Kritik zu Parallele Mütter

© Studiocanal

In seinem neuen Film verbindet Pedro Almodóvar die Geschichte zweier ungleicher Mütter mit dem kollektiven Bürgerkriegstrauma Spaniens zu einem ernsthaften Familiendrama über schockierende Entdeckungen und unbewältigte Wahrheiten

Bewertung: 5
Leserbewertung
3
3 (Stimmen: 1)

Um Mütter geht es bei Pedro Almodóvar oft, junge und alte, echte und falsche, fürsorgliche und abwesende. Und nicht selten werden sie von 
Penélope Cruz dargestellt, die in bislang sechs von 21 Filmen des spanischen Regisseurs vor der Kamera stand. Gleich bei ihrem ersten Auftritt, in »Live Flesh« von 1997, spielt sie eine schwangere Prostituierte, die an Weihnachten 1970 in einem Madrider Bus einen kleinen Sohn zur Welt bringt, ihre Freundin beißt die Nabelschnur durch. In Almodóvars neuem Film hat sich viel verändert. »Parallele Mütter« spielt in der Gegenwart, der oft schrille Tonfall der frühen Filme ist einer tiefen Ernsthaftigkeit gewichen und die spanische Gesellschaft, die er beschreibt, ist längst eine Demokratie. Die sich jedoch auch heute noch schwertut mit der eigenen Vergangenheit. 

Mütter gibt es im neuen Film gleich drei. Cruz spielt die Werbefotografin Janis, vor rund 40 Jahren benannt nach der Bluessängerin Janis Joplin; ihre Hippiekindheit trägt sie bereits im Namen mit sich. Im Auftrag einer Zeitschrift fotografiert sie den forensischen Anthropologen Arturo (Israel Elejalde), mit dem sie nicht nur eine Affäre beginnt, sondern den sie auch bald um Hilfe bittet, die sterblichen Überreste ihres von den Falangisten ermordeten und in einem Massengrab verscharrten Urgroßvaters auszuheben. Dann wird sie ungewollt schwanger und beschließt, das Kind ohne Arturo zu bekommen, der bereits verheiratet ist. 

Im Krankenhaus teilt sie sich das Zimmer mit der 17-jährigen Ana (Milena Smit), die ebenfalls ein Kind erwartet, allein und völlig überfordert. Deren Mutter Teresa (Aitana Sánchez Gijón) ist zu beschäftigt mit der eigenen Theaterkarriere, um sich um Tochter und Enkelkind zu kümmern. Janis und Ana bleiben auch nach der Geburt ihrer Kinder in Kontakt, Janis nimmt die junge Frau bald als Babysitterin unter ihre Fittiche und aus der zufälligen Begegnung wird eine Freundschaft zweier höchst unterschiedlicher Singlemütter, die sich gegenseitig stützen und die ganz almodóvaresk noch weit mehr verbindet. 

Dieses Nachspüren unterdrückter Wahrheiten und Ausloten von Familienmodellen fächert der Film kunstvoll und berührend nach und nach auf. Bereits Almodóvars vorheriger Film, der autobiografisch geprägte »Leid und Herrlichkeit« war mit seinem melancholisch-ernsthaften Ton ein Alterswerk. »Parallele Mütter«, der 22. Spielfilm des inzwischen 72-jährigen Regisseurs, lässt nun jede Campness beiseite, auch wenn sein Sinn für Farben und Bildkomposition, getragen einmal mehr von Alberto Iglesias' Score, nichts dem Zufall überlässt und jedes Detail mit Bedeutung auflädt, ohne es melodramatisch zu überfrachten.

Parallel laufen dabei die Geschichten um die beiden Mütter und ihre Geheimnisse sowie die Auseinandersetzung mit der politischen Vergangenheit des Landes. Die spanische Gesellschaft hat nach dem Tod Francos 1975 und der anschließenden Transición, dem Übergang von der Diktatur in ein demokratisches System, über Jahrzehnte nach dem Prinzip des Stillschweigens funktioniert. Der Bürgerkrieg und die Ermordung politisch Andersdenkender wurde lange Zeit nicht thematisiert. Erst seit der Jahrtausendwende beginnt man, landesweit Massengräber aus dieser Zeit zu öffnen und sich den Wunden des kollektiven Traumas zu stellen. Almodóvar selbst war mit seiner Truppe von queeren Punks und Dragqueens Teil der Movida, Madrids Subkultur, die mit Kreativität und Exzess den alten Muff lustvoll auszutreiben versuchten, und dabei Franco schlicht negierten. Aus dem damaligen Enfant Terrible ist ein weißhaariger Herr geworden, der sich im Alter zum politischen Gewissen des Landes erhebt. Damit trifft er im tief gespaltenen Spanien einen Nerv, gerade weil »Parallele Mütter« als fiktionale Spurensuche eines sehr realen Traumas mit all seinen Widersprüchen eher heilende Erinnerungsarbeit denn kämpferisches Pamphlet ist.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt