Kritik zu Frankenstein
Guillermo del Toros Neuverfilmung des Gruselklassikers präsentiert Beauty Shots zuhauf, ein attraktives Monster und einen völlig überforderten Titelhelden
Gute Zeiten für Gothicfans? Mit dem »Nosferatu« von Robert Eggers und den Draculas von Luc Besson und Radu Jude läuft gerade wieder eine kleine schauerromantische Welle inmitten eines größeren Horrorbooms. Nette Abwechslung, Zombies gab es zuletzt genug, könnte man meinen. Aber bisher hat noch niemand so richtig nachgewiesen, warum diese Geschöpfe der Prämoderne so dringend wiederauferstehen müssen.
Nun also Guillermo del Toro mit »Frankenstein«. Mary Shelleys Roman stand beim Meister des fantastischen Kinos seit langem oben auf der To-do-Liste, und man sieht, dass es sich um ein Werk der Liebe handelt. Da gibt es hinreißende Einfälle, vom Sarg in Form einer Schmetterlingspuppe über die gigantischen Voluten am Sockel des Frankensteinschen Schlosses bis zum blauschillernden Federkopfschmuck von Mia Goth als Braut von Frankensteins Bruder.
Der Drang zum Schönen erstreckt sich auch auf die interessanteste Figur des Romans, das »Monster«, das nicht nur eine Seele, sondern einen beweglichen Intellekt und seine eigene Erzählung hat. An ihm müsste sich das Bildungsprogramm der Aufklärung bewähren – aber seine Subjektwerdung scheitert am Vorurteil, es scheint schlicht nicht integrierbar. Mary Shelley beschreibt die Erscheinung des Kunstmenschen, den der Mad Scientist Victor Frankenstein erschafft, als Travestie: grotesk hässlich, leichenhaft, mit gelber Haut, die Venen und Muskeln durchscheinen lässt, namenlos, ein »Es«. Im Film haben Boris Karloff, die »Munsters« und Robert De Niro in Kenneth Branaghs »Frankenstein« von 1994 das ikonische Bild geprägt, narbig, eckig, ungeschlacht. Del Toro könnte aber auch den früheren Bros-Drummer Luke Goss, den er selbst in »Blade 2« und »Hellboy 2« einschlägig besetzt hat, in der Miniserie »Die Kreatur« gesehen haben: ein Auftritt in zeitgemäßem, coolerem Gothicstil, an den Jacob Elordi im neuen »Frankenstein« anzuschließen scheint. Die Besetzung mit dem idealschönen Star aus »Euphoria« und »Saltburn« ist durchschaubar als Zielgruppenmanöver, verleiht dem Film aber auch seine verführerischste visuelle Note: Wie der Mann seine langgliedrigen 1,96 auf einem Podest im Basement des Schlosses faltet, streckt und räkelt oder im wallenden Kunstpelz die Arktis durchmisst – das ist ein Spektakel.
Del Toro macht es also nicht nur Mia Goth im Film, sondern auch dem Publikum leicht, die Kreatur zu lieben. Für Victor Frankenstein, den Oscar Isaac von Anfang an auf Level 8 einer 10-Punkte-Hysterie-Skala ansiedelt, gilt das nicht. Die Inszenierung zelebriert Victors Erfindungsreichtum, indem sie den »Rohstoff« für den Kunstmenschen, die Leichen – bei denen es sich hier in einer aktualisierenden Volte um Kriegstote handelt –, zu bizarren skulpturalen Gebilden arrangiert und sein Experiment als kreativen Rausch in Szene setzt. Es hat etwas Triumphales, wenn der Kunstmann mit Blitz und Donner zum Leben erwacht und bald die Fähigkeiten eines Superhelden entwickelt, unzerstörbar wie Wolverine. Hat doch ganz gut funktioniert, also: Why not? Tatsächlich besteht Frankensteins Schuld weniger darin, dass er an die Grenzen des menschlich Machbaren geht; das Problem ist, dass er sein Baby im Stich lässt – der Film zeigt Victor fast komisch überfordert mit der Care-Arbeit und unfähig zu jeder Art von Zuwendung. Man möchte sagen: Hier wird mal eine postpartale Depression am Mann vorgeführt.
Das alles sind hübsche Verschiebungen, aber keine Umwälzungen im Frankenstein-Universum. Zudem leidet das Konzept, aus jeder Einstellung das Größtmögliche, das Ah und das Oh herauszuholen, unter dem Messie-Syndrom, das Großproduktionen in Zeiten der Digitalisierung entwickeln: Da sammelt sich viel Zeug an, das den Blick verstellt. Man müsste auch mal was weglassen können – die groben CGI-Wölfe zum Beispiel, die in der Geschichte gar nicht vorkommen. Trotzdem empfiehlt es sich, »Frankenstein« im Kino zu schauen; die Netflix-Produktion geht im November ins Streaming.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns