Kritik zu Louder Than Bombs

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Joachim Trier (»Oslo, 31. August«) erzählt in seinem in den USA gedrehten Film von einer Familie, die, vom Selbstmord der Mutter auseindergetrieben, auf schwierigen Wegen wieder etwas zusammenrückt. Gabriel Byrne spielt den Vater im Zentrum, der die Entfremdung zu seinen zwei Söhnen überwinden will

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Die Idylle trügt. Die Kamera beobachtet zu Beginn junges Elternglück im Krankenhaus. Jonah (Jesse Eisenberg) hält zum ersten Mal das Baby im Arm, seine Frau lächelt sanft und müde, die familiäre Dreisamkeit scheint perfekt. Kurz darauf jedoch wird er seine Frau belügen, ihr verschweigen, dass er gerade im Krankenhaus seiner ehemaligen Freundin Erin (Rachel Brosnahan) begegnet ist.

Der Norweger Joachim Trier hat sich mit seinem Debüt »Auf Anfang« (2006) und mit »Oslo, 31. August« (2011) einen Platz unter den wichtigen europäischen Autorenfilmern erarbeitet. Er führt gleich zu Anfang die Leitmotive von »Louder Than Bombs« ein. Es geht um Geheimnisse, die Menschen auch in intimen Beziehungen bewahren, um unausgesprochene Erwartungen aneinander, um unerfüllte Sehnsüchte, Enttäuschungen, Trauerarbeit.

Die Handlung setzt drei Jahre nach dem Selbstmord der Kriegsfotografin Isabelle Reed (Isabelle Huppert) ein. Ihr Mann Gene (Gabriel Byrne) und die Söhne Jonah (Eisenberg) und Conrad (Devin Druid) sind keine Gemeinschaft, sondern eher versehrte Einzelgänger. Das Trauma des Todes der Frau und Mutter wiegt noch schwer. Gene, der die Schauspielerei einst für einen Lehrerjob aufgab, versucht sich in einer Affäre mit einer Kollegin (Amy Ryan) neu zu erfinden. Er spürt seinem jüngeren Sohn Conrad nach, der sich der Kommunikation durch Flucht in Fantasiewelten und Videospiele entzieht. Jonah, akademisch als Professor erfolgreich, ächzt unter dem Joch seiner Ansprüche und unter den Zwängen des Familienlebens.

Joachim Trier kennt sich aus mit Menschen in der Krise. Sucht und Entzug, Depression und Selbstmordversuche, das ist das Material, aus dem er seine Filme formt. Eine der Figuren in »Auf Anfang« windet sich in den Fängen einer Psychose. »Oslo, 31. August« konfrontiert das Publikum gleich in der ersten Szene mit dem Selbstmordversuch des Protagonisten.

Stilistisch ist Trier, der jetzt zum ersten Mal mit internationalen Stars und auf Englisch gedreht hat, in der Avantgarde zu Hause. Wirklichkeit und Fantasie verschmelzen ebenso wie Gegenwart und Vergangenheit. Träume, die das Seelenchaos der Figuren spiegeln, erscheinen so plausibel wie die Realität. Der Film gleicht einem Mosaik, bestehend aus Zeitsprüngen, Rückblenden, Erzählerstimmen aus dem Off und elegischen Reflexionen über die Halbwertszeit von Beziehungen oder die Verantwortung von Kriegsfotografen.

Triers Kunst besteht darin, das Artifizielle ungekünstelt erscheinen zu lassen. Seinen Schauspielern gönnt er viel Raum, um ihre Figuren zu entwickeln und mit Leben zu erfüllen. Gabriel Byrne als Vater besitzt viel von der Wärme, Intelligenz, dem Humor, aber auch der Ratlosigkeit und stillen Verzweiflung, deren Darstellung er als Psychiater Paul Weston in der Fernsehserie »In Treatment« perfektioniert hat. Isabelle Huppert, die in den Rückblenden auftritt, strahlt als Fotografin und Mutter eine gespenstisch anmutende Ruhe aus; die Risse in der Maske zeigt sie gleichzeitig auf subtile Weise. Jesse Eisenberg und Devin Druid können den Kollegen Paroli bieten. Eisenberg kultiviert als Jonah eine Ehrgeizhysterie, die ihn antreibt und zugleich lähmt. Devin Druid taucht als Conrad tief hinein in das parallele Universum von Videospielen. Der geborene Außenseiter findet selbst wieder heraus, er öffnet sich der Wirklichkeit, aber erst, als er einem Mädchen seine Verliebtheit offenbart – auf ganz und gar unkonventionelle Weise.

Joachim Trier hat selbst Nebenrollen perfekt besetzt. David Strathairn entwickelt als Isabelles langjähriger Kollege Richard die brütende Intensität eines unglücklich Verliebten. Amy Ryan (Hannah) spielt eine Frau, die im Unterschied zu den meisten anderen Figuren in ihrem Leben da ist, wo sie sein will. Rachel Brosnahan verkörpert als Erin das Prinzip größtmöglicher Authentizität und Ehrlichkeit. Doch auch sie belügt Jonah.

Meinung zum Thema

Kommentare

Der Film beeindruckt mich durch seinen empathischen Blick auf die sehr einsam wirkenden Charaktere und zeigt was sie verbergen wollen, ihre Geheimnisse. Dadurch wirkt der Film authentisch und intim. Interessant ist seine Technik wenn Zeit Charktereeine ähnliche Erfahrung gemacht haben, sie erzählen ineinander montiert ihre Geschichte. Trotz dieser Kongruenz sind sie getrennt voneinander. Der nahtlose Schnitt von zeitlich nicht aufeinander folgenden Szenen bewirkt eine große Wachheit beim Zuschauen,wie ich sie aus den Filmen von Michael Hanecke kenne. Für mich eine wunderbare Entdeckung.

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