Diagonale Graz: Der Arbeit wegen

Festival des österreichischen Films
»Déjà-vu« von Lisl Ponger © sixpackfilm

»Déjà-vu« von Lisl Ponger © sixpackfilm

Die unter neuer Leitung sanft renovierte Diagonale in Graz überzeugte unter anderem mit einem historischen Special zu frühen migrantischen Filmen und mit einer Werkschau zu Lisl Ponger

Statt des bisher bei Filmfestivals meist üblichen dicken Katalogs mit Daten zu allen gezeigten Filmen gab es bei der diesjährigen Diagonale ein handliches Büchlein mit Essays zum Schwerpunktthema »Die erste Schicht«. Eine gute Idee, denn durch die Online-Auftritte der Festivals sind die gewichtigen Sammlerstücke praktisch obsolet geworden. Neben einem neuen (ebenfalls rundum attraktiven) Raum für Panels und Veranstaltungen war diese Edition die bisher sichtbarste Veränderung der neuen Festivalleitung um Dominik Kamalzadeh und Claudia Slanar, die das Grazer Festival nach acht Jahren von Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber übernommen haben. Beide sind langjährige BesucherInnen des Festivals: Slanar war bisher Kuratorin für Videokunst am Belvedere21 in Wien, Kamalzadeh leitender Filmredakteur der Tageszeitung »Standard«.

Das (gemeinsam mit Petra Popoviç kuratierte) filmhistorische Special zu »Die erste Schicht – 60 Jahre Arbeitsmigration aus Sicht der Herkunftsländer« soll den Blick im Land auf die lange vernachlässigten frühen mi­grantischen Filme schärfen, schlug aber eine schöne Brücke auch zurück zur Werkschau des Wiener Filmemachers Goran Rebiç im letzten Jahr, dessen Kurzfilm über seinen in den späten 1960er-Jahren nach Österreich migrierten Vater (»Gekommen bin ich der Arbeit wegen«, 1987) auch dieses Jahr im Programm war. Ebenfalls aus dem ehemaligen Jugoslawien kam Živojin Pavloviç, der in »Der Flug des toten Vogels« (1973) die durch die Rückkehr von Gastarbeitern aus Deutschland angestoßenen Veränderungen in einem nordslowenischen Dorf fokussiert. Doch auch ein bemerkenswerter Film des aus Libyen stammenden Wiener Filmstudenten Awad El Kish über einen ländlichen Außenseiter (»Der blinde Hirte«, 1979) war zu entdecken.

Die ehemalige »Personale« heißt nun »Position«, ein Teil stellte den deutschen Regisseur Christoph Hochhäusler vor. Eine zweite Schau war Lisl Ponger gewidmet, die seit 1979 mit ihren Super-8-Filmen (und zuletzt auch ein paar digitalen Arbeiten) den Blick der ZuschauerInnen zugleich verzückt und verunsichert. Schon früh setzt sie sich dabei in ihren Fotografien und Filmen auch mit der Repräsentation des Anderen auseinander, wenn sie etwa in »Déjà-vu« exotistische Reisebilder im Ton verfremdet oder in Phantom »Fremdes Wien« (2004) die österreichische Hauptstadt zum Ausgangspunkt einer multikulturellen Weltreise macht, deren ordentliche Katalogisierung in der Montage dekonstruiert wird.

Die Wege in der österreichischen Filmszene sind kurz. So darf der ehemalige Co-Festivalleiter Peter Schernhuber seit April letzten Jahres als Chef der Abteilung Film des österreichischen Kulturministeriums über die Förderung mitbestimmen. Und seine Vorgängerin Barbara Pichler leitet mit Gabriele Kranzelbinder nun deren »KGP Filmproduktion« und brachte in dieser Funktion den Dokumentarfilm »Besuch im Bubenland« von Kathrin Schlösser nach Graz: ganz persönliche, direkte und doch einfühlsame Begegnungen mit jüngeren oder älteren Kerlen in der ländlichen Region Ostösterreichs, die ungewöhnlich offene Blicke in die Verletzlichkeiten des oft stereotypisierten »weißen« Mannes gestatten. 

In den Wettbewerben der Diagonale konkurrierten in den fünf Tagen des Festivals kurze und lange Experimental-, Dokumentar- und Spielfilme aus der österreichischen Produktion des letzten Jahres um ein ganzes Dutzend an Preisen. Der für den langen Dokumentarfilm ging an die Wiener Regisseurin Helin Çelik mit »Anqa«, einem Film, der in zurückhaltendem Gestus und mit geduldiger Aufmerksamkeit von den seelischen und körperlichen Verwundungen dreier Frauen in Jordanien erzählt. Unter den achtzehn langen Spielfilmen des Wettbewerbs reüssierte mit Martha Mechows »Die ängstliche Verkehrsteilnehmerin« eine deutsche Coproduktion mit Berliner Regisseurin. Hinter dem lustigen Titel verbirgt sich ein Roadmovie um zwei jugendliche Schwestern in einem feministischen Ferienlager auf Sardinien, dem die Herkunft aus dem Umfeld der Berliner Volksbühne an der kaum gebremsten Inszenierungslust anzusehen ist.

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