Interview: Olivier Assayas über seinen Film »Zwischen den Zeilen«

Olivier Assayas am Set von »Personal Shopper« (2016). © Carole Bethuel

Olivier Assayas am Set von »Personal Shopper« (2016). © Carole Bethuel

Monsieur Assayas, gab es einen bestimmten Auslöser für Ihren Film – konnten Sie etwa ein Buch nur noch digital bekommen? Oder ist er das Ergebnis von fortwährenden Gesprächen im Freundeskreis über die zunehmende Digitalisierung?

Es war die allgemeine Situation, mit der ich – wie wir alle – seit Jahren leben: man bestellt sich schnell ein Buch online bei amazon, einige Bücher gibt es nur digital – das hat unser Verhältnis zu Büchern verändert, auch generell zum Lesen und Schreiben.    

Wie gehen Sie persönlich damit um? Verschicken Sie Kurznachrichten per Twitter, haben Sie einen Facebook-Account, lesen Sie Bücher digital?

Nein, ich habe nichts gegen Social Media, aber ich nutze sie nicht - ich lese gedruckte Bücher, gehe ins Kino, höre Musik zuhause. 

Sie gehen noch ins Kino und haben kein Netflix-Abo?

Ich sehe Filme im Kino, auf DVD, als Blu-ray – Netflix bietet mir nichts, an dem ich ein großes Interesse hätte.

Ich vermute, die erste Figur des Films war der Verleger. Wie sind Sie zu Ihren anderen Figuren gekommen?

Das Schreiben dieses Drehbuches war ungewöhnlich. Ich wollte schon seit langem einen Film darüber machen, wie sich die Welt des Bücherverlegens ändert. Die erste Fassung schrieb ich schon vor langer Zeit, aber damals kam der Film nicht zustande. Darüber bin ich heute ganz froh, denn das gefiel mir später nicht mehr. Ein Film, dessen zentrale Figur ein Verleger ist, der seine eigene Beziehung zu dieser Welt hinterfragt, ist geblieben. Ich wusste lange nicht, in welche Richtung sich der Film entwickeln würde, es hat sich Stück für Stück ergeben. Ich schrieb die erste Szene mit dem Verleger, daraus ergab sich als Gegenpol die zweite Figur, die des Autors, dann schrieb ich die zweite Szene, als er nach Hause kommt, so hatte ich die dritte Figur, die Ehefrau des Verlegers. 

Betrifft das auch das Ende? Der Film hätte auf viele verschiedene Arten enden können…

Das stimmt. Man hat eine bestimmte Verantwortung gegenüber seinen Figuren, deren Schicksal man in seinen Händen hält. Ich hätte die Figuren hier auch bestrafen können, aber irgendwie schien mir Vergebung sinnvoller, also ihre Rettung. 

In welchem Moment der Drehbuchentwicklung war Ihnen klar, dass dies eine Komödie wird?

Sehr spät, das muss ich zugeben. Beim Schreiben wusste ich, dies ist wesentlich ein Film über Ideen, aber dabei wurde mir immer klarer, dass dies Figuren in einer Komödie sind. Ich erinnerte mich auch an »Irma Vep«, der eine Komödie über das Filmemachen war. Gerade wenn man einen Film über Ideen macht, die ein bestimmtes Gewicht haben, sollte man nicht predigen, vielmehr ist es sinnvoll, dabei eine gewisse Leichtigkeit mit hinein zu bringen und mit Humor erzählen. 

Vor vierzig Jahren kam Ihr zweiter Spielfilm, »Winterkind« in die Kinos. In seinem Mittelpunkt standen ebenfalls zwei Paare – allerdings war der Film keine Komödie, sondern eine Tragödie…

Es ist lustig, dass Sie diesen Film erwähnen, denn in gewisser Weise war »Winterkind« eine Art Blaupause für das, was ich in meiner ganzen Filmkarriere angestrebt habe. Der Film war zu düster, von heute gesehen, es mangelte ihm an Humor, es war das Werk eines jungen Filmemachers, der in einer düsteren Welt lebte und versuchte, dem dunklen Romantizismus, der ihn inspiriert hatte, zu entkommen. »Winterkind« begann übrigens ähnlich wie »Zwischen den Zeilen« als Erzählung über eine bestimmte Pariser Schicht.

In Ihrem neuen Film haben Sie zwei Paare, aber eine der vier Personen, Valerie, die Ehefrau des Autors, ist nicht Teil dieses komplexen Geflechts aus Intrigen und Täuschungen. Wie schwer war es für Sie, eine Balance zu finden zwischen ihr und den drei Personen, die miteinander interagieren?

Das ist in vielerlei Hinsicht die Figur, mit der ich am meisten sympathisiere – sie hat etwas sehr Gradliniges und Aufrichtiges (auch wenn das nicht immer auf Gegenliebe stößt), was auch an der Darstellerin Nora Hamzawi liegt, die sie mit sehr viel Energie und Witz ausgestattet hat.

In der Pressevorführung, in der ich den Film gesehen habe, gab es viele Lacher bei der Szene, wo es um »Star Wars« bzw. »Das weiße Band« geht. Hat der Film von Michel Haneke eine besondere Bedeutung für Sie?

Ich bin ein großer Fan von Michael Haneke, aber ich bekenne mich schuldig, seinen Film als Beispiel für das Arthouse-Kino benutzt zu haben, Hochkultur contra Massenkultur. Ich hoffe, er verzeiht mir.

Vor Ihrer Karriere als Filmemacher, Drehbuchautor und dann Regisseur, haben Sie als Filmkritiker gearbeitet. Heute ist ein quantitativ großer Teil der Filmkritik ins Internet abgewandert. Folgen Sie dem als Filmemacher oder begnügen Sie Sich mit der Lektüre der Filmkritiken in den großen Tageszeitungen und den Filmzeitschriften?

Ich lese generell nicht gerne über meine Filme und überhaupt über Filme. Was ich gar nicht mag, sind die Meinungsäußerungen, die viel zu früh kommen. Manche Leute haben gerade das Kino verlassen und verfassen schon eine Kritik und stellen sie online, Man sollte schon ein paar Tage Zeit für das Nachdenken über einen Film haben.

Vor einiger Zeit haben Sie etwas gemacht, was Sie zum letzten Mal vor zwanzig Jahren gemacht hatten, sie haben am Drehbuch für einen anderen Regisseur mitgearbeitet, bei Roman Polanskis »Nach einer wahren Geschichte«. Wie kam das zustande?

Das war eigentlich ganz banal: wir haben denselben Agenten. Polanski wollte einen Roman adaptieren und benötigte dafür jemanden. Er mochte meine Arbeit, ich empfand es als eine Ehre mit ihm zu arbeiten und schrieb dann die erste Fassung des Drehbuches. Allerdings ist das auch ein wenig frustrierend, wenn man dann nicht anschließend auch mit den Darstellern arbeiten kann. 

Der Film war ein Thriller, Ihr nächster Film, »Wasp Network«, tendiert ebenfalls in diese Richtung, allerdings auf einer globaleren Ebene. Ist dabei etwas von Ihrer Arbeit an dem Polanski-Film eingeflossen?

Nein, das ist ein Projekt, das ich schon länger verfolgte. Vor zehn Tagen habe ich die Dreharbeiten abgeschlossen. Es spielt in Kuba und Miami in den frühen Neunzigern und basiert auf der realen Geschichte einer Gruppe kubanischer Spione in den USA. Das ist ein politischer Thriller, in der Art von »Carlos«.

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