Kritik zu Sorry Genosse

© W-film

Bei einer Liebesgeschichte, die in Zeiten des geteilten Deutschland spielt, darf Ton Steine Scherben nicht fehlen: Die Filmstudentin Vera Maria Brückner setzt den historischen Stoff in ihrem HFF-Abschlussfilm mit demonstrativer Originalität um 

Bewertung: 2
Leserbewertung
0
Noch keine Bewertungen vorhanden

Es dürfte Anfang der 1970er eher ungewöhnlich gewesen sein, die Lyrics des Songs »Schritt für Schritt ins Paradies« von Ton Steine Scherben als Kommentar zu einer privaten Liebesgeschichte zu lesen. Im Film kommt diese Interpretation von den beiden Protagonisten selbst, die vor der Kamera ihre turbulente gemeinsame Geschichte im Rahmen des geteilten Deutschland erzählen. Coverversionen weiterer Scherben-Klassiker durch Florian Paul & Die Kapelle der letzten Hoffnung begleiten neben Originalmusik dieser Truppe auch den Rest des Films, der im Sommer 1969 in der ostdeutschen Provinz beginnt.

Dort trifft bei einer Familienfeier in Thüringen die siebzehnjährige Hedi auf den wenig älteren Karl-Heinz. Bei beiden funkt es sofort. Doch Hedi lebt in der DDR, Karl-Heinz in Bayern. Und so bleiben beiden nach seiner Abreise erst nur lange Briefe und gelegentliche Treffen in Ostberlin oder Prag. Doch nach einem gemeinsamen Ungarn-Urlaub 1972 haust der linksbewegte Westdeutsche sogar längere Zeit illegal im Jenaer Wohnheim der Medizinstudentin.

Irgendwann ringt sich Karl-Heinz zu einem offiziellen Antrag auf Übersiedlung in die DDR durch und gerät in den Radar des dortigen Auslandsgeheimdienstes, der ihn in einer Beurteilung als »emotional links, kaum Lebenserfahrung, leicht beeinflussbar« einschätzt und durch jovial auftretende Mitarbeiter mit Speise, Bier und Reisegeld traktieren lässt. Die geplante Übersiedlung hintertreibt der Dienst, weil er seinen IM im Westen einsetzen will. Als den beiden dies klar wird, reifen Pläne für Hedis Flucht über Rumänien durch ein von Karl-Heinz ausgehecktes Szenario mit Rollenspiel und Passbetrug. Ein im Film mit verspielten Erklärstückchen visualisierter Plan, den die beiden mit Hilfe von zwei FreundInnen mit verpassten Treffen und vertauschten Schließfächern und einem ganzen Arsenal hinterlassener Spuren extrem dilettantisch durchführen. Er gelingt trotzdem.

Also perfekter Stoff für eine dokumentarische Komödie, den die Münchner Filmstudentin Vera Maria Brückner in ihrem HFF-Abschlussfilm auch mit demonstrativer Originalität umsetzt. Ein Handicap ist dabei, dass die beiden sympathischen und mit viel Sorgfalt in ausgesuchte Kulissen (unter anderem ein 70er-Jahre-Motto-Hotel) gesetzten Charaktere zwar gern lachen, ihre Erzählungen und das Verlesen eigener alter Briefe aber mit wenig Sinn für komisches Timing eher bräsig inszeniert sind. Schwerer wiegt, dass der Stoff die von dem betont einschmeichelnden Kommentar (»Hey, ich habe mich in eine Geschichte verliebt, flüstert es am Anfang aus dem Off) geweckten hohen Erwartungen nicht erfüllen kann. Vor allem weil der Film an dem Punkt aufhört, an dem das eigentliche Drama wohl erst begann: mit Hedis starkem Heimweh aus ihrem neuen Leben in Bayern, das sie in einem Brief sogar »dieses Scheißland hier« nennt. Weiter ausgeführt wird diese Leidenszeit bis auf fast drei Minuten melancholischer Musik zu Feuerwerk nicht. So bleibt dem Film eine zentrale inhaltliche und emotionale Leerstelle – und die Aufdeckung der dokumentarischen Inszenierung ganz am Ende wirkt wie ein billiges Ablenkungsmanöver

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt