Familienkino

Filmtheater und ihre Besitzer
Das Kino »Weltspiegel« in Finsterwalde

Das Kino »Weltspiegel« in Finsterwalde

Es gibt viele. Sie sind gelebte Filmkultur. Und sie bieten dem Zuschauer ein Zuhause. Gerhard Midding über Filmtheater, die von Generation zu Generation vererbt werden

Es hat immer Vorteile, wenn man sich Gesichter merken kann. In manchen Berufen jedoch ist diese Gabe nützlicher als in anderen. Wer etwa beim Eintritt in den Kinosaal die Karten abreißt, bereitet seinen Gästen ein besonderes Willkommen, wenn er sie wiedererkennt. »Meine Frau hat ein gutes bildliches Gedächtnis«, sagt Torsten Siegert, der mit ihr den »Weltspiegel« im brandenburgischen Finsterwalde betreibt, »sie hat noch viel besser als ich im Blick, wer seit Jahren unser Kino besucht.« Das Publikum wechselt, aber oft fallen auch ihm Zuschauer*innen auf, die er seit ihrer Kindheit kennt, deren Heranwachsen er miterlebt hat. Mitunter kehrt sich das Wiedererkennen um. Dann erzählen Gäste den Siegerts Geschichten über Torstens Vater, den sie noch aus der Zeit vor der Wende kannten, als er das Kino leitete. 

In der »Schauburg« ist es der Vater der jetzigen Betreiberin Susanne Schönberg, der die Kinogänger*innen identifizieren kann. »Papa erkennt sie sogar jetzt noch«, berichtet sie, »obwohl sie Masken tragen müssen.« Bei manchen ist es ohnehin nicht schwer: Zu den Stammgästen des Leipziger Kinos gehören die Schauspielerin Ulrike Krumbiegel und Mitglieder der Band Die Prinzen. Schönbergs Vater ist eigentlich längst in Rente, aber ganz vom Kino lassen kann er noch nicht. Er und seine Frau lernten sich 1977 kennen, als er die dreijährige Ausbildung zum Filmvorführer abgeschlossen hatte und sie Einlassdienst machte. Ihre Tochter absolvierte eine Ausbildung als Bürokauffrau in einem anderen Kino, bevor die Familie 2008 die »Schauburg« übernahm. Seit ihren Anfängen in diesem Metier hatte sich die Lage radikal verändert. Zu DDR-Zeiten war die Filmauswahl noch festgelegt gewesen, nun war schwer einzuschätzen, wie ein Film laufen würde; und kaum ein halbes Jahr nach dem Erwerb des ­Kinos brach sich die Digitalisierung des Kinobetriebes flächendeckend Bahn. Aber die Faszination war ungebrochen, ebenso die Bereitschaft, dem Publikum ein persönliches Kinoerlebnis zu verschaffen, fernab der Multiplexe, wo immer dasselbe Popcorn verkauft werde, wie die Schönbergs meinen. 

Kinogänger*innen, die den »Weltspiegel«, die »Schauburg« oder andere seit Generationen von ­einer Familie betriebene Kinos besuchen, mögen deren Vorgeschichte nicht immer kennen, haben aber augenblicklich Teil an ihr: Sie betreten ein Zuhause. Das Glücksversprechen des Kinos hat hier Tradition. Es ist auf Dauer angelegt. Für seine Verbindlichkeit bürgt eine familiäre Überlieferung: die enge, fortwährende Verbindung der Betreiber zu ihrem Ort und Publikum. Die Leuchtreklamen ihrer Kinos illuminieren nicht nur abends die urbane Landschaft, ihre Häuser prägen sie als Architektur und kulturelle Instanzen. Das trifft auch auf andere Filmtheater zu. Aber familienbetriebene erscheinen als eine Gewähr für Kontinuität. Sie sind nicht bloß ein Wirtschaftsfaktor, sondern ein verlässlicher Gefühlswert. In Krisenzeiten halten sie eine Hoffnung aufrecht, die belastbar ist. 

Dafür danken ihnen die Städte, in denen sie wirken – vor allem jene, die nicht allzu groß sind – mit großer Wertschätzung. Die im letzten Jahr viel zu früh verstorbene Inge Mauerer-Klesel übernahm 1982 die Kinos ihres Vaters in Heidelberg. Für ihre anspruchsvolle, aufgeschlossene Programmgestaltung, die zur Kinosozialisation mehrerer Generationen beitrug, wurde sie mit dem höchsten Kulturpreis ausgezeichnet, den die Stadt zu vergeben hat. Ihr Verantwortungsgefühl für die Kinokultur ihrer Heimatstadt ging einher mit dem Engagement in Interessenverbänden, Kommissionen und Jurys. Das hat sie mit Gerhard Closmann gemeinsam, dessen Familie in Marburg seit 1913 Kinos betreibt und der ganzen Region wegweisende Impulse gab. 1938 eröffnete sein Vater Hermann das erste Tonfilmtheater in Hessen. Das »Capitol« ist heute ein Programmkino, in dem beispielsweise alljährlich die Veranstaltungen des Marburger Kamerapreises stattfinden. Wenn man die Stadt an der Lahn zu diesem Anlass besucht (und gewiss nicht nur dann), ist allerorten eine beispiellose Achtung für diese alteingesessene Dynastie zu spüren. Sie betreibt, als unfreiwilliger Monopolist, die letzten Kinos in der Universitätsstadt und bietet deren 75 000 Einwohnern ein breitgefächertes Filmprogramm an. Der cinephilen Marion Closmann, Gerhards Tochter, gelingt es regelmäßig, Schauspieler und Regisseure für Premieren in die Stadt zu holen. 

In Deutschland gibt es rund 180 000 familiengeführte, meist mittelständische Unternehmen. Sie finden sich in den unterschiedlichsten Branchen. Für das Kinogeschäft existieren zu dieser Geschäftsform keine Statistiken; die Branchenverbände halten sich sogar mit Schätzungen zurück. Die Dachorganisation HDF Kino e. V. zählt rund 600 Mitglieder, die circa 800 Filmtheater betreiben. Jonas von Fehrn-Stender ist dort für das Mitgliedermanagement zuständig. Auf die Frage, wie viele Filmtheater von Familien geführt werden, antwortet er ohne Zögern: »Viele, sehr viele!« Er sagt es mit spürbarer Genugtuung, denn er stammt selbst aus einer Kinofamilie. 

Ein Verband kennt den Anteil indes genau: Alle 26 Unternehmen, die sich seit einem Vierteljahrhundert zur »Cineplex«-Gruppe zusammenschlossen, sind seit Generationen in der Hand von Familien. Die Dachgesellschaft wurde 1996 als ein Bollwerk gegen übermächtige Kinoketten gegründet. Filmeinkauf und -buchung werden seither gemeinsam organisiert. Geschäftsführer Kim Ludolf Koch hat zum Jubiläum den materialreichen Band »Überblendungen« veröffentlicht, in dem er diese 26 Firmen- und Familiengeschichten begeistert rekapituliert. Sechs von ihnen reichen mehr als 100 Jahre zurück; die der Familie Sawatzki bis in das Jahr 1907, als der Urgroßvater der heutigen Betreiber das erste Kino in Bad Kreuznach eröffnete. 

In dieser Zeit hörte das junge Medium allmählich auf, eine Jahrmarktsattraktion zu sein, und fing an, sesshaft zu werden. Als seriös galt es deshalb aber noch nicht überall. Die Gründer der ersten ortsfesten Kinos gingen eine mutige Wette auf dessen Zukunft ein. Sie waren überwiegend Quereinsteiger. Bevor Josef Closmann in Marburg das erste Lichtspieltheater eröffnete, betrieb er einen Bootsverleih und ein Schwimmbad. Torsten Siegerts Urgroßvater Adolf Tonke war ein erfolgreicher Bauunternehmer: »Er erkannte 1912 die Zeichen der Zeit und meinte, dass in die Stadt ein imposanter Kinopalast gehörte.« Einige Dynas­tien haben mithin die Umrüstung auf den Tonfilm und auf Breitwandformate sowie die Digitalisierung bewältigt, haben das Kinosterben der 1960er Jahre überlebt, der Konkurrenz durch Fernsehen, Videokassette, DVD, Blu-ray getrotzt und stehen aktuell vor der Herausforderung, das Publikum zurückzugewinnen, das während der Lockdowns fortbleiben musste und Streamingplattformen nutzt.

Die Familienunternehmen waren natürlich nicht die einzigen Pilotfische ihres Gewerbes, die dem Fortschritt immer hart auf den Fersen waren. Aber sie hatten einen besonderen Rückhalt. Ein Pionier ist auch Werner Grassmann, der 1970 mit dem »Abaton« in Hamburg eines der allerersten deutschen Programmkinos eröffnete. Sein Vater, der einen Schifffahrtsverlag besaß, bürgte bei der Bank für ihn. Grassmann junior hatte schon zwei Jahrzehnte zuvor Kinoerfahrung gesammelt, als er das »studio 1« gründete, das zwar über den kleinsten Saal in Hamburg verfügte, dessen Ruf aber bis nach Manila und New York drang. Danach machte er sich als Produzent und Regisseur einen Namen, der in Avantgardekreisen einen guten Klang hatte. Zur Eröffnung des »Abaton« kamen Jonas Mekas, Kenneth Anger und Costa-Gavras. Die Gästeliste war Programm: Dieses Haus wollte sich die Freiheit nehmen, experimentelles und engagiertes Kino in Hamburg heimisch zu machen. Hier liefen Filme, die anderswo kommerziell keine Chance hatten. Sie mussten nur in das passen, was Grassmann das »Klima« des Programms nennt. »Wir hatten bald ein gutes Renommee«, berichtet er stolz, »und deshalb keine Probleme mit der Filmbelieferung. Viele Verleiher wussten: Im Norden geht’s nicht ohne uns.« In den klammen Anfangsjahren waren innerhalb des anspruchsvollen Programms die anarchischen Komödien der Marx Brothers, »Harold und Maude«, Musik- und avancierte Erotikfilme wie »Wet Dreams« eine sichere Bank. Noch heute unterscheidet er gern zwischen Kunst- und »Brotfilmen«, seinem persönlichen Synonym für Ware aus Hollywood. 

Obwohl sein Sohn Felix diese Unterscheidung wohl nicht so kategorisch treffen würde, verlief die Staffelübergabe fließend und reibungsarm. Das in Jahrzehnten geschärfte Profil des Hauses versetzt ihn noch immer in eine Position, aus der es leichter fällt, etwas auszuprobieren. »Wir haben ein neugieriges Publikum, dessen Interessen wir aufnehmen. Es soll Entdeckungen machen«, erklärt er. »Unser Programm wird nicht von einem Algorithmus bestimmt, der nur das Bekannte wiederkäuen will.« Brotfilme laufen im »Abaton« allerdings nach wie vor sehr gut. Beim Start von »House of Gucci« erzielte es das drittbeste Einspielergebnis in Hamburg. Drei Säle unterschiedlicher Größe ermöglichen längere Laufzeiten. »The French Dispatch« war auch im vierten Monat noch regelmäßig ausverkauft. Zugleich legt Felix Wert darauf, die Tradition der Entdeckung des jungen Kinos zu erneuern. Von Rosa von Praunheim, dessen frühe Arbeiten im Kino des Vaters zu Beginn der 1970er heftige Debatten auslösten, zeigt er derzeit allmonatlich einen Film; gleichsam als Countdown zum 80. Geburtstag des Regisseurs. 

In Gesprächen und Anschauung zeigt sich, dass viele Klischees, die man mit dem Kino als Familienbetrieb verbindet, der Wahrheit entsprechen. Eines lautet: Der Funke springt über. Wer früh in den Generationenvertrag eingebunden ist, kommt später nicht so leicht wieder heraus. Die Prägung ist stark, wenn die Grenze zwischen Beruf und Privatleben tagtäglich verschwimmt. Torsten Siegerts Eltern nahmen ihn schon im Kinderwagen mit in den »Weltspiegel« und brachten ihn zu Bett, wenn die Abendvorstellung lief. Gerhard Closmann verkaufte als Sechsjähriger Bonbons im Kino der Eltern und transportierte alsbald Filmkopien auf seinem Fahrrad. Seine Tochter Marion baute als Kind mit Bauklötzen kleine Kinos. Die Eintrittsschwelle ist niedrig. Ihre Berufsausbildung absolvieren die Erben gleichsam daheim, in einer klassischen Rollenaufteilung: Sie fangen als Kartenabreißer an, räumen die Säle zwischen den Vorführungen auf oder verkaufen Popcorn. »Und das zu Löhnen«, räumt Werner Grassmann ein, »die man anderswo nie akzeptieren würde. Aber so hat unser ›Imperium‹ funktioniert.« 

