Oscar Isaac: Der diskrete Held

»The Card Counter« (2021). © Lucky Number, Inc.

»The Card Counter« (2021). © Lucky Number, Inc.

Gerade war er in Paul Schraders »The Card Counter« zu sehen, nun spielt er Marvels »Moon Knight«. Oscar Isaac ist ­gerade überall – gut so. Ein Porträt von Anke Sterneborg

Nein, Star sei er keiner, behauptet Oscar Isaac, er sei Schauspieler. Tatsächlich gilt das auch dann, wenn er zentrale Rollen in millionenschweren Blockbustern übernimmt, als Kampfpilot Poe Dameron im »Star Wars«-Universum, als Superbösewicht Apocalypse im »X-Men«-Universum oder ganz aktuell als »Moon Knight« bei Marvel. Oscar Isaac ist einer, der auch die schillerndste Rolle aufs irdische Maß herunterholt. Auf diese Weise verwandelt er Superhelden in tragische Menschen aus Fleisch und Blut, das gilt selbst für den gottgleichen Mutanten Apocalypse, der mit blau schimmernder Haut, 20-Kilo-Panzer aus dem 3D-Drucker und monströsem Helm sehr fremd aussieht. Er mag die Menschheit ausrotten wollen, aber nur weil er an ihren destruktiven Trieben verzweifelt. Egal, wen Oscar Isaac spielt, stets verleiht er der Figur eine Prise Melancholie und nachdenklichen Ernst. »I am playing myself, because I have only myself to play with«, sagt er über seine Fähigkeit, die abgehobensten Parts zu erden. Was natürlich auch wieder das Understatement eines Stars ist, der einfach nur Charakterdarsteller sein will.

»X-Men: Apocalypse« (2016). © 20th Century Fox

Geboren wurde Oscar Isaac Hernández Estrada 1979 in Guatemala als Sohn einer Guatemaltekin und eines kubanischen Lungenforschers, die mit ihrem Baby bald nach Amerika auswanderten. Die Funken seiner Karriere wurden bereits im Familienalltag gezündet durch seinen Vater, der seine künstlerischen Interessen privat hinter der Videokamera auslebte und mit seinen Kindern ambitionierte Home Movies von Familienreisen produzierte. Später kamen Martial-Arts-Abenteuer dazu, die Oscar mit Freunden drehte; im Wesentlichen ging es darum, zu kämpfen, während die Kamera lief. Auch kleine Horrorfilme entstanden bereits. Etwa ab der 5. Klasse engagierte er sich bei Schultheateraufführungen, schrieb unter anderem eine Musicalversion der Geschichte von Noahs Arche, die er als große Schulproduktion auf die Bühne brachte. Dazu kamen Auftritte als Musiker, in wechselnden Punk- und Ska-Konstellationen. Einen Erweckungsmoment, den er selbst im »Conversations at Home«-Interview der Sag-Aftra Foundation in Anlehnung an »The Usual Suspects« als »Keyser Söze«-Moment bezeichnet, hatte er, als er Tim Curry als finsteren Teufel in Ridley Scotts »Legende« bewundert hatte und ihm klar wurde, dass das derselbe Typ ist, der in der Krimikomödie »Clue« den lässig amüsanten Butler gespielt hatte – nur eine besondere Art, die Lippen zu schürzen, hatte ihn verraten. Plötzlich eröffneten sich unendliche Möglichkeiten, sich in jemand anderen zu verwandeln. Später erzählte Isaac, dass seine Eltern kaum eine Chance gehabt hätten, ihn von seinem Berufswunsch abzubringen, weil er das Spielen so früh und intensiv erlebt hatte.

Neben einer Reihe von Bühnenauftritten verschaffte ihm Kevin Bray 2002 die erste kleine Kinorolle neben Ice Cube und Mike Epps in der Actionkomödie »All About the Benjamins«, und wenn man sieht, wie er da seinem Boss Paroli bietet, nur weil der sich nicht mal die Mühe macht, sich seinen Namen zu merken, ahnt man, was der Regisseur meinte, als er Isaac einen »kubanischen Al Pacino« nannte. Irgendwann spazierte er in New York an der renommierten Juilliard School vorbei, hatte den Anmeldeschluss leider knapp verpasst, brachte seine Bewerbungsunterlagen am nächsten Tag dennoch vorbei und hatte Glück, auf eine gnädige Sekretärin zu treffen. Von den strikten Regeln der Schule hielt der schon in der Highschool aufmüpfige Schüler eher wenig. Was ihn aber faszinierte, war die Verbindung zur Geschichte der Theaterkunst, die Tradition der klassischen Theaterarbeit mit ihren 500 Jahre alten Texten, die uns heute noch ansprechen, dazu das Handwerk, die intensive Arbeit mit einzelnen Szenen, das systematische Herunterbrechen eines Stückes, die Kreation eines Charakters, der Einsatz der Körpersprache, die Arbeit mit Stimme und Atem. Auch mit diesen Wurzeln im Theater erklärt sich die Ernsthaftigkeit und Erdung, die er selbst Figuren im bombastischen Blockbuster-Umfeld gibt.

»Agora – Die Säulen des Himmels« (2009). © Tobis Film

Nach dem Abschluss der Juilliard-Ausbildung spielte er mit wilden Locken und wucherndem Bart in Catherine Hardwickes »The Nativity Story« einen feurig entschlossenen und ziemlich sexy wirkenden Joseph. Mit kantigen Zügen, dunklem Teint und ausgeprägtem Akzent absolvierte Isaac zunächst eine Reihe kleinerer Nebenrollen im typischen Latinofach der thugs, bevor seine noch immer ethnisch geprägten Auftritte differenzierter wurden, unter anderem als römischer Präfekt im Alexandria von Alejandro Amenábars »Agora«, als armenischer Medizinstudent im Konstantinopel von »The Promise« unter der Regie von Terry George und in Nicolas Winding Refns »Drive«: Da kehrt er aus dem Gefängnis zurück und spürt, dass ihm der von Ryan Gosling gespielte hilfsbereite Nachbar gefährlich werden kann als Rivale um die Liebe seiner Frau – eine Gefahr, die er mit einer lauernden Mischung aus Höflichkeit und Drohung pariert. In »PU-239« hatte er 2006 fast schon eine Hauptrolle, als schillernd nervöser Amateurgangster, der den tödlich verstrahlten Arbeiter eines sowjetischen Atomkraftwerks (Paddy Considine) dabei unterstützt, hochkonzentriertes Plutonium zu verkaufen, als Absicherung für seine bald auf sich gestellte Familie. Seine Familiennamen Hernández und Estrada hatte Oscar Isaac früh fallen lassen, um der Latino-Typecasting-Falle keinen Vorschub zu leisten. Wesentlichen Anteil daran, dass sich das Feld der Möglichkeiten zunehmend erweiterte, hatte Ridley Scott, der Isaac 2008 in »Body of Lies« neben Leonardo DiCaprio als irakischen Field Agent des amerikanischen Geheimdienstes besetzte und zwei Jahre später mit der Rolle des zukünftigen Königs in »Robin Hood« betraute.

Stetig wurden die Rollen größer und vielschichtiger, ein Aufstieg, der Oscar Isaac Ruhe und Zeit gab, um sich zu entwickeln, der ihn langsam auf den ganz großen Erfolg vorbereitete. Der wuchs ihm nie über den Kopf, sein Privatleben etwa schirmt er entschieden ab: »Mich interessiert es nicht, den Zuschauern mein Leben zu präsentieren. Was ich aufregend finde, ist, ihnen meine Fantasie zu zeigen.« Es waren die Coen-Brothers, die ihm 2013 – da war er schon Mitte dreißig – den großen Durchbruch ermöglichten, mit der ersten echten Hauptrolle in »Inside Llewyn Davis«. Es ist eine Ironie des Schicksals, aber auch bezeichnend, dass Oscar Isaac berühmt wurde mit der Rolle eines vom Schicksal gebeutelten melancholischen Losers, eines fiktiven Folkmusikers, der es nicht schaffte, weil er ein bisschen zu früh dran war, kurz bevor Bob Dylans Erfolg dem Folk neue Perspektiven eröffnete. Energisch erkämpfte sich Oscar Isaac die Rolle, bekommen hat er sie dann wohl vor allem wegen seiner musikalischen Erfahrungen und Talente.

