Kritik zu Schock

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Als Arzt bei der Mafia: Das Regieduo Daniel Rakete Siegel und Denis Moschitto inszeniert einen düsteren, auf interessante Weise zwischen Ruhe und Gewalt changierenden Genrefilm

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Der buchstäbliche Schock kommt später, in einer der heftigsten Szenen seit langem im deutschen Kino. Aber schon der Auftakt von Daniel Rakete Siegels und Denis Moschittos knallhartem Genrefilm hat es in sich. »Der muss raus«, sagt Bruno (Moschitto), wenige Momente bevor er die Zange ansetzt, um einer illegalen Sexarbeiterin in dem schmutzigen Bordell »Asia Paradies« einen Zahn zu ziehen. Die Zange knirscht am Zahn, die Frau wimmert trotz Betäubung, bevor das Ding endlich rauskommt und sie das Blut in einen Putzeimer spuckt. 

Auch wenn es hier weniger regnet, ist die Dunkelheit in »Schock« fast so umfassend wie in David Finchers »Sieben«. Mittendrin Bruno, Arzt, der seine Approbation wegen Drogenkonsums verloren hat und sich gegen Cash um die Nöte der Gesetzlosen kümmert. Es ist ein interessanter Antiheld, den das Regieduo, das sich bei der Zusammenarbeit für die Serie »Im Knast« kennengelernt hat, etabliert, denn er eröffnet einen frischen Blick auf einen Kosmos, in den er eigentlich nicht gehört. 

Bruno hat einen moralischen Kompass, handelt dennoch moralisch fragwürdig und kümmert sich, ganz der Arzt, der er ist, pflichtbewusst um seine kriminellen Kunden. Er flickt seinen angeschossenen Schwager­ Giuli (Fahri Yardim) zusammen, einen Kleinkriminellen, der mit seiner Schwester Laura (Aenne Schwarz) liiert ist, und nimmt dann von einer Anwältin (Anke Engelke) den Auftrag an, für 50 000 Euro einen leukämiekranken Mafioso zu behandeln. Damit beginnt die Abwärtsspirale, in die Siegel und Moschitto den Arzt nach eigenem Drehbuch schicken. 

Die Beschaffung der nötigen Medikamente gestaltet sich schwierig. »Ich muss gucken, wem ich weniger geben kann, ohne dass er gleich abnippelt«, erklärt ein befreundeter Apotheker, mit dem Bruno über den Preis für die notwendigen Arzneimittel für den Mafiaboss feilscht. Mit Letzterem hat Brunos Schwager eine Rechnung offen – es scheint nur eine Frage der Zeit bis zur Eskalation.

»Schock« hält mit einigen drastischen Szenen, was der Name verspricht, ist aber alles in allem ein ruhiger und erstaunlich stilbewusst inszenierter Thriller. Atmeten deutsche Gangsterballaden, wie Fatih Akins »Kurz und schmerzlos« oder Özgür Yıldırıms »Chiko«, in dem ebenfalls Moschitto die Hauptrolle spielte, den Geist von amerikanischen Vorbildern wie Martin Scorsese, so erinnert »Schock« eher an den frühen Nicolas Winding Refn. Die Synthieteppiche von Musikfrickler Hainbach schrauben sich in den Gehörgang und laden die ruhig komponierten, teils neonlichtgetränkten Bilder von Kameramann Paul Pieck auf. 

Siegels und Moschittos Film lebt von seiner düsteren Atmosphäre und einer bewusst reduzierten Erzählung. Das Duo wirft uns in eine amoralische, durch FFP2-Masken von Corona gezeichnete Welt mit eigenen Regeln, die wir, ohne dass etwas auserzählt oder plump psychologisiert würde, erst nach und nach mit Bruno verstehen. Er ist das Zentrum dieses Films: dieser Arzt auf Abwegen, der auf seinem Balkon mit Blick auf Köln trainiert und immer tiefer in dem unübersichtlicher werdenden Sumpf versinkt. 

Dass sich hier gerade ein Arzt in die Dunkelheit begibt, scheint bezeichnend: Die Welt ist krank, Heilungsversuche zwecklos, und der Patient hat Herzstillstand, wie das Piepen einer Autotür nach einer folgenschweren Schießerei suggeriert. Der Film ist konsequent, auch in seinem Pessimismus. »Schock« zelebriert das Gangster-Sein nicht: keine coolen Sprüche, keine Attitüde.

Der deutsche Genrefilm hat es bekanntermaßen nicht leicht, weshalb Siegel und Moschitto mit kleinem Budget »unter dem Radar« gefilmt haben. Nachdem Christoph Hochhäusler letztes Jahr mit seinem Großstadtthriller »Bis ans Ende der Nacht« um eine Transfrau und einen schwulen verdeckten Ermittler das deutsche Genrekino ins 21. Jahrhundert brachte, ist »Schock« ein weiterer Meilenstein. Totgesagte leben eben länger.

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