Die Biografien scheinen vorgezeichnet; unausweichlich sind sie nicht. Grassmanns ältester Sohn Florian arbeitete zwar elf Jahre als Vorführer im »Abaton«, ist heute aber als Arzt tätig. Sein Bruder Philip schlug eine erfolgreiche Karriere als Journalist ein, unterbrach sie aber zwischenzeitlich, um Felix in der Geschäftsführung zu unterstützen. Nimmt es da wunder, dass seine Kinder heute in einem Berliner Kino jobben? Viele Kinobetreiber müssen sich wenig Sorge um die Nachfolge machen, weil sie ihren Beruf mit Leidenschaft ausüben. Sie übertragen ihren Erben weniger eine Verpflichtung als vielmehr ein schönes Produkt. Susanne Schönberg von der Leipziger »Schauburg« kennt die Sehnsüchte, die sich an diesem Ort bündeln, von Kindesbeinen an: »Kino ist einfach etwas Besonderes, das lauter positive Assoziationen weckt. Man macht dem Publikum eine Freude und hilft ihm, aus dem Alltag zu finden.« 

Wer in einem Filmtheater aufwächst, lernt freilich auch früh, Abstriche zu machen. Der Betrieb ist ein Mandat, das sieben Tage in der Woche volle Hingabe verlangt. »Mit einem normalen Alltagsleben lässt sich das nicht vergleichen«, sagt Torsten Siegert. »Ohne eine Familie, die fest hinter einem steht, geht das nicht.« Dank des sprichwörtlichen Zusammenhalts sind Familienbetriebe womöglich etwas besser gegen die Strukturkrise ihrer Branche gewappnet; zumal wenn ihnen die Immobilie gehört. »Viele unserer Mitglieder haben die Lockdowns genutzt, um ihre Kinos zu modernisieren«, berichtet Jonas von Fehrn-Stender, »das geht leichter und schneller, wenn man nicht Pächter, sondern Besitzer ist.« 

Dabei ist es keineswegs so, dass nur die junge Generation offen für technische Innovationen ist und die ältere erst einmal konservativ abwägt. In Münster hat Felix Esch seinen Söhnen vorgelebt, dem Fortschritt stets einen Moment voraus zu sein. Diesem Zugzwang gehorchen sie mit großer Unternehmungslust. »Bis zur Digitalisierung liefen in einigen Kinos 60 Jahre lang dieselben Projektoren, aber er hat die Tonanlage ständig nachgerüstet«, erzählt Anselm. »Seither haben sich die Intervalle enorm verkürzt. In 12 Jahren sind wir beim sechsten Projektionssystem angelangt.« Sein Bruder Ansgar spricht von einem »Gesamtpaket«, das man dem Publikum heute anbieten muss. Es umfasst nicht nur hochwertige Vorführtechnik, sondern auch das Marketing und Ambiente. Hier zeigen sich durchaus Generationsunterschiede. Die Jüngeren haben in der Regel eine stärkere Affinität zu neuen visuellen Möglichkeiten der Kommunikation und den sozialen Medien. Zugleich legen sie Wert darauf, das junge Publikum in eine Erlebniswelt zu holen, die ihm aus anderen Freizeitbereichen vertraut ist. Die Ansprüche an die Aufenthaltsqualität in Kinos ist gestiegen, die etwa durch breitere, bewegliche Sitze und eine einladende Lichtgestaltung optimiert werden soll. 

