Kritik zu How to Have Sex

© Capelight Pictures

Die Britin Molly Manning Walker inszeniert Lebenslust, Energie und Unwohlsein ihrer zum Sex entschlossenen, urlaubenden Jugendlichen

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Wieso ist das »erste Mal« angeblich so wichtig? Für Tara (Mia McKenna-Bruce) und ihre Freundinnen Skye (Lara Peake) und Em (Enva Lewis) wird Taras »Jungfräulichkeit« beim gemeinsamen Kreta-Trip zum wichtigen Thema. Die drei jungen Britinnen wollen mit dem Urlaub den High-School-Abschluss feiern – und zwar so, wie sie es kennen und wie es sich gehört: Suff bis Oberkante Unterlippe, dann – wenn möglich – Sex. Also schmücken sie sich mit Glitzersteinchen und Neon-Bikinis, feiern sich auf der im Teenie-Euro-Beat bebenden Party-Insel von der Ferienwohnung bis an den Strand und zurück und bändeln über den Balkon mit einer gemischtgeschlechtlichen Nachbartruppe an, bestehend aus den stolz tätowierten Jungmännern Badger (Shaun Thomas) und Paddy (Samuel Bottomley) und ihrer queeren Freundin Paige (Laura Ambler). Doch die Mischung aus »Party!!!«-Behauptung, billigen Hochprozentdrinks und sexuellem Gruppendruck ist ambivalent. Und Saufen, davon erzählt das Debüt der Regisseurin Molly Manning Walker, kann schnell in Ersaufen münden.

Es muss unter anderem einer größeren Gender-Sensibilität geschuldet sein, dass »How to Have Sex« sich von Filmen wie Harmony Korines dem männlichen Blick unterworfenen »Spring Breakers« oder der Adoleszenz-Klassiker-Reihe »American Pie« unterscheidet: Manning Walker inszeniert nicht nur die Lebenslust und sexuelle Energie ihrer Protagonistinnen. Sondern findet darüber hinaus subtile und nachvollziehbare Bilder für Taras Angst vor dem Unbekannten, für die generelle Unsicherheit sämtlicher Charaktere, für die Zwänge, denen sich Tara nun, wo sie doch fast erwachsen ist oder zumindest so wirken möchte, meint unterwerfen zu müssen. 

Immer wieder stößt die von McKenna-Bruce mit einem Höchstmaß an Einfühlungsvermögen und so behutsamen wie beherztem Körpereinsatz gespielte Tara an ihre Grenzen – und hat das Gefühl, sie ignorieren zu müssen, auch wenn sie dabei vielleicht etwas zerstört. Will sie tatsächlich mit Paddy intim werden oder wird ihr das von den »erfahreneren« Freundinnen eingeflüstert? Was genau passiert zwischen Paddy und Tara – gibt es da etwa unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten? Und wie selbstbestimmt ist Taras Binge-Trip nach einer zwiespältigen Erfahrung?

Mit der Entscheidung, die aktuellen Diskurse um Deutungshoheit und die Definition von sexuellen Übergriffen ins Zentrum zu stellen, schafft Manning Walkers Film etwas, was bei Gesprächen zum Thema oft fehlt: die Atmosphäre zu etablieren, die zu solchen Erlebnissen (meist) junger Frauen führt. Wie genau das offene Gesicht von McKenna-Bruce dabei Taras Furcht und Trotz spiegeln, ist beeindruckend. Fasziniert bleibt die Kamera so nah bei ihr, dass das Dilemma filmisch sichtbar wird: Der Übergang von Interesse zum Übergriff scheint fließend zu sein. Eben hat Tara noch gefeiert und gelacht, jetzt sitzt ein Häufchen Elend im Apartmentbunker und kann ihre Empfindungen nicht aussprechen, weil sie sie nicht mal für sich selbst definieren kann.

»How to have Sex« hat zwar als Grundkonstellation das aus unzähligen Filmen und Serien bewährte Trio aus Freundinnen mit unterschiedlichen Charaktermerkmalen. Doch auch dabei bewegt sich Manning Walker außerhalb der ausgetretenen Pfade und gibt sämtlichen Protagonist:innen ein eigenes, glaubwürdiges Arsenal an Eigenschaften und Verhaltensweisen mit: Niemand, auch nicht die wie junge Hengste zwischen Aufdringlichkeit und Empathie hin- und hergaloppierenden Hausnachbarn, ist hier eindimensional. 

So wird der Film zum ekstatisch-dramatischen Porträt einer Generation, deren Sprachlosigkeit mit ihrer ausgelebten Freiheit nicht etwa verschwunden ist. Und die sich noch immer (mit passend benannten Cocktails) betrinken will und muss, um sich an das ranzutrauen, was das Komplizierteste von allem zu sein scheint: sexuelle Selbstbestimmung. Das gilt übrigens für alle Geschlechter. Denn auch Badger, der bei einer Strandparty auf die Bühne gebeten wird und für einen Blowjob vor Publikum die Hosen runterlassen soll, sieht man die Beklemmung an. Vielleicht hätte er vorher seine Grenzen festlegen sollen.

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