Nahaufnahme von Tobias Moretti

Dunkle Geschichten
»Deutschstunde«(2019). © Wild Bunch

»Deutschstunde«(2019). © Wild Bunch

Zu Beginn seiner Karriere kümmerte er sich um einen Schäferhund, Kommissar Rex genannt, später spielte er Opportunisten und Patriarchen: In diesem Monat brilliert der österreichische Schauspieler Tobias Moretti in der Siegfried-Lenz-Verfilmung »Deutschstunde«

Viele Getriebene hat er gespielt, Künstlerfiguren, Maler und Literaten, Männer mit Abgründen und oft auch in politisch schwierigen Zeiten, so wie den Filmemacher Luis Trenker oder jetzt den verfolgten Maler Max Ludwig Nansen in der Verfilmung von Siegfried Lenz' »Deutschstunde«. Zugleich hat er aber auch eine natürliche Präsenz, die ihn für Autoritätspersonen prädestiniert, weil er die Blicke auf sich zieht, ohne sichtbar etwas dafür tun zu müssen. Etwa wenn er als Hans Brenner in der verschneiten Berglandschaft steht, im finsteren Tal des wuchtigen Schneewestern-Heimatfilms (2014) von Hans Prochaska, wenn er den rätselhaften Fremden, der in den Ort gekommen ist, gleich wieder verscheuchen will. Ein Mann, der alle im Dorf das Fürchten lehrt, vor allem die jungen Mädchen, die die Hochzeitsnacht statt mit dem Geliebten mit ihm und seinen Brüdern verbringen müssen. Dass der durchaus intellektuelle Theaterschauspieler und Opernregisseur auch solche Bauern- und Naturburschen auf ganz natürliche Weise verkörpern kann, mag an seiner Herkunft in den Tiroler Bergen liegen, vielleicht gehört es aber auch einfach zu den Widersprüchen, die sein Spiel auf immer wieder neue Weise aufregend machen. Auch die rastlosen Existenzen verströmen bei ihm eine innere Ruhe, was auch daran liegen mag, dass er sich generell weniger auf Worte stützt als auf die diskreten Signale einer gedrosselten Mimik und Gestik, auf eine Präsenz, die mit den Jahren immer ausdrucksstärker und vielschichtiger wird, mit einer immer raueren Stimme, immer tiefer liegenden blauen Augen und der markanten, wohl irgendwann mal gebrochenen Nase.

Geboren ist Tobias Moretti als Tobias Bloéb im Tiroler Dorf Gries am Brenner, den mütterlichen Mädchennamen nahm er erst mit 24 an. Nach der österreichischen Matura begann er zunächst ein Musik- und Kompositionsstudium, das er bald wieder aufgab, weil ihm die Liebe zur Musik im theoretisch und mathematisch angelegten Studiengang fehlte. Er wechselte an die Münchner Otto-Falckenberg-Schauspielschule und begann von dort ausgehend eine von Anfang an hochkarätige Bühnenkarriere, die ihn vom Bayerischen Staatsschauspiel und den Kammerspielen zu den Salzburger Festspielen und ans Burgtheater führte, bis er 2017 als Jedermann triumphierte. In der Titelrolle von Hugo von Hofmannsthals Stück setzt sich der wohlhabende Jedermann mit Gott, Tod und Teufel, Mammon und Glaube auseinander, also all den großen Themen der menschlichen Existenz, die den Schauspieler auch sonst beschäftigen. Immer wieder erforschte er die düsteren Kräfte des Nationalsozialismus, versuchte in Heinrich Breloers Miniserie-Dokudrama »Speer und er« (2005) sogar die Geheimnisse von Hitler zu ergründen: »Das kann doch nicht sein, dass der nur ein schreiender Wahnsinniger ist«, sagte er sich und brachte ihn mit dickem Schnauzer, schwarzem Haar-Helm und aufbrausendem Temperament zum Schillern. Ein zweites Mal wollte er ihn dann in der internationalen Großproduktion »Operation Walküre« aber nicht spielen. Nach drei Jahren reiflicher Überlegung ließ er sich darauf ein, den Opportunisten Luis Trenker zu ergründen, in »Luis Trenker – Der Schmale Grat der Wahrheit« (2014), auch als Auseinandersetzung mit dem eigenen Vater. Für Oskar Röhler spielte er den Jud Süß-Darsteller Ferdinand Marian, in »Jud Süss – Film ohne Gewissen« (2010), und demnächst wird er beim großen Terrence Malick in »Ein verborgenes Leben« als deutscher Pfarrer zu sehen sein, der in den Nazizeiten falsche Kompromisse macht.