Wie viele Erben sind Anselm und Ansgar Esch in engem Kontakt zur Branche aufgewachsen, begleiteten die Eltern oft zu Filmmessen und anderen Treffen. Autor Kim Ludolf Koch betont in »Überblendungen« die besondere Gabe von Vater Felix, Allianzen zu schmieden. »Er hat uns eine gute Vernetzung in der Stadt und der Branche hinterlassen«, erklärt Ansgar Esch, »unser Name gibt uns eine gewisse Glaubwürdigkeit, die viele Türen öffnet, wenn wir neue Ideen haben.« Nach seiner Ansicht werden im Kinogeschäft zwar die lokalen Zusammenhänge inzwischen weniger wichtig als Allianzen auf europäischer und internationaler Ebene. Aber im Bewusstsein für die Rolle, die das Unternehmen in der Münsteraner Kulturlandschaft spielt, bleiben er und sein Bruder den Vorstellungen ihres Vaters verpflichtet. Sie sind die inzwischen einzigen Kinobetreiber in der westfälischen Universitätsstadt, die vor der Pandemie den höchsten Kinobesuch pro Kopf in ganz Deutschland hatte. Mit ihren drei Kinos und 15 Leinwänden wollen die Brüder Esch eine große Spannbreite des Filmangebots garantieren. Die Kombination von Multiplex, alter Kinopracht (im »Schlosstheater«, dem ersten CinemaScope-Kino Deutschlands), kuratiertem Programm (im wackeren »Cinema«) sowie vielfältigen Kooperationen (etwa mit der rührigen »Filmwerkstatt«) bildet es lebhaft ab. Was die Werbung angeht, greifen die Brüder auch noch auf analoge Medien zurück. Sie leisten sich ein ansprechend redigiertes Monatsmagazin namens »films«, das wirklich Lust macht auf den Kinobesuch. 

Der »Weltspiegel« ist mittlerweile nicht nur das einzige verbliebene Kino in Finsterwalde, sondern im gesamten Elbe-Elster-Kreis. Torsten Siegerts Vater hat es gerade noch rechtzeitig erworben, bevor die Treuhand die Filmtheater der Region an die UFA verscherbelte. Vater Helmut hat den Zeitläuften immer gern ein Schnippchen geschlagen. Bis 1959 betrieb er den »Weltspiegel« als Privatperson, danach wurde es halb verstaatlicht. Kurz vor dem Beginn von Honeckers Verstaatlichungswelle im Jahr 1972 baute er die Fassade noch einmal komplett um. Zu diesem Zeitpunkt war es eins von nur zwei Kinos, die noch nicht ganz in öffentlicher Hand waren. Bis zur Wende fungierte Helmut als »staatlicher Theaterleiter«. Das Haus gab er nie auf. 

Zu den Familientraditionen der Siegerts gehört die Sammelleidenschaft. Sie haben auf das Fortbestehen ihres Kinos gewettet und alles aufbewahrt, was seit dessen Gründung 1912 nicht verloren ging. Im Foyer steht ein Filmprojektor aus den 1930er Jahren, zu dem noch Angebot und Rechnung vorliegen. Nicht nur Dokumente und technische Apparate gehören zu dieser Sammlung, auch das Porzellan aus der Gastronomie hat die Zeiten überdauert. Am Tag des Denkmals veranstaltet Torsten regelmäßig Führungen, in denen die Historie für einen Moment haptisch greifbar wird. Er pflegt die Website des Hauses liebevoll, auf der man entdecken kann, dass seine Chronik auch unter architekturhistorischem Aspekt von einzigartigem Interesse ist. Ein Museum für die Zukunft? Bestimmt, aber vor allem ein Kino, dessen Leuchtreklame die Stadt nachts noch immer erhellt. 

Das Buch »Überblendungen«

Früher, bis in die sechziger Jahre, hat ein Vorführer im Projektionsraum von einem auf den anderen Projektor überblendet. Eine Filmrolle dauerte ca 20 Minuten. Schon der Titel dieses Buches deutet seine historische Orientierung an: Zum 25. Jubiläum der Cineplex-Gruppe, Deutschlands größter Kinomarke, erschien ein hervorragend illustriertes Buch mit Kinogeschichten der Mitglieder der Gruppe. Es sind alles Familiengeschichten, denn die 26 Unternehmen der Gruppe sind meistens seit Jahrzehnten in Familienbesitz. Und sie runden sich zu einer allgemeinen Geschichte der Filmtheater in Deutschland, für die sie exemplarisch stehen. Etwa die Familie Jäger in Frankfurt, die 1926 – noch unter dem Namen Reichard – ihr erstes Kino, das »Eden«, eröffnete. Mit dem »Europa Palast« eröffnete die Familie im Herzen der Stadt ein großes Premierenkino mit 1150 Plätzen. Das E als Initial wurde zum Markennamen und Liselotte Jäger zur Grande Dame des deutschen Kinobusiness. Das Künstlerzimmer mit Unterschriften der Promis an den Wänden gibt es immer noch.


Kim Ludolf Koch: Überblendungen, 348 Seiten, mit Familienporträts von Silke Kammann. Erhältlich für 28 Euro bei: shop.cineplex.de.

 

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