Kritik zu Periferic

Trailer rumänisch @ Peripher

2010
Original-Titel: 
Periferic
Filmstart in Deutschland: 
12.07.2012
L: 
87 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Weltweit machen Filme des rumänischen Kinos Furore, im eigenen Land gelten sie wenig. Bogdan George Apetris Debütfilm beweist jedenfalls, dass ihr Goldenes Zeitalter noch lange nicht vorüber ist

Bewertung: 4
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So fangen traditionell französische Gangsterfilme an: Die Entlassung der Hauptfigur ist ein geradezu obligatorischer Auftakt bei Jean-Pierre Melville oder Henri Verneuil. Das Gefängnistor schließt sich hinter ihnen, sie verabschieden sich von einem Kapitel ihres Lebens, aus dem sie ungebrochen hervorgehen. Ihre Entlassung bedeutet keinen Neuanfang, sondern ist Teil einer Kontinuität. Denn der Wiedereintritt in die Gesellschaft ist keine wirkliche Option für sie; ihre Vergangenheit wird auch ihre Zukunft sein.

Die Hauptfigur von Periferic wird indes nicht von einem Nachkommen Lino Venturas oder Alain Delons verkörpert, sondern von der anmutig-herben Ana Ularu, und sie hat eigentlich´auch nur Freigang für 24 Stunden. Gleichwohl lässt der Film bemerkenswert viele Motive des französischen Polar anklingen. Es scheint fast, als wollte Bogdan George Apetri´den legendären Katalog von 19 Standardsituationen durcharbeiten, den Melville einst für das Genre aufstellte. Es werden offene Rechnungen beglichen, es findet eine geheime Geldübergabe statt und Diebe werden ihrerseits bestohlen. Ferner wird ein Verrat gerächt, die Verbindlichkeit des gegebenen Wortes auf die Probe gestellt, es taucht eine Pistole auf, und Stuntdoubles dürfen ihr Talent unter Beweis stellen. Diese Grundierung im Genrekino wird sich als triftige Grundierung erweisen, um von moralischer Korruption und dubiosen Geschäften im Bukarest der Gegenwart zu berichten.

Dabei erinnert die Geschichte, die im Verlaufeines Tages spielt, eher an die einfühlsam schroffen Sozialdramen der Dardenne-Brüder. Die junge Matilda bekommt Hafturlaub, um an der Beerdigung ihrer Mutter teilzunehmen. Sie hat noch andere Pläne: Der Freund einer loyalen Zellengenossin soll sie nach Constanta bringen, der Hafenstadt am Schwarzen Meer, von der aus sie in ein neues Leben aufbrechen will. Die Handlung ist in drei Kapitel unterteilt, die nach den wichtigen Männern in Matildas Leben benannt sind. Zunächst sucht sie ihren Bruder Andrei auf, der sie zur Beerdigung mitnehmen soll. Sie ist verfemt in ihrer Familie, nur widerwillig hilft er ihr. Einige Stunden später überrascht sie den Gelegenheitszuhälter Paul (Mimi Branescu), der ihr für jedes Jahr in der Haft 2 000 Euro versprochen hat, die er nicht rausrücken will. Wortlos lässt sie es geschehen, als er verächtlichen Sex mit ihr hat. Schließlich holt sie ihren gemeinsamen Sohn Toma aus dem Waisenhaus, in das ihn Paul gesteckt hat. Mit einer liebevoll genrehaften Geste nähern sich die beiden Flüchtlinge an: Der Achtjährige bittet sie um eine Zigarette, und sie kommentiert: »Du rauchst gut, ohne zu husten.«

Die Lakonie, mit der Apetri sein Stationendrama inszeniert, gehört indes bald nicht mehr dem Genrekino an. Wir ahnen schnell, weshalb Matilda in ihrer Familie eine Außenseiterin bleiben musste, für welches Verbrechen sie ins Gefängnis kam und welche Rolle Paul dabei spielte. Der Titel Periferic legt eine vor allem atmosphärische Spur aus: Matilda führt eine Existenz am Rande, ihre Verankerung in der bürgerlichen Gesellschaft ist vor langer Zeit zerbrochen. Ana Ularu legt hinter Matildas Ruppigkeit keine tröstliche Sanftheit frei, sondern verleiht ihr die Entschiedenheit, nicht mehr Opfer sein zu wollen. Ihre trotzige Schönheit spielt dem zu. Mimi Branescu (der unentschlossene Ehemann aus Radu Munteans Tuesday after christmas) ist ihr ein großartiger Gegenspieler. Er legt Paul auf nuancierte Weise als verkommenen Profiteur der neuen Zeitläufte an. Unbedingten Abscheu mag man nicht für ihn empfinden, denn Apetri nimmt sich für seine Figuren genau die Zeit, die es braucht, bis jedes Urteil hinter achtsamer Betrachtung zurücktreten kann. Die jungen Filmemacher Rumäniens eint das Talent, den Eindruck zu erwecken, die Ereignisse spielten sich vor dem Auge des Zuschauers in rasch verstreichender Realzeit ab. Periferic ist, bis auf den Prolog und das Ende, durch einen Filter fotografiert, der die Bilder in ein goldenes Monochrom taucht. Die Schönheit dieses heißen, sommerlich flirrenden Farbtons kollidiert mit einer Kadrage, die ein existenzielles Gefangensein unterstreicht. Es liegt eine komplizenhafte Zuversicht in dieser Schönheit: als sei sie eine Gewähr dafür, dass Matilda den richtigen Weg gewählt hat.

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