Kritik zu Die Tänzerin

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Die Tanzpionierin Loïe Fuller (1862–1928) wurde in ihrer Zeit verehrt wie ein Popstar, ist jedoch heute so gut wie vergessen. Da will der Film Abhilfe schaffen, schert sich allerdings wenig um biografische Wahrheiten

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Die Amerikanerin Loïe Fuller hat mit ihren Schleiertänzen eine ganze Epoche in Atem gehalten. Sie war eine Ikone der Belle Epoque, die stilbildende Tänzerin des Jugendstils. Eine untersetzte, stämmige Person, die unter kunstvoll aufgeblähten und vielfarbig angestrahlten Stoffgebilden sich selbst nahezu zum Verschwinden gebracht hat. Bei ihren Auftritten – jahrelang galt sie als Hauptattraktion der Pariser ­Folies Bergère – kam es also keineswegs auf die Kunstfertigkeit und Anmut einer Ballerina an, sondern auf den optischen Effekt, den das Licht- und Farbenspiel der federleichten Stoffkaskaden auf der schwarzen Bühne erzeugte. Fuller war in erster Linie Choreographin und Lichtkünstlerin. Sie hatte dieses Schauspiel ersonnen, das nur einfache Schritt- und Drehbewegungen in Verbindung mit den kreisenden, durch Bambusstöcke verlängerten Armen, aber auch gehörige Muskelkraft erforderte, um den Stoff in Wallung zu bringen. Ihre Zeichnungen und Berechnungen dazu sind überliefert. Aber war das überhaupt noch Tanz, was da geboten wurde?

Tatsache ist, dass Loïe Fuller (Soko) sich im Jahr 1892 mit dreißig Jahren von New York aus nach Europa einschiffte, um dort den von ihr entwickelten Tanzstil auf die Bühne zu bringen, auch um ihren »Serpentinentanz« patentieren zu lassen. Fuller kam aus der amerikanischen Vaudeville-Szene, war schon jahrelang als Nebendarstellerin durchs Land getingelt, bastelte derweil fieberhaft an ihrer Tanzidee, die Geschichte machen sollte. All das ist historisch verbrieft und bietet eine Fülle von Erzählstoff, aber der Film hält sich leider nicht an die Fakten, sondern bevorzugt einen ganz eigenen Entwurf. Dazu gehört allerlei melodramatisches Unterfutter wie die Erfindung eines halbseidenen Impresarios aus besseren Kreisen, der dem angehenden Star auf die Sprünge geholfen haben soll. Auch das Verhältnis zur fünfzehn Jahre jüngeren Isadora Duncan (Lily-Rose Depp), die von Fuller gefördert wurde, setzt ein fragwürdiges Gegensatzpaar ins Bild. Dass eine intrigante Duncan die lesbische Fuller nur als Trittbrett zum eigenen Erfolg ausgenutzt hat, bleibt zu beweisen. Insgesamt bewegt sich der holprig erzählte Debütfilm zu sehr an der Oberfläche, um seinem hohen Anspruch gerecht zu werden. Loïe Fuller war zweifellos eine zwar krisengeschüttelte, aber auch sehr selbstbewusste Kämpferin in ihrer Sache, aber ein persönlicher Zugang zur Figur erschließt sich durch »Die Tänzerin« nicht. Glanzpunkte des Films sind die Auftritte der Pionierin Loïe Fuller, die mit ihrem optischen Gespür als Vorreiterin der multimedialen Künste anzusehen ist. Sie beschäftigte allein 25 Bühnentechniker, betrieb ein Chemielabor für phosphorisierende Salze, befehligte zuletzt eine freie Tanztruppe, die in der ganzen Welt, sogar in Südamerika, auftrat. Die wahre Loïe Fuller ist also noch zu entdecken – zugkräftige Namen wie den einer Rocksängerin und einer Promitochter braucht es dafür nicht.

Meinung zum Thema

Kommentare

Ich finde das eine sehr berechtige Kritik, denn das ist ein holpriger und zugleich kitschiger Film. Die Ausstattung und die grossartige Leistung von Gaspard Ulliel machen es erträglich. Wenn man die Längen aushält, reissen einen der Film und auch die inszenierten Tänzen dann doch tatsächlich mit. Das Ende ist dagegen wieder völlig unglaubwürdig.

Sehe ich auch so, Matthias Beier, tolle Ausstattung, streckenweise mitreißende Szenen, eine ganz und gar eigene Interpretation, die die Fakten eher nur als Gerüst braucht, um die recht zähe Geschichte zu erzählen. Die rohe Gewalt gegen Frauen allgemein ist zusammenhanglos eingebaut.

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