Nahaufnahme von Denis Ménochet

Der Mann, der weint
Denis Ménochet mit Hanna Schygulla in »Peter von Kant (2022). © MFA+Filmdistribution

Denis Ménochet mit Hanna Schygulla in »Peter von Kant (2022). © MFA+Filmdistribution

Denis Ménochet spielt meist Nebenrollen – aber solche, die einem Film Fundament geben. Jetzt ist der Bretone, der zwischen französischen und internationalen Produktionen switcht, im Zentrum von François Ozons neuem Film gelandet: als Titelstar der Fassbinder-Hommage »Peter von Kant«

Quentin Tarantino nannte ihn den »französischen Robert Mitchum«. Und französische Filmkritiker feiern Denis Ménochet als Wiedergänger ihrer eigenen Kino-Ikonen, bescheinigen ihm eine Statur à la Lino Ventura und, darunter geht es nicht, ein Charisma wie Jean Gabin (»Libération«). So inflationär solche Zuschreibungen sind – auch Jean Reno wurde mit Mitchum verglichen –, so ist dennoch wahr, dass es amerikanischer Nachhilfe bedurfte, um das Format dieses Darstellers zu entdecken.

Seinen Durchbruch feierte Denis Ménochet, der im September 46 wird, im eher reifen Alter von 33 Jahren. Wer Quentin Tarantinos Alternate-History-Drama »Inglourious Basterds« (2009) gesehen hat, wird Ménochets Auftritt zu Filmbeginn als französischer Bauer, der seine jüdischen Nachbarn unter dem Boden seines Hauses versteckt hat, wohl nie vergessen. Darin sitzt SS-Mann Hans Landa am Küchentisch und erpresst Ménochet als Perrier LaPadite in einem anfangs leutseligen Dialog zum Verrat. Die in caravaggiohaft ausgeleuchteter Nahaufnahme seines Gesichtes inszenierte Szene, in der LaPadite, äußerlich stark wie ein Ochse, innerlich zusammenbricht, ist qualvoll, eigentlich kaum aushaltbar. Und doch ist es zugleich faszinierend mitzuerleben, wie sich bei seinen einsilbigen Antworten diese starre Gesichtslandschaft unmerklich verwandelt und in abgrundtiefer Scham auflöst. Dieser spannungsgeladene Dialog, erklärte Ménochet in einem Interview, sei eine Reprise des »sizilianischen Dialogs« aus Tarantinos Drehbuch für Tony Scotts Thriller »True Romance«. Dass Christopher Walken und Dennis Hopper die gleichen Vornamen haben wie die Protagonisten in »Inglourious Basterds«, ist für ihn kein Zufall. Wie dem auch sei: Diese stilbildende Sequenz erzeugte neben dauerhafter Gänsehaut zwei zukünftige Stars. Während Christoph Waltz sofort zum Lieblingsschurken Hollywoods aufstieg, nahm Ménochet Film um Film an Gewicht zu. Zu Beginn seiner Laufbahn hatte er sich als Statist und in Kurzfilmen durchgeschlagen. Dann trat er unter ferner liefen im Fernsehen und in nationalen Großproduktionen wie »La vie en rose« und »Coco Chanel«, aber auch in »Hannibal Rising« auf. Denn der groß gewachsene Bretone, mit seinen dunklen Haaren und den wasserblauen Augen in seinen Zwanzigern so apart wie etwa Rufus Sewell, ist zweifellos ein Hingucker. Er hat aber einen weiteren Bonus, der in der Branche immer wichtiger wird: Er ist zweisprachig. Als Sohn eines vielreisenden Erdölingenieurs in der ganzen Welt aufgewachsen, besuchte er bis zum Alter von zehn Jahren englische Expat-Schulen. Auch seine Schauspielausbildung in Paris absolvierte er in Englisch und Französisch. Besonders seit sein Gesicht mit »Inglourious Basterds« schlagartig bekannt wurde, verläuft die Karriere dieses Franzosen, dessen Englisch keine Spur eines niedlichen französischen Akzents aufweist, zweigleisig.

Seit 2013 hat er eine Wohnung in London und besitzt auch ein Haus an der bretonischen Küste. Doch im Grunde lebt er »im Eurostar«. Ménochet ist häufiger Gast in hochklassigen internationalen Produktionen. In Nebenrollen ist er etwa in »Robin Hood« von Ridley Scott, als Anwalt in Kevin Macdonalds Guantanamo-Thriller »Der Mauretanier« mit Jodie Foster und als Profiradrennfahrer Johan Bruyneel in Stephen Frears Drama über den Fall Lance Armstrong, »The Program«, zu sehen. Im Historiendrama »7 Tage in Entebbe« übernahm er die heldenhafte Figur des stoischen Flugtechnikers Jacques Lemoine, der sich als Teil der Crew weigerte, die Passagiere zu verlassen, und sich mit Flugzeugentführer Wilfried Böse (Daniel Brühl) ins Benehmen setzen muss. Zuletzt spielte er im All-Star-Ensemble von Wes Andersons Schnurre »The French Dispatch« als Gefängniswärter mit. In diesen virilen Haudegenparts wird Ménochets Breitschultrigkeit, wie schon in »Inglourious Basterds«, wo er in der Anfangsszene Holz hackt, effektvoll in Szene gesetzt. 