Die Coens lieben es, ein Füllhorn von Schicksalsschlägen und Missgeschicken über ihre Helden zu ergießen. Das gilt auch für Llewyn Davis, der im kalten New York der frühen sechziger Jahre eine lange Woche der Demütigungen erlebt. Kläglicher Beifall beim Auftritt auf einer Kleinkunstbühne im Greenwich Village, miese Bezahlung für die Unterstützung fremder Projekte als Studiomusiker, wüste Beschimpfungen einer ungewollt schwangeren Ex-Freundin, müde Vertröstungen seines betagten Agenten und dann auch noch Prügel in einer nächtlichen Gasse. Wohnungslos hangelt sich Llewyn von einer Couch zur nächsten, von einer Gefälligkeit zur anderen, und dann entwischt auch noch die Katze des aktuellen Gastgebers. Die sich häufenden Enttäuschungen zehren an ihm; immer melancholischer und bitterer, ungerechter und aufbrausender wird er darüber. »Llewyn ist charismatisch, gesellig, offen und positiv«, sagt Isaac, »aber nicht in dieser Woche.« So erzählt »Inside Llewyn Davis« auch von der Energie, die man braucht, um sich als erfolgloser Künstler am Rande des Existenzminimums durchzuschlagen. Auch Oscar Isaac erlebte dürre Jahre und eine ganze Reihe von Auditions, bei denen er die Rolle nicht bekam, und wenn doch, kam das Projekt nicht zustande.

Doch nach »Inside Llewyn Davis« nahm seine Karriere Fahrt auf, zunächst mit der Highsmith-Murder-Mystery-Verfilmung »Die zwei Gesichter des Januars«, in der er in der staubigen Hitze Griechenlands Viggo Mortensens amerikanischen Tourguide spielte, mit Julian Schnabels Biopic »Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit«, in dem er dessen Künstlerfreund Gauguin verkörperte, vor allem aber mit »A Most Violent Year« von J. C. Chandor, dem ersten gemeinsamen Auftritt mit Jessica Chastain, mit der er seit der gemeinsamen Lehrzeit an der Juilliard School befreundet war und die sich hier selbst und dann auch ihn ins Spiel gebracht hatte. Die beiden spielen ein mondänes Paar, er im Kamelhaarmantel, sie blond und glamourös im eleganten weißen Mantel. Im für seine explodierende Kriminalstatistik berüchtigten Jahr 1981 kämpfen sie mit hohem Einsatz gegen Korruption und organisiertes Verbrechen um ihren amerikanischen Traum. Er ist Abel Morales, ein lateinamerikanischer Einwanderer, zusammen mit seiner Frau Anna hat er in New York eine florierende Heizölfirma aufgebaut, die durch den Ankauf eines riesigen Industriegeländes entscheidend vergrößert werden soll, was aber mit einem schwindelerregenden Risiko verbunden ist. Wie so oft in wichtigen Rollen ringt Isaacs Figur darum, in einem schmutzigen Geschäft die Integrität zu wahren. Dagegen schreckt Abels Frau, die den Namen Morales nur angenommen hat, als Tochter eines Gangsters vor zwielichtigeren Methoden nicht zurück. J. C. Chandor erzählt das spannend, aber nicht hektisch, mit langem Atem und genauer Beobachtung, so wie Abel, wenn er seinen Vertretern beibringt, wie sie die Kunden überzeugen sollen, mit langen Blicken, die Zuversicht, Selbstbewusstsein und Ruhe verströmen.

»A Most Violent Year« (2014). © Universum Film

Sieben Jahre später vertieften die beiden ihre Zusammenarbeit in der Miniserie »Scenes from a Marriage«, die den Bergman-Serien-Klassiker über Liebe und Trennung, Anziehung und Abstoßung, Begehren und Hass auf herzzerreißende Weise auf den Stand moderner Beziehungen bringt: ein Update fast ein halbes Jahrhundert später und eine emotionale Achterbahnfahrt. Wie einst Bergman entschied sich der Israeli Hagai Levi für zwei Schauspieler, die sich kennen und intensiv befreundet sind, allerdings mit vertauschten Rollen, denn hier ist es die Frau, die den besser bezahlten Job mit den Dienstreisen hat und ihrem meist zu Hause ­arbeitenden, die Kinder versorgenden Ehemann eine Affäre mit einem jüngeren Mann und das Ende der Ehe verkündet. Die Intimität ihres Spiels, was die beiden da an zermürbend destruktiven Dialogen und brutal rohen Gefühlsexplosionen hinlegen, geht auch dem Zuschauer an die Nieren. Die Serie war für Oscar Isaac zugleich der erste bedeutende Credit in seiner neuen Eigenschaft als Produzent.

