Kritik zu Vaterlandsverräter

© Salzgeber

Eine schwierige Annäherung: Die Dokumentarfilmregisseurin Annekatrin Hendel porträtiert den Schriftsteller Paul Gratzik, der für die Staaatssicherheit spitzelte und selbst ausspioniert wurde

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Die Stasi sei an allen Karrieren in der DDR beteiligt gewesen, sagt die Opernsängerin Renate Biskup einmal in Vaterlandsverräter. Ein Satz, so einleuchtend wie erschreckend. Biskup fällt aus allen Wolken, als ihr die Regisseurin Annekatrin Hendel enthüllt, dass sie von ihrem damaligen Geliebten, dem Schriftsteller Paul Gratzik, für die Staatssicherheit ausgekundschaftet wurde. Aber zur gleichen Zeit, als Gratzik seine Berichte über die Biskup schrieb, wurde er selbst von einem anderen Kollegen und IM überwacht.

20 Jahre, von 1962 bis 1981, hat Paul Gratzik, der immerhin vom Arbeiter zum Schriftsteller und in die Boheme aufstieg, Freunde und Bekannte bespitzelt. Gratzik, Jahrgang 1935, war überzeugter Kommunist. Zu Beginn der achtziger Jahre stieg er aus und »outete« sich, was wiederum seine verstärkte Bespitzelung nach sich zog. Man muss den Menschen, die als IM arbeiteten, vielleicht konzedieren, dass sie glaubten, das Richtige für ihren Staat zu tun. Aber die entscheidende Frage ist doch: Wie weit sind sie gegangen? Was haben sie selbst an Schäden angerichtet?

Mit Gratzik ist es schwer, darüber zu plaudern, und man kann nicht umhin, die Hartnäckigkeit zu bewundern, mit der ihm Regisseurin Hendel Fragen stellt. Gratzik ist ein Chamäleon, geriert sich in der Pose des Unangepassten, spielt selbst seine Berichte herunter und macht sie schlecht. »Eine saumäßige Leistung als Bericht«, sagt Gratzik einmal über seinen Stasi-Text, »das kleine Lichtchen, das kleine Arschloch schätzt ein.« Und er ist cholerisch. Zu Beginn des Films rudert Hendel mit Gratzik über einen Brandenburger See. Sie bringt das Gespräch auf seine Denunziationen, zitiert Gratziks Mutter: »Der größte Feind im ganzen Land ist und bleibt der Denunziant. « Aber dann rastet Gratzik aus, dass das Boot wackelt, und schreit sie an: »Ich hör diese scheiß westdeutschen Filmfragen genau raus. Ich habe kein Gewissen und keine Moral, jedenfalls nicht eure.« Die Pose des Rebells gehört auch zu den Lebensentwürfen des Schriftstellers.

Heute lebt Gratzik, der immerhin Heiner Müller ausspionierte, in einem abgelegenen Hof in der Uckermark, ein Eremit. Hendel hat sich auch mit den Frauen im Leben des Schriftstellers unterhalten, mit seinen Geliebten, aber auch mit der Lektorin des Rotbuchverlags, der Gratzik im Westen verlegte, mit Gratziks Führungsoffizier, der heute noch im Duktus von damals redet, als wäre nichts geschehen. Es entsteht das Bild eines verstrickten Menschen zwischen Kadertreue und Gewissensbissen, eines Täters, der auch Opfer war, dessen Karriere eben endete, als er mit der Stasi brach. Aber trotz ihres Nachfragens kommt Hendel, die übrigens auch in der DDR aufwuchs, nie wirklich an das Innerste von Gratzik, der sich windet und windet, heran. Vaterlandsverräter ist ein widersprüchliches Porträt. Es mag typisch sein für viele intellektuelle Stasi-Biografien – aber eine wirkliche Einsicht in ihre Triebfedern liefert es nicht.

Meinung zum Thema

Kommentare

Man konnte mit der Stasi nicht brechen. Man konnte auch nicht sagen, jetzt arbeite ich für euch und dann nicht mehr. Einmal unterschrieben bei der Stasi und das wars dann gewesen. Kariere machen - mit der Beteiligung der Stasi, das ging auch nicht.

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