Kritik zu Leonora im Morgenlicht
Solides Biopic über die erste Lebenshälfte der surrealistischen Künstlerin Leonora Carrington
In Mexiko längst für ihre Gemälde und als Autorin bekannt, ist die gebürtige Britin Leonora Carrington (1917–2011) in Europa erst in den letzten Jahren zu Bekanntheit gelangt. Heute zählt sie neben Frida Kahlo und Georgia O'Keeffe zu den Bestsellerinnen des internationalen Kunstmarktes. Kein Wunder, dass ihre bewegte Lebensgeschichte, deren erste Hälfte von Begegnungen mit berühmten Surrealisten im Paris der 1930er, den Umbrüchen des Zweiten Weltkriegs und psychischen Problemen geprägt war, jetzt für die Leinwand adaptiert wurde.
Basierend auf dem Roman der mexikanischen Schriftstellerin Elena Poniatowska, auf Deutsch unter dem Titel »Frau des Windes« 2012 erschienen, erzählt der Film episodenhaft und in achronologischen Rückblenden aus dem Leben der Malerin. Als Geliebte des 26 Jahre älteren Max Ernst (Alexander Scheer) wird Carrington in die surrealistischen Zirkel in Paris der 1930er eingeführt und erlebt mit ihm eine stürmische Zeit in Südfrankreich, bis Ernst nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs interniert wird. Sie erleidet einen Zusammenbruch und findet sich in einer Nervenheilanstalt wieder, gelangt schließlich über Lissabon nach Mexiko. Auch als sie mehr als ein Jahrzehnt später dort mit dem ungarischen Fotografen Emerico Weisz eine Familie gegründet hat, wird sie immer wieder von ihren inneren Dämonen heimgesucht.
Teilweise finden diese Episoden vor beeindruckender Kulisse statt: Carringtons Zeit mit Max Ernst in einem abgelegenen Bauernhaus in Saint-Martin-d'Ardèche oder ihr Aufenthalt im märchenhaft-verwunschenen Las Pozas, vor Ort in dem Skulpturengarten gedreht, den Mäzen Edward James ab 1949 in Mexiko auf 32 Hektar gestalten ließ. Südfrankreich und Mexiko bieten so eine imposante Kulisse für Fernweh weckende Einstellungen. In Kombination mit Mise en Scène und Kostüm verwandelt Bildgestalter Tudor Vladimir Panduru die Geschichte in ein schön anzusehendes Period Piece.
Auch für die psychischen Abgründe der Protagonistin findet das Regieduo Thor Klein und Lena Vurma atmosphärische Entsprechungen, bei denen die mythische Tier- und Götterwelt Mexikos eine wichtige Rolle spielt. Hauptdarstellerin Olivia Vinall ist eine Erscheinung, die gut in das Setting passt. Leider wirkt sie im ganzen Film wie von Düsternis umfangen und in sich gekehrt, so dass es schwerfällt, sich mit ihr zu identifizieren. Besonders die Dialoge zwischen ihr und Max Ernst oder ihre Versuche, sich gegen die sexistische Vereinnahmung als Muse zu wehren, wirken in schlechten Momenten hölzern und wie artig aufgesagte Kalendersprüche.
Das größte Manko aber ist, dass wir kaum etwas aus dem Schaffen von Carrington zu Gesicht bekommen. Inszenierte Julie Taymor Selma Hayek als Frida – Kahlo – in Tableaux Vivants ihrer eigenen Gemälde, so bleiben Carringtons Bildwelten eine Leerstelle in Leonora im Morgenlicht. Ob bewusste Entscheidung oder eine Frage der Rechte, bis auf einige wenige Zeichnungen bleibt fast unsichtbar, welche Rolle ihr bewegtes Leben für ihre Kunst spielte.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns