Interview: Guillermo del Toro zu »Frankenstein«
Guillermo del Toro am Set von »Frankenstein« (2025). © Ken Woroner / Netflix
Guillermo del Toro, geboren 1964 in Guadalajara, sorgte bereits in den 1990er Jahren mit ungewöhnlichen Horrorfilmen auch jenseits seiner mexikanischen Heimat für Aufsehen. Bald feierte er Erfolge wie »Hellboy« oder dem Oscar-prämierten Überraschungshit »Pan's Labyrinth«, später gewann er für »The Shape of Water« selbst den Oscar als Bester Regisseur. Nun legt er ein Werk vor, von dessen Umsetzung er jahrzehntelang geträumt hat: eine Neuverfilmung von »Frankenstein« (ab 7.11. bei Netflix). Beim Filmfestival in London empfing er uns aus diesem Anlass zum Interview
Mr. del Toro, eine Verfilmung von Mary Shelleys »Frankenstein« war seit langen Jahren Ihr Traum. War Ihre Interpretation, die Geschichte weniger als gescheitertes wissenschaftliches Experiment, denn als ein Beispiel für gescheiterte Elternschaft zu sehen, stets die gleiche? Oder ergab sich letzteres erst, nachdem Sie selbst Vater wurden?
Nein, diese Lesart der Geschichte nahm seinen Anfang mit mir als Sohn. Schon lange bevor ich selbst Vater wurde, faszinierte mich kaum etwas so sehr wie das Verhältnis von Kindern zu ihren Eltern. Entsprechend handeln die meisten meiner Filme davon – und davon, dass aller Horror in der Kindheit beginnt. Denken Sie an »Cronos« oder an »Blade II«, an »The Devil's Backbone«, »Pan's Labyrinth« oder »Hellboy«.
Können Sie entsprechend mit anderen »Frankenstein«-Verfilmungen wenig anfangen?
Ich halte meine Interpretation der Geschichte nicht für allzu außergewöhnlich. Wer sich ein bisschen auskennt mit den Romantikern im Allgemeinen und Shelley im Besonderen, weiß, dass sie selbst ein sehr angespanntes Verhältnis zu ihrem Vater hatte und sich in etlichen ihrer Bücher diabolische Vaterfiguren finden lassen. So oder so haben mich immer schon alle »Frankenstein«-Adaptionen interessiert. »Frankenstein: The True Story«, zu dem Christopher Isherwood das Drehbuch schrieb, bewundere ich sehr. Und ich liebe natürlich die »Frankenstein«-Filme von Terence Fisher, produziert von den Hammer-Studios in den späten Fünfziger Jahren. Andy Warhols »Flesh for Frankenstein« ist wunderbar witzig und brutal, die alten Universal-Filme sind ebenfalls zu Recht Klassiker. Und letztlich ist ja auch »Blade Runner« eine großartige, indirekte Interpretation dieser Geschichte, wenn man Tyrell und Roy Batty als Frankenstein und seine Kreatur betrachtet.
Lassen Sie uns kurz über die erzählerische und visuelle Umsetzung Ihres Films sprechen. Ihr Hauptdarsteller Oscar Isaac zog Opern und sogar Telenovelas als Vergleich heran …
Für seinen Teil der Geschichte stimmt das definitiv. Unser Victor Frankenstein ist sehr melodramatisch. Wie jeder Tyrann sieht er sich nicht nur als Held, sondern auch als Opfer. Die visuelle Entsprechung dazu ist das Opernhafte, Opulente der Bilder. Jener Teil der Geschichte, der sich der Kreatur widmet, ist dagegen idyllischer, eher wie in einem Märchen, mit magischen Wäldern voller Mäuse, Hirsche und Wölfe. Und natürlich dem alten Blinden als beinahe mythischer Figur. Die Kameraarbeit in dieser Passage ist also ruhiger, die Farben zurückgenommener. Jedes Kapitel des Films hat einen anderen Tonfall, erzählerisch wie visuell.
Ursprünglich hatten Sie mal darüber nachgedacht, zwei Filme aus der Geschichte zu machen, richtig?
Stimmt, das war die Idee: zwei Filme, die ich in einem Atemzug drehe. Inhaltlich hätte der Stoff dafür genug hergegeben. Nicht umsonst war die erste Schnittfassung des Films jetzt fast vier Stunden lang. Aber ich fand es letztlich doch noch effektiver, die jeweilige Perspektive von Kreatur und Schöpfer in einem Film zu vereinen.
Die Kreatur sollte ursprünglich von Andrew Garfield gespielt werden, doch als der absagen musste, sprang Jacob Elordi sehr kurzfristig für ihn ein. Bringen solche Last-Minute-Änderungen Sie noch aus der Fassung?
Nicht in diesem Fall, denn Jacob erwies sich als Glücksgriff. Er entsprach der Kreatur mehr als das, was ich eigentlich im Kopf gehabt hatte. Schon bei unserem ersten Gespräch via Zoom merkte ich: Dieser Mann ist geboren, diese Rolle zu spielen. Die Leidenschaft, Disziplin und Intelligenz, mit der er sich der Arbeit von heute auf morgen verschrieb und sogar den japanischen Butoh-Tanzstil lernte, um der Kreatur eine eigene Körperlichkeit zu verleihen, war beeindruckend. Gleichzeitig war es natürlich hilfreich, dass ich inzwischen 60 Jahre auf dem Buckel habe und kein Regisseur mehr in meinen Zwanzigern bin. Heute weiß ich, dass alles, was deine ursprüngliche Planung konterkariert, sie am Ende eigentlich nur besser macht. Regieführen heißt eben immer auch, dass man als Geisel-Unterhändler mit der Realität verhandelt.
Wann haben Sie diese Lektion gelernt?
Vermutlich während der Arbeit an »Pan's Labyrinth«. Bei dem Film lief eigentlich alles schief, was schieflaufen konnte. Keiner meiner Pläne ging auf. Also begann ich, mich zu fragen, was dieser Film wohl sein will, wenn nicht das, was ich mir ausgedacht hatte. Wenn von großen Regisseuren und Regisseurinnen die Rede ist, dann sprechen ja viele immer von der Kraft der Visionen und Sturheit oder Unerschütterlichkeit als großen Tugenden. Dabei ist das Entscheidende bei der Regiearbeit, wie ich inzwischen weiß, Flexibilität statt Unnachgiebigkeit.
Aufwändige Dreharbeiten, reale Kulissen, üppigste Ausstattung – haben Sie manchmal Angst, dass Ihre Art des Filmemachens in Zeiten schrumpfender Budgets und KI-Technologien zusehends vom Aussterben bedroht ist?
Darüber mache ich mir nicht allzu viele Gedanken. Und wenn es so kommen sollte, dann ist das eben so. Wenn ich eines weiß, dann dass das unser aller Existenz, und damit auch unsere Arbeit, flüchtig und vergänglich ist. Wir sind einen Moment lang hier – und dann sind wir weg. Auch Filme sind nicht für die Ewigkeit gemacht, wie man manchmal glaubt. Weite Teile der mexikanischen Filmgeschichte existieren nicht mehr, weil sie nicht konserviert wurden. 85% des Stummfilmkinos sind heute verschwunden. Traurig, aber wahr. Kein Wunder, dass schon Hitchcock früher gesagt hat: »Warum sollte ich mir Gedanken um die Nachwelt machen? Was hat die Nachwelt je für mich getan?« Womit ich sagen will: Ich freue mich, Filme drehen zu dürfen, solange mir das eben möglich ist. Aber wenn das irgendwann nicht mehr der Fall sein sollte, werde ich ohnehin bald vergessen sein.
Aller Schwierigkeiten zum Trotz, die Sie als Regisseur in der Filmbranche schon durchmachen mussten, lieben Sie das Kino weiterhin mit Leib und Seele und feiern in einer Tour die Arbeit Ihrer Kolleginnen und Kollegen. Wie behalten Sie sich Ihre Filmleidenschaft bei?
Wie könnte ich das Kino nicht weiterhin lieben? Wer Filme dreht, sieht sich immerzu Widerständen und Hindernissen gegenüber, deswegen muss man selbst doch das Gegengewicht dazu darstellen. Nicht nur für sich, sondern auch für andere. Wer ein einziges Leben verändert, verändert eine ganze Generation. Daran glaube ich fest. Und andere zu fördern, zu unterstützen, zu ermächtigen, kann wirklich lebensverändernd sein. Meine Produzentin Bertha Navarro ist dafür das beste Beispiel. Hätte sie mir damals nicht meinen ersten Film »Cronos« ermöglicht, würde ich heute als Regisseur nicht existieren. Aber auch Gleichgesinnte wie David Cronenberg, der früh Interesse zeigte an meinen eigentümlichen Geschichten, haben mein Leben verändert. Die Leidenschaft und Unterstützung von Menschen wie ihm will ich gerne weitergeben.
Mit »Frankenstein« haben Sie sich nun den am längsten gehegten Traum Ihres Lebens erfüllt. Was kommt danach? Schlagen Sie filmisch ein ganz neues Kapitel auf?
Das ist genau das, was ich versuchen will. Ich denke, ich muss mal etwas Neues probieren: nüchterneres, reduzierteres Kino, schmucklos und brutal inspiriert von Sidney Lumet, Don Siegel oder Alan J. Pakula, deren Siebzigerjahre-Filme ich so sehr bewundere. Mich interessieren Krimis und Gangster-Geschichten, zumal in der Auseinandersetzung mit Gewalt und Unmenschlichkeit. Gerade bin ich tatsächlich sehr vorfreudig bei der Aussicht, mal einen vollkommen neuen Weg einzuschlagen.





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