»Jud Süss – Film  ohne Gewissen« (2010). © Concorde Filmverleih

Immer geht es dabei auch darum, Geschichte in die Gegenwart zu holen, auch wenn er in Joachim Langs Film über die Entstehung des Dreigroschenfilms als Gangsterkönig Mackie Messer die allgemeingültige Frage stellt »Was ist ein Einbruch in die Bank gegen die Gründung einer Bank?«, eine Frage, die er dann, in der Serie »Bad Banks« (2018), als skrupelloser Finanzvorstand der fiktiven Global Invest quasi beantwortete. Aber auch die Auswirkungen der jüngeren deutschen Geschichte erforscht Moretti, in Nina Grosses Verfilmung von Bernhard Schlinks Roman »Das Wochenende«, in der ein aus der Haft entlassener RAF Terrorist auf die bürgerlich eingerichteten Freunde und Familienmitglieder von früher trifft.

Der erste, der ihn 1988 ins Kino holte, in einer kleinen Rolle als Bergwachtmann in »Der Fluch« (1988), in dem von den Bergen eine düstere Kraft ausgeht, war Ralf Huettner. Wirklich bekannt wurde er dann ein paar Jahre später als erster Sidekick des titelgebenden Schäferhundes in der Serie »Kommissar Rex« (1994). Seinen Kriminalinspektor und Frauenschwarm Richie Moser reicherte er mit subversivem Humor und aufbrausendem Temperament an und vermittelte vor allem, statt bürokratischer Pflicht des deutschen Standardermittlers, echtes, menschliches Interesse an Opfern und Tätern. Auch spätere Polizeibeamte, etwa in der Wolf-Haas-Verfilmung »Das ewige Leben« (2015) oder in Stefan Ruzowitzkys hartem Wiener Action-Thriller »Die Hölle –Inferno« (2017) bringen immer ihre eigenen dunklen Geschichten in den Fall. »Das Wichtigste in meinem Beruf ist die Freiheit, die Autonomie«, sagte Tobias Moretti auf dem roten YouTube-Interview-Stuhl: »Dass ich nicht davon leben muss, denn in dem Moment bin ich auch nicht erpressbar. Zu sagen, ich mach meinen Beruf, weil ich ihn machen will, machen muss, aus einem inneren Drang heraus, das muss der alleinige Motor sein und nicht diese Scheiß-Kohle.«

Seine Unabhängigkeit sichert er sich, ähnlich wie Sepp Bierbichler auch durch einen 400 Jahre alten Milchbauernhof, den er mit seiner Familie, der Musikerin Julia Moretti und drei Kindern in der Nähe von Innsbruck profitabel betreibt. So finden sich in dieser ehrlichen, fleißigen Filmografie auch keine erkennbaren Kompromisse. Zugleich bietet die physische Arbeit wohl auch ein gutes Gegengewicht zur geistigen Erarbeitung der Rollen. Darsteller auf Bühnen und vor der Kamera, Opern-Regisseur, Rinderzüchter und Zucchini-Bauer und dazu noch leidenschaftlicher Rallye-Fahrer: Obwohl Tobias Moretti ein Arbeitswahnsinniger ist, merkt man ihm die Rastlosigkeit nicht an, nie wirkt er hyperaktiv oder gehetzt, immer nachdenklich und in sich ruhend, manchmal brütend. Neben den vielen düsteren Rollen, zu denen auch das schmerzlich ehrliche Psychogramm einer Schizophrenie in »Hirngespinster« (2014) gehört, lebt er gelegentlich auch eine dezent komische Note aus, als Schwarzer Ritter in der Mittelalterklamotte »1 ½ Ritter« (2008), wo er im Unterschied zu Til Schweiger in der Ritterrüstung auch gar nicht verkleidet wirkt, und ein bisschen subversiver in »Therapie für einen Vampir« (2014) , wo er sich als untoter Graf Geza von Közsnöm nach 400 Jahren Ehe therapeutischen Rat bei keinem Geringeren als Sigmund Freud holt.

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