat«, der eigentlich Rath heißt, in Josef von Sternbergs »Der blaue Engel«: Emil Jannings, in anfangs noch strenger, überpedantischer – und dabei zwangsläufig wieder skurriler – Verkörperung von wilhelminischer Bürgerlichkeit und Pädagogik alter Schule, verfällt rettungslos Marlene Dietrich als Tingeltangel-Sängerin Lola Lola und geht daran zugrunde. Seine Gelehrsamkeit kann ihm auf dem Gebiet der Triebe und Gefühle nicht helfen, und das immer wieder ertönende »Üb immer Treu und Redlichkeit« ist nur noch ein höhnisches Echo, wenn seine Liebe ihn buchstäblich zum Clown gemacht hat. 

Je höher der moralische Anspruch, desto tiefer der Abgrund, auch wenn es nicht ganz so bizarr werden muss wie in Andreas Kleinerts böser Kleinstadtfabel »Freischwimmer« (2007), in der ein manischer Kunstlehrer (August Diehl) in seinem Haus im Wald seine ganze Schulklasse in Gestalt lebensgroßer Puppen nachbaut. 

Willkommen in der Wirklichkeit

Ungefähr seit der Jahrtausendwende werden Lehrer*innen deutlich häufiger zu Filmhauptfiguren, und häufiger ist der Tonfall ernst, sind die Themen wirklichkeitsnah. Ohne dass explizit auf Themen wie Lehrermangel, Pisa-Desaster oder drastische Burn-out-Raten rekurriert werden muss, bilden sie für diese Filme die Grundierung. Ein Gespür für die Schwierigkeiten, doch auch den Reiz und die Wichtigkeit des schulischen Lehrens zeigen nicht nur Dokumentarfilme wie »Zwischen den Stühlen« (2016) über drei Referendare und Maria Speths zu Recht vielfach preisgekrönter »Herr Bachmann und seine Klasse« (2021) über einen hessischen Lehrer, der auf bewundernswerte Weise Disziplin und Offenheit, Nüchternheit und Einfühlung, Konzentration und Spaß verbindet. Neben bereits erwähnten Fernsehfilmen war es im Fiktionalen insbesondere Lars Kraumes Berlinale-Beitrag »Guten Morgen, Herr Grothe« (2007), der ein präzises Lehrerporträt zeichnete. Sebastian Blomberg spielt den Deutschlehrer Grothe, der sich so sehr für seine Klasse engagiert, dass nicht nur sein Privatleben, etwa die erst entstehende Beziehung zu einer Kollegin (Nina Kunzendorf), leidet. Grothe droht auch sich selbst zu verlieren, als er sich in den Kopf setzt, den ständig Grenzen überschreitenden Nico (Ludwig Trepte) auf den rechten Weg zu bringen, dabei aber selbst Grenzen überschreitet. Dem Film gelingt ein sympathisierendes, doch schonungsloses Psychogramm, das gleichwohl mit einer versöhnlichen Note endet.

Den langsamen, aber unaufhaltsamen seelischen Untergang einer Lehrerin schildert Maren Ade in ihrem herzzerreißenden Debütfilm »Der Wald vor lauter Bäumen« (2003) in halb dokumentarischem Stil auf Video. Mitleiden, Fremdschämen und furchtbare Komik, häufig im selben Moment, durchlebt man, wenn man der schwäbischen Berufsanfängerin Melanie Pröschle zusieht, wie sie an einer Schule im badischen Freiburg Fuß zu fassen und sich an dem neuen Wohnort einzuleben versucht. Mit brutaler Präzision und untrüglichem Gespür für Milieu, Sprache und Situationen liefert Ade die Analyse eines umfassenden Scheiterns – an der Einsamkeit, der eigenen Naivität und Unbeholfenheit wie auch an der Stumpfheit der anderen. Wenn Melanie auf den Anschlag eines Schülers empört mit »Du kannsch mich doch net mit Kaba bewerfe!« reagiert, kommt nur ein ungerührtes »Doch, kann ich!« zurück. 

Dass Ìlker Çatak in seinem neuen Film »Das Lehrerzimmer« eine zentrale Figur mit ebenjener Eva ­Löbau besetzt hat, die damals die Melanie Pröschle so famos verkörperte, ist natürlich kein Zufall – und auch nicht der einzige Bezug zu Maren Ades Film. Auch hier will die von Leonie Benesch gespielte Neue an der Schule alles richtig machen, in einem Alltag voller Fallstricke und Fettnäpfchen. Gerade ihr Beharren auf dem moralisch Richtigen treibt sie aber immer weiter in eine Spirale haarsträubender Eskalation, mit Schülern, mit Eltern und mit den Kolleg*innen. Es gibt in Çataks Film kein Draußen, alles spielt innerhalb der Schule, vom Privatleben der jungen Lehrerin erfahren wir nichts. Dieser eingeschränkte Blick, unterstützt vom Bildformat 4:3, verstärkt noch den Eindruck einer zwangsläufigen Überforderung: Überall zuwiderlaufende Interessen und verhärtete Fronten, Konflikte und Widersprüche, so viele Wahrheiten wie Individuen – wieder einmal ist die Schule ein Spiegel der gesamten zerrissenen Welt, und die Lehrerin steht in der Verantwortung. Neidisch wird man nicht.

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