Französische Regisseure sehen ihn lieber als empfindsamen, gebrochenen Riesen: einen Mann, der wie Atlas die Welt auf seinen Schultern zu tragen versucht und scheitert, auf mal herzzerreißende, mal furchterregende Weise. Den Krieger, der ins Gras beißt, spielte er im Drama »Forces Speciales«, der französischen Version eines Afghanistankriegsfilms, in der er als Teil einer Spezialtruppe eine entführte Reporterin – Diane Kruger – befreien muss. Kruger, wie Ménochet mehrsprachig, trat mit dem Schauspieler nach »Inglourious Basterds zum dritten Mal in »Barfuß auf Nacktschnecken« (2010) vor die Kamera. In dem schrulligen Drama über zwei Schwestern, die mit Marmeladekochen und Bäume-Umhäkeln zu verspielten Kindfrauen regredieren, übernimmt er die undankbare Rolle des Ehemanns – der die beiden zur Vernunft ruft und prompt in die Wüste geschickt wird. Regie führte Fabienne Berthaud, und es hat sicher etwas zu bedeuten, dass gerade Regisseurinnen diesen bärigen Schauspieler mit der latent bedrohlichen Aura so gern vor ihrer Kamera sehen. In Mélanie Laurents Regiedebüt »Les Adopteés« ist er der aufopferungsvolle Liebhaber und Ersatzvater inmitten abermals ziemlich narrenfreier Schwestern. Julie Delpy besetzte ihn in ihrer bezaubernden autobiografischen Komödie »Le Skylab«, die von einem sommerlichen Familientreffen handelt, als Onkel, der in Politdiskussionen kräftig auf den Tisch haut. 

»Nach dem Urteil« (2017). © Weltkino

Die ganz große Ménochet-Begeisterung brach aber erst mit dem aufrüttelnden und viel diskutierten Gerichtsdrama »Nach dem Urteil« (2017) aus. Darin spielt er einen geschiedenen Mann, der zu Filmbeginn vor Gericht erfolgreich um das Besuchsrecht für seinen elfjährigen Sohn kämpft, obwohl seine Ex-Frau ihn als gewalttätig beschreibt. Sein Sohn stirbt bei den Besuchswochenenden fast vor Angst, denn sein Vater bedroht und manipuliert ihn und will mit allen Mitteln die Adresse seiner Ex herausfinden. Ménochet, bullig und bärtig, ist hier eine tickende Zeitbombe: ein Typ, dessen Gewalttätigkeit auch Hilflosigkeit verrät, der Mitleid weckt und doch eine wilde Bestie ist, die zur Strecke gebracht werden muss. 

Vielleicht war es diese authentisch schillernde Verkörperung »toxischer« Männlichkeit, die François Ozon dazu bewog, diesen Schauspieler, der bereits in Ozons Psychokrimi »In ihrem Haus« (2012) einen hilflos tobenden Ehemann spielte, in dem Missbrauchsdrama »Gelobt sei Gott« (2018) die eindrücklichste Rolle zuzuweisen. »In ihrem Haus« zeigte Ménochet als glücklichen Familienvater, der durch die Psychospiele eines Freundes seines Sohnes dazu gebracht wird, einem manipulativen Literaturlehrer an den Kragen zu gehen; nun ist er, als Missbrauchsopfer eines Priesters, anfangs hilflos der klerikalen Bürokratie ausgeliefert. Ozons zurückgenommene Schilderung der Aufarbeitung der Schuld des katholischen Geistlichen Bernard Preynat, über den die Kirche jahrzehntelang ihre Hand hielt, gewinnt seine dramatische Wirkung vor allem durch Ménochet als eines von drei Missbrauchsopfern, das sich offenbart. Auch hier ist er ein Getriebener, ein Familienvater, in dem es brodelt, der sich unter Qualen durchringt, an die Öffentlichkeit zu gehen und zu berichten, was ihm als Kind widerfuhr. Erneut liefert er das beklemmende Schauspiel eines Mannes, der weint. In der Fassbinder-Paraphrase »Peter von Kant« ist er, mal Drangsalierer, mal Märtyrer, erst recht die ideale Verkörperung von Ozons großem Thema, von männlicher Fragilität und Sensibilität. 

Merkwürdigerweise strahlt Ménochet gerade in französischen Filmen bisher immer eine Gravitas, einen Ernst aus, der von keinerlei Ironie gebrochen wird. Das beschert ihm, bedenkt man die komödiantische Tradition französischer Schauspieler, eine Einzelstellung. Lässiger geht es in seinen außerfranzösischen Filmen wie z. B. der schwarzhumorigen britischen Serie »Spotless« zu, in der er ungewohnt locker als Londoner Gangster in Verfolgungsjagden sein in den Neunzigern trainiertes Talent als Skater zur Geltung bringen darf. Im französischen Kino fühlt sich Ménochet trotz zweier César-Nominierungen als »Außenseiter« – »ich habe nicht den Eindruck, zu dieser Familie zu gehören« – und nimmt doch das Beste aus allen Welten mit: als »Techniker der Emotion« in französischen Filmen und als Glückspilz, der in amerikanischen Filmen wie »Der Mauretanier« mit Jodie Foster Tacos essen darf.

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