Aber zurück ins Jahr 2015, in dem er mit »Ex Machina« eine weitere Glanzrolle hatte, als geheimnisvoller CEO, der mit künstlicher Intelligenz experimentiert und seinen manipulativen Machtspielen am Ende selbst zum Opfer fällt. Mit vollem schwarzem Bart, geschorenem Schädel, mit fragiler Nickelbrille und legerer Kleidung, meist weißes T-Shirt und schwarze Trainingsanzüge, unterfüttert er eine schläfrig magnetische Präsenz mit gefährlichen Noten und einer guten Prise Wahnsinn. Isaac sagte selbst, er habe sich bei dieser Rolle an Stanley Kubrick orientiert. Sein Nathan lebt in einem James-Bond-Bösewicht-würdigen hypermodernen Haus, das fern der Zivilisation in eine idyllische Landschaft eingebettet und nur per Hubschrauber erreichbar ist. Hier umgibt Nathan sich mit seinen unheimlichen Schöpfungen und führt, befeuert von Alex Garlands Regie, vor, dass eine Tanzszene auf andere Weise cool und zugleich gruselig sein kann, als es Quentin Tarantino und John Travolta in »Pulp Fiction« vorgemacht haben: Als der junge KI-Forscher Caleb, den er als Versuchskaninchen in sein Labor geholt hat, eine der geisterhaft umherwandelnden KIs hindern will, sich vor ihm auszuziehen, schleicht Nathan sich, Bierflasche in der Hand, wie eine Raubkatze in den abgedunkelten Raum. »Ich hab' dir doch gesagt, dass du deine Zeit verschwendest, mit ihr zu reden. Keine Zeitverschwendung wäre es, mit ihr zu tanzen.« Mit ein paar Handgriffen auf dem Kontrollboard schaltet er »Get Down Saturday Night« von Oliver Cheatham an. »Come on dance with her!«, fordert er, während er im wortwörtlichen Sinne die Puppe tanzen lässt, in seinem Leben ohne Bindungen, in dem Menschen nur Material sind, mit zugeordneten Funktionen. Mit den Worten »I'm tearing up the fucking dance floor, check it out!« weicht er allen Fragen Calebs aus und lässt sich mit seiner hier massig hochgetunten Physis in den Rhythmus fallen. Sehr schnell hat die starke, vieldeutig aufgeladene Szene Einzug gehalten in den Kanon der GIFs.

»Ex Machina« (2015). © Universal Pictures

Und dann kam im selben Jahr noch die Miniserie »Show Me a Hero« heraus. Über sieben Jahre folgt sie der politischen Karriere des realen Nick Wasicsko, der 1987 in der nördlich von New York gelegenen Kleinstadt Yonkers zum jüngsten Bürgermeister Amerikas gewählt wurde. Sieben Jahre, in denen seine Ideale systematisch aufgerieben werden, im zermürbenden politischen Alltag mit zähen Verhandlungen und korrupten Absprachen in Hinterzimmern, bei öffentlichen Verhandlungen in Konferenzräumen und Gerichtssälen. Nick Wasicsko ist wieder so ein Held, der seine Integrität gegen das System verteidigt, worin sich in gewisser Weise auch die Haltung von Oscar Isaac im Filmgeschäft spiegelt. Immer wieder nehmen individuelle, menschliche Erfahrungen in seinem Spiel auch eine universelle Dimension an, immer wieder lässt er historische Szenarien in die Gegenwart strahlen, in der nach wie vor soziale und polizeiliche Ungerechtigkeit race riots auflodern lässt.

Danach öffneten sich die Schleusen von »Star Wars«, »X-Men« und Marvel: »Wie alle großen Filmstars, ob sie nun Harrison Ford oder Tom Cruise heißen, hat er vor allem ein interessantes Gesicht«, sagte »X-Men«-Regisseur Bryan Singer über seinen Star: »Oscar hat etwas Ägyptisches, etwas Asiatisches und etwas Südamerikanisches. Sein Gesicht verkörpert den universalen Menschen.« Diese »globale Architektur seines Gesichts« war ein entscheidendes Argument für seine Besetzung als Apocalypse. So stellt er all diesen Mega-Franchises seine diskrete Attraktivität zur Verfügung, ohne sich je vereinnahmen zu lassen. Beharrlich sorgt er für ein Gegengewicht im Independent- und Arthouse-Kino, zuletzt in Paul Schraders »The Card Counter«, in dem er die Reihe der gequälten, getriebenen Männerfiguren im Werk des Autors und Regisseurs um ein besonders intensives ­Exemplar erweitert. Es genügt ein Blick in die schwermütigen Augen des von Oscar Isaac gespielten William Tell, um zu begreifen, dass die Geister von Abu Ghraib noch lange durch die amerikanische Geschichte spuken werden.

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