Kritik zu The Mastermind
Kelly Reichardt macht aus einem in den siebziger Jahre spielenden Heistmovie einen Kommentar zu den sozialen Missständen in Amerika und der Verantwortung eines Einzelnen
In ihrem Buch über Kelly Reichardt beschreiben die Filmwissenschaftlerinnen Katherine Fusco und Nicole Seymour die Regisseurin als »Chronistin amerikanischer Fehlschläge«. Selbst wenn sie die großen Storys der amerikanischen Geschichte erzähle, wie etwa in ihrem Anti-Western »Meek's Cutoff«, nehme sie deren Verlierer in den Blick. Dabei werden diese Randgestalten nicht romantisiert, sondern mit all ihren Fehlern und Macken präsentiert – auf wessen Seite sich die Regisseurin schlägt, steht trotzdem niemals in Frage. Auch in ihrem neuen Film »The Mastermind« geht es wieder um einen Außenseiter, aber doch ist alles anders. Unsere Sympathien werden im Lauf der Story zunehmend auf die Probe gestellt: Was als Rebellion eines naiven Freigeists gegen die Zwänge des bürgerlichen Lebens beginnt, entpuppt sich als Irrfahrt eines Individualisten, der schließlich auch vor Gewalt nicht zurückschreckt.
Der Film spielt in den siebziger Jahren und beginnt als leise-humorvolle Hommage an das coole Gangsterkino dieser Ära: mit lässigem Jazz, herbstlichen Farben, einem körnigen Zelluloid-Look und einem Mann, der unauffällig das Sicherheitssystem eines regionalen Kunstmuseums ausspioniert. Wir befinden uns in New England und der Kunsträuber in spe ist J. B. Mooney (Josh O'Connor), zweifacher Familienvater, ehemaliger Kunststudent, arbeitslos und ein ausgemachter Loser. Seine konservativen Eltern, in deren Haus er wohnt, hacken wegen seiner stagnierenden Karriere als Schreiner auf ihm herum; seine Frau Terri (Alana Haim) ist zwar verständnisvoll, aber auch sichtlich frustriert. Doch im Geheimen arbeitet J. B. an seinem großen Coup: Gemeinsam mit zwei ähnlich verpeilten Kumpeln tüftelt er am perfekten Diebstahl zweier abstrakter Gemälde.
Mit seinem Retro-Look – grandios bebildert von Reichardts Stamm-Kameramann Christopher Blauvelt – mag der Film an Filme von Sidney Lumet erinnern, aber der Plot erscheint eher als Variation der ironischen US-Krimis der Neunziger, in denen unbedarfte Underdogs sich in die Welt des Verbrechens bewegen: Auch die Coen-Brüder oder David O. Russell hätten sich eine Figur wie J. B. ausdenken können. Reichardt aber gelingt es, den vermeintlichen »Mastermind« mit ihrem typisch entschleunigten Stil zu entzaubern. Dabei erinnert der Film nicht selten an den thematisch verwandten Doku-Thriller »American Animals« von Bart Layton. Auch Reichardts Protagonist erscheint komplett überfordert mit den Folgen seines zwar zunächst erfolgreichen, aber letztlich doch vergeigten Diebstahls und sieht sich schließlich zu einer überhasteten Flucht gezwungen.
Zusätzlich setzt Reichardt die Handlung in den Kontext der Bürgerrechtsbewegung und Vietnamkriegsproteste, die sich in Rundfunkberichten und Hintergrundgesprächen sozusagen in den Zwischenräumen des Kunstraub-Plots bemerkbar machen. Reichardt zeigt, wie unberührt J. B., ein weißer Mann, der aus einer wohlhabenden Familie stammt, zunächst von dem Lärm der Aktivist*innen ist – bis er sich eben selbst auf der falschen Seite des Gesetzes wiederfindet. In einer Schlüsselszene versucht er eigennützig, sich im Chaos einer Demonstration vor der Polizei zu verstecken.
Langsam streift der Film jeglichen Humor ab und wird mehr und mehr zu einem vieldeutigen Kommentar zur Verantwortung des Einzelnen in einer von sozialem Unrecht geprägten Gesellschaft. Die Parallelen zwischen Nixons und Trumps Amerika scheinen dabei durchaus beabsichtigt. Vor allem geht es Reichardt um eine Kritik am unbedingten Individualismus des Protagonisten, der aus dem Familienzusammenhang flieht, ein öffentliches Museum beklaut und beim Vorschlag, in einer kanadischen Kommune unterzutauchen, bloß abwinkt. Am Ende bleibt von seinem romantischen Gangster-Traum nicht viel übrig: In die Ecke gedrängt, greift J. B. zur Gewalt gegen Schwächere. So versteckt der Film in seiner unterhaltsamen Chronik eines Fehlschlags eine kluge Kritik am eigensinnigen Opportunismus, der letztlich immer nur den Mächtigen dient.
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