Crossing Europe Filmfestival: Die Bildbaumeisterin

»Yesim Ustaoglu« © Real Fiction

»Yesim Ustaoglu« © Real Fiction

Mehr als nur aktuell: Das Crossing Europe Filmfestival 2017 im österreichischen Linz richtete sein Spotlight auf das Werk der türkischen Autorenfilmerin Yesim Ustaoglu

Erneut bewies das Crossing Europe Filmfestival im schönen Linz sein Gespür für virulente Themen im Großraum Europa und widmete sein diesjähriges Spotlight-Programm der türkischen Autorenfilmerin Yeşim Ustaoğlu. Volle Säle, engagierte Gespräche und eine gut besuchte Masterclass zeugten vom großen Interesse, auf das die kleine Werkschau beim Publikum stieß, eben nicht zuletzt aufgrund der aktuellen politischen Entwicklungen in der Türkei. Dabei ergab sich aus der Zusammenschau der fünf gezeigten Spielfilme, entstanden in den Jahren 1999 bis 2016, eine ungeahnte und drängende Aktualität.

Der Kurdenkonflikt in »GüneŞe Yolculuk« (Journey to the Sun, 1999), das verdrängte Schicksal der pontischen Griechen in »Bulutlari beklerken« (Waiting for the Clouds, 2004), die Generationenverwerfungen in »Pandora'nin kutusu« (Pandora's Box, 2008), die ungestillte Sehnsucht der Jugend in »Araf« (Araf – Somewhere in Between, 2012) und die Reflexion der Geschlechterrollen in »Tereddüt« (Clair Obscur, 2016) – all diese schwerwiegenden, die türkische Gesellschaft vielfältig umtreibenden Themen gestaltet Ustaoğlu in ihren Filmen mit gebotener Ernsthaftigkeit und aufklärerischem Gestus, doch ohne dabei ins Dozieren zu geraten, in Schwermut zu verfallen oder sich gar der Hoffnungslosigkeit zu ergeben; selbst dann nicht, wenn am jeweiligen Ende traurige Einsichten und trübe Aussichten stehen.

Gerne folgt man Ustaoğlu dabei, wie sie mit ihren komplexen Erzählungen die Details der Verhältnisse und die Nuancen der Beziehungen erforscht; vor allem auch, weil sie farbenfroh und lebensprall mitten aus den sozialen und geografischen Gegebenheiten der Schauplätze erwachsen. Ustaoğlu nutzt die Orte, an denen ihre Geschichten angesiedelt sind, nicht lediglich als malerische Kulissen, sondern auch als narratives Potenzial und sie bezieht die Ansässigen – die Dorfbewohner und die Städter, die Geschäftigen und die Flaneure – als Darsteller und/oder Statisten mit ein. Und wenn sie sich, wie in »Bulutlari beklerken«, gemeinsam mit den Bauern auf den Weg zur Alm macht, sich in Araf bei Blitzeis auf die Autobahn wagt oder in »Günese Yolculuk« den weiten Weg quer durch die Türkei vollzieht, kippen ihre Filme fast ins Dokumentarische. Das hat eine Verwurzelung im Authentischen zur Folge, die zurückwirkt auf die Handlung und ihr etwas Zwingendes verleiht. Mögen auch die Konstellationen der Figuren und die Abläufe der Ereignisse immer wieder beispielhaft erscheinen, so wohnt ihrer Inszenierung doch das Unmittelbare und Wahrhaftige des direkten Realitätsbezugs inne.

Yeşim Ustaoğlu wurde 1960 in Sarikamis im Osten der Türkei geboren und wuchs in Trabzon am Schwarzen Meer auf. Die in Istanbul ausgebildete Architektin war unter anderem auch als Journalistin tätig, bevor sie damit begann, Kurzfilme zu drehen und 1994 mit dem Thriller »Iz« (The Trace) schließlich ihren ersten Langfilm vorlegte. Seither arbeitet sie beharrlich an ihren leise widerständigen Filmen, die meist in Form von Koproduktionen mit Deutschland und Frankreich entstehen. Das ausländische Geld garantiert Ustaoğlu eine gewisse Unabhängigkeit, vor den Kontroversen, die die Filme dann oftmals auslösen, schützt es nicht. Doch Ustaoğlu lässt sich nicht beirren, sie erzählt Geschichten aus der Türkei über die Türkei (nicht nur) für die Türkei. Geschichten, die Historie und Gegenwart des riesigen und so diversen Landes reflektieren und die der Selbstreflexion dienen können. Mit ihren Filmen hält sie ihren Zeitgenossen Spiegel vor, in denen das ungeheuer Schöne der Heimat ebenso aufscheint wie das Grausame und das Hässliche; sie schafft Bilder, die Land und Leuten gerecht werden und die Möglichkeit bieten, von der Veränderung der Verhältnisse nicht nur zu träumen, sondern die auch Wege aufzeigen, wie diese Veränderung zu bewerkstelligen wäre. Mit gegenseitigem Verständnis zum Beispiel, mit Toleranz, mit Mitgefühl. Yeşim Ustaoğlu ist eine Architektin, die Filme dreht; eine Baumeisterin der Bilder, die Räume repräsentieren, in denen die so unterschiedlichen Facetten ihres Heimatlandes Wohnstatt finden. Auf gute Nachbarschaft.

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