Kritik zu Kopfüber

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Bernd Sahling erzählt in seinem zweiten Spielfilm – nach "Blindgänger" –von einem Jungen, der an ADHS leidet

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Einmal rastet er im Klassenraum so richtig aus. Eine Vitrine geht zu Bruch. Durch nichts hatte sich dieser Ausbruch angedeutet. Der zehnjährige Sascha (Marcel Hoffmann) stiehlt, lügt wie gedruckt, randaliert, kann sich nicht konzentrieren und ist beim Lesen und Schreiben eher noch im Anfangsstadium. Freunde scheint er nicht zu haben, und einzig mit der gleichaltrigen Elli im Hochhaus nebenan entwickelt sich so etwas wie eine Bindung. Gemeinsam streifen sie durch die Gegend rund um Jena und nehmen Geräusche auf, die Elli dann auf ihrem Computer schneidet. Auch sie ist irgendwie allein, eine symbiotische Beziehung. 
 
Als das Jugendamt Saschas alleinerziehender Mutter (Inka Friedrich) den Erziehungshelfer Frank zur Seite stellt, wirkt der auf den ersten Blick genauso überfordert wie die gesamte Umgebung von Sascha. Aber er schleppt den Jungen zur Amtsneurologin, die schnell die Diagnose stellt: ADHS, Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom. Aber mit einer Medikamentation scheint auch das in den Griff zu kriegen sein. In einem festen Rhythmus muss Sascha seine Tabletten nehmen, immer wenn die Uhr piept. 
 
Kopfüber soll ein Film für Kinder und Erwachsene sein. Das funktioniert, vor allem mit der Figur von Sascha, der sich nicht anpassen kann und will. Sahling hat einmal als ehrenamtlicher Betreuer ähnliche Erfahrungen gemacht wie Frank, und es gelingt ihm, die vielen Facetten seiner Figur dem Zuschauer nahe zu bringen. Sascha kann rüpelhaft sein, abweisend, bindungsunfähig; man merkt, wie schwer es auch die anderen mit ihm haben, aber gleichzeitig auch, wie sympathisch er sein kann, wenn er etwas gefunden hat, das ihn interessiert. 
 
Mit den Tabletten wird alles besser: die Noten, das Verhalten. Aber: er kann nicht mehr lachen, sagt seine Freundin Elli, von der er sich mehr und mehr entfremdet. Von seiner Familie war er eh schon immer ein Stück weg. Allerdings ist die Zeichnung dieser Familie Sahling auch etwas allzu schematisch geraten. Die alleinerziehende Mutter, Erzieherin, hat wenig Zeit für Sascha, Schwester Mandy hängt rauchend in der Wohnung herum, der größere Bruder lebt eigentlich nicht mehr zu Hause – aber ist gerade auf dem Weg, von einem Klein- zum Großkriminellen zu wachsen. Und abends läuft der Fernseher. Puh, wir haben’s verstanden.
 
Immer wieder schaut Sascha von seinem Hochhaus hinüber auf das, in dem Elli wohnt. Es ist ein Blick, der Nähe sucht. Es gibt in Kopfüber eine Magie der Orte. Die Ansichten der filmisch noch völlig unentdeckten Stadt Jena in ihrem Talkessel bei den Fahrradausflügen von Elli und Sascha, der im Bau befindliche Autobahntunnel, in dem die beiden herumstöbern auf ihrer Suche nach Geräuschen, die Paddelausflüge mit Frank auf einem Fluss, Saschas Fahrradwerkstatt auf dem Hochhausdach. Die Zeichnung dieses kindlichen Mikrokosmos gelingt Sahling viel besser als die Interaktion mit den Erwachsenen.

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