Kritik zu Weapons – Die Stunde des Verschwindens

© Warner Bros. Pictures

Zach Cregger etabliert sich mit seinem zweiten Horrorfilm als wichtige neue Stimme im Genre. »Weapons« spürt im Schrecken gekonnt soziale Dissonanz auf

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Ein altes Sprichwort besagt: »Kindermund tut Wahrheit kund.« Die Kinderstimme, die zu Beginn von Zach Creggers »Weapons – Die Stunde des Verschwindens« aus dem Off erklingt, plappert zwar nichts unschuldig aus und verrät auch keineswegs spontan ein gut gehütetes Geheimnis. Sie erzählt vielmehr sehr überlegt von einem mysteriösen Vorfall, der sich in der kleinen US-amerikanischen Gemeinde Maybrook ereignet hat. Und dennoch ist es gerade der Klang dieser kindlichen Stimme, der die wüste Geschichte beglaubigt. Und nicht nur die Geschichte an sich, vor allem auch ihre Interpretation, die das Kind gleich mitliefert. Denn es erzählt dem Publikum nicht nur von 17 Grundschülerinnen und -schülern, die alle eines Nachts um 2:17 Uhr die Häuser ihrer Eltern verlassen haben und verschwunden sind. Es verkündet zugleich, dass die Erwachsenen, die Autoritäten in der Stadt, die Geschehnisse vertuscht und die Wahrheit verschleiert haben.

So schickt Cregger das Publikum hinein in einen stark verwinkelten Kaninchenbau aus verschiedenen Verschwörungstheorien. Manche von ihnen entspringen der Welt seines Films, andere weisen durchaus Parallelen oder Schnittstellen zu höchst aktuellen Verschwörungserzählungen auf. Und natürlich sind die Eltern der 17 verschwundenen Kinder fest davon überzeugt, dass sie und ihr geliebter Nachwuchs Opfer einer großen Verschwörung geworden sind. In deren Zentrum steht für sie die junge, von Julia Garner gespielte Lehrerin Justine Gandy, in deren Klasse alle Verschwundenen gegangen sind. Vor allem für Archer Graff (Josh Brolin), einen der Väter, muss sie die Verantwortliche sein. Also startet er seine ganz private Hexenjagd auf Justine.

Cregger, der schon in seinem ersten Horrorfilm »Barbarian« (2022) mit einem verstörenden Perspektivwechsel gearbeitet hat, splittet die Erzählung in sechs Kapitel auf. Jedes von ihnen fokussiert sich auf eine der zentralen Figuren des Films. Neben Justine und Archer sind das der Streifenpolizist Paul (Alden Ehrenreich), der obdachlose Drogensüchtige Anthony (Austin Abrams), der Grundschuldirektor Marcus (Benedict Wong) und Alex (Cary Christopher), der einzige Schüler der Klasse, der in jener Nacht nicht verschwunden ist. Diese Einteilung in Kapitel und die mit ihr verbundenen Wechsel der Erzählperspektiven sind hier allerdings kein avantgardistisches Stilmittel, auch wenn Cregger in Interviews Paul Thomas Andersons »Magnolia« (1999) als Inspiration nennt. Sie spiegeln eher den Zerfall unserer Gesellschaft wider.

Jede neue Perspektive eröffnet einen etwas anderen Blick auf die Filmerzählung wie auf ihre Anknüpfungspunkte in unserer Wirklichkeit. So könnte man in einem dieser Kapitel durchaus eine Paraphrase der immer wiederkehrenden Erzählung von den Eliten sehen, die sich durch Kinderblut verjüngen wollen. Cregger selbst scheint dabei nie Stellung zu beziehen. Doch Larkin Seiples brillante Kameraarbeit, die das Publikum mittels langer Kamerafahrten in die Welt und die Wahrnehmung der einzelnen Figuren hineinzieht, lässt einen die Schrecken eines Lebens im Schatten von Verschwörungstheorien nahezu unvermittelt erleben. Alle Figuren des Films sind Gefangene, nicht nur ihrer Trauer, sondern auch einer Welt, die Gemeinschaft nur im Hass zulässt. Zudem wird der sich mehr und mehr Bahn brechende groteske Humor des Films zum Zerrspiegel, in dem der Irrsinn unserer alltäglichen Wirklichkeit sichtbar wird.

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