Kritik zu Willkommen in Siegheilkirchen

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Der Muff von 1000 Jahren: In seinem ersten Animationsfilm rekonstruiert Marcus H. Rosenmüller – frei nach Deix – eine Jugend in der österreichischen Provinz

Bewertung: 4
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5 (Stimmen: 1)

Wer die Cartoons und Karikaturen des 2015 gestorbenen Manfred Deix noch in Erinnerung hat, die etwa in der »Titanic« oder im »Spiegel« erschienen sind, wird sich darauf eingestellt haben, dass ein Werk, das im Untertitel »Der DEIX Film« heißt, nicht mit feinem Strich arbeitet. Irre Gesichter, riesige Brüste, fette Ärsche, feiste Körper, dreckige Unterwäsche – das sind so die Stilmittel, mit denen Deix das hässliche Österreich bloßstellt. Und so weit entfernt von Deutschland ist dieses Österreich bekanntlich auch nicht. »Im Vergleich zur Realität sind meine Bilder Oasen des Friedens und der Höflichkeit«, hat der Meister mal gesagt – und hat wahrscheinlich recht. 

Überzeichnung gehört zum Wesen der Satire. Man muss die Deix'sche Drastik nicht mögen, ihr Gestus der Entlarvung schlägt aber immer Funken. Und passt wie die Faust aufs Auge auf die Zeit, in der dieser Film spielt, die späten sechziger Jahre, als die alten konservativen Autoritäten noch das Sagen hatten, Vorurteile noch als Charakterstärke galten und überhaupt die braune Zeit nicht allzu lange vorbei war. Nicht umsonst prangt am Rathaus von Siegheilkirchen noch das nur leicht überstrichene Hakenkreuz, und so muss der Kunstmaler zur Übermalung in den kleinen Ort. Das Hakenkreuz stammte auch von ihm. Es ist der Onkel vom »Rotzbub«, wie alle den frühpubertierenden Jungen nennen, um den sich dieser Film dreht, der inspiriert ist nicht nur von den Figuren von Deix, sondern auch von dessen Jugend in Niederösterreich. 

Der Rotzbub ist talentiert und sexuell unter Hochspannung, weshalb seine erotischen Träume in Nacktzeichnungen der Metzgersgehilfin münden. Ideal sublimiert, bei den Jungs in der Schule kommen die (gegen Bezahlung) gut an, aber beim Pfarrer und bei der Frau des Bürgermeisters nicht. Aber eigentlich hat sich der Rotzbub in Mariolina verguckt. Die gehört zu den Fahrenden, den Roma, damals »Zigeuner«, die an der Peripherie des Ortes campieren. Und denen die Ressentiments der Dörfler vehement entgegenschlagen. In der eindringlichsten Szene des Films sitzen Mariolina und ihre Mutter im Gasthaus. Das gehört den Eltern des Rotzbubs. Als die Mutter einen Wein ordert, heißt es: »Unterm Führer hätte es das nicht gegeben.« Der Vater, ein Kriegsversehrter mit amputiertem Arm, wird die beiden nicht bedienen, er wolle keinen Ärger. Und man merkt, wie sehr es ihn schmerzt. 

Und auch die Gegenkultur weht nach Siegheilkirchen, in Gestalt des »Café Jessy« und seines langhaarigen Betreibers Poldi, der einfach alle bewirtet und auch dem Rotzbub ein Bier hinstellt. »Willkommen in Siegheilkirchen« ist der erste abendfüllende österreichische Animationsfilm und der erste Ausflug des Bayern Marcus H. Rosenmüller, der zusammen mit Santiago López Jover Regie führte, in dieses Genre. Rosenmüller hat leise Filme gedreht, wie die »Beste Zeit«-Trilogie, und ist so etwas wie der Pionier des neuen deutschen Heimatfilms. In Siegheilkirchen geht es am Ende etwas turbulent und versöhnungsvoll zu. Das ändert aber an dem bösen Blick auf den Mief der Nachkriegszeit nichts.

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