Kritik zu Pelikanblut

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Katrin Gebbe (»Tore tanzt«) erzählt in ihrem neuen Film von einem schwer traumatisierten Kind und von einer Mutter (Nina Hoss), die für dessen Heilung alles tun will

Bewertung: 4
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3 (Stimmen: 1)

Die ersten Minuten des Films zeichnen mit wenigen Strichen den Rahmen, in dem sich die Geschichte von »Pelikanblut« entwickelt. Zu sehen sind der Nachtmond, ein Pferd und dann am frühen Morgen Wiebke (Nina Hoss) im Stall ihres Reiterhofs: deutsche Idylle an einem konkret nicht benannten Ort. Das Frühstück mit der neunjährigen Adoptivtochter Nikolina (Adelia-Constance Giovanni Ocleppo) vermittelt eine selbstverständliche Innigkeit. Eine zärtliche Geste führt Wiebke als liebevolle Mutter ein. Das passt. Auf dem Reiterhof werden Polizeipferde für ihren Arbeitsalltag mit Demonstrationen, Lärm, Feuer und Gewalt sensibilisiert. 

An dieser Stelle deutet Katrin Gebbe (Buch und Regie) erstmals eine Welt mit Konflikten an. Die Filmemacherin, die 2013 mit »Tore tanzt« debütiert hat, erweitert danach die Perspektive der Handlung. Wiebke und Nikolina reisen nach Bulgarien, wo die fünfjährige Raya (Katerina Lipovska) auf sie wartet. Die alleinerziehende Wiebke adop­tiert das anfangs verhalten reagierende Mädchen. Zurück in Deutschland, wird die Kleinfamilie von einem Pferd beobachtet. Es blickt, als wolle es als stummer Zeuge die Situation deuten und einordnen. In der Nacht nimmt Moritz Schultheiß' Kamera die unruhige Motorik eines Tieres auf. Ein Zeichen?

Das Kind mit den goldigen Zahnlücken gewöhnt sich schnell an die deutsche Sprache, zeigt aber schon beim Frühstück auffälliges Benehmen, das sich in Renitenz, frechen Gesten und Geschrei ausdrückt. Der Film ist 20 Minuten alt, da hat Raya schon ihre Schwester gebissen. Im Weiteren beweist sie ein unorthodoxes Verhältnis zu Körperhygiene, malt düstere Bilder an die Wände und verursacht im Kindergarten Probleme. »Keiner will mit deiner Tochter spielen«, stellt eine Mutter gegenüber Wiebke fest. Sebastian Rudolph als konsultierter Fachmann diagnostiziert »grenzüberschreitende Erfahrungen«, denen Raya ausgesetzt gewesen sein muss, und beschreibt die ­»magische Phase«, in der sie sich gerade befinde. Später ist von einer schweren morphologischen Störung die Rede. Keine guten Nachrichten. »Hast du auch Angst vor ihr?«, will Nikolina von ihrer überfordert erscheinenden Mutter wissen. Der Zuschauer fragt sich, ob Wiebke eine entfernte Verwandte von Regan MacNeil (»Der Exorzist«) in ihr Haus eingeladen hat. Bleiben die Pferde gesund?

Katrin Gebbe scheucht nun aber keine Dämonen über die Leinwand. Sie beobachtet Menschen in Extremsituationen: ein traumatisiertes Kind ohne Empathie und Ängste; eine Mutter, die nicht bereit ist, aufzugeben (»Wir kriegen das hin«) und in einem niederschmetternden Kreislauf aus Fortschritt und Rückschritt, Hoffnung und Enttäuschung gefangen ist. Der Film drückt das in einem musikalischen Erzählrhythmus aus: von Adagio über Andante hin zu Presto. Aufnahmen der Natur und der wechselnden Jahreszeiten spiegeln das Geschehen. Die Umgebung wirkt abwechselnd bedrohlich und kalt, wie ein Mysterium oder wie die gütige Mutter Natur. 

Nina Hoss verkörpert eine Frau mit Geheimnis und einer Narbe unter dem Auge. Möglicherweise kämpft auch sie mit den ­Folgen eines Traumas, das ihre Beziehung zu einem patenten Polizisten (Murathan Muslu) belastet. Wiebke – verletzlich und kämpferisch zugleich – ist eine Frau mit dem Willen zu Grenzüberschreitungen, ohne Rücksicht auf Leib und Psyche. Damit Raya ihre verlorene Kleinkindzeit zurückgewinnt, trägt Wiebke sie auf dem Rücken und stillt sie – nach der Einnahme im Internet bestellter, körperverändernder Medikamente. Katerina Lipovska ist zum Fürchten gut als die vulkanische, explosive, permanent gefährliche Raya. Adelia-Constance Giovanni Ocleppos Intensität beruht auf subtiler Mimik. In ihren Augen entfaltet sich die Geschichte eines Mädchens, das den Boden unter den Füßen verliert. 

Wie kann solch ein Film enden? Mit einer Alternative zur Schulmedizin. Alma (Sophie Pfennigstorf) ruft als schamanisch versierte Frau therapeutische Mittel auf, die in keinem ärztlichen Lehrbuch zu finden sind. Austreibung, schwarze Magie, Blut und ein Pferdekopf – das ist der Stoff, aus dem ­Heilung entstehen kann.

Meinung zum Thema

Kommentare

Was schreiben Sie für eine unglaublich hirnrissige Kritik? Heilung soll aus schwarzer Magie entstehen können? Und das soll eine seriöse Kritik sein? Ich kann es kaum fassen. Aber dann weiß man ja auch, wo die ganzen Coronaleugner und Schwurbler herkommen. Ahnen Sie, wie viele Menschen bereits ins Unglück gestürzt wurden mit derlei unzulässigen Praktiken? Man muss wirklich entsetzt sein über diese Wendung des Films, der zunächst glaubwürdig und gut war. Wie kann er in einem solch dermaßen niveaulosen Desaster enden? Ich bin entsetzt und wütend. Man muss echt am Verstand der Regisseurin zweifeln. Leider auch einer Schauspielerin wie Nina Hoss. Wie kann sie so etwas unterstützen?

Der Meinung von Pia pflichte ich bei.

Ich bin weder entsetzt, noch wütend. Ein sehr spannender Film, der mich immer wieder an meine Grenzen gebracht. Alle Schauspieler haben brillant gespielt und sich mutig diesem Tabuthema gestellt. Und das Pelikane ihre Jungen mit ihrem eigenen Blut großziehen, entspricht den Tatsachen.
Am Sonntag im Tatort wurde der praktizierte Exorzismus durch die katholische Kirche beschrieben und gezeigt.

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