Kritik zu Hannas Reise

© Zorro Filmverleih

2013
Original-Titel: 
Hannas Reise 
Filmstart in Deutschland: 
23.01.2014
L: 
100 Min
FSK: 
keine Beschränkung

 Was bleibt nach drei Generationen übrig von der Vergangenheitsbe­wältigung und wie begegnen sich junge Deutsche und Israelis heute im immer ­noch mächtigen Schatten der Geschichte? Diesen Fragen geht Julia von Heinz in ihrem neuen Film nach

Bewertung: 3
Leserbewertung
3
3 (Stimmen: 1)

Hanna (Karoline Schuch) ist ein typisches Kind ihrer Generation. Ihre Großeltern haben den Nationalsozialismus miterlebt und mitgetragen. Ihre Mutter (Suzanne von Borsody) hat als Politaktivistin gegen das Schweigen der Tätergeneration rebelliert und arbeitet heute bei »Aktion Friedensdienste« für die Verständigung zwischen Deutschland und Israel. Und Hanna? Die schließt gerade ihr BWL-Studium ab und will Karriere machen. Das politische Engagement ihrer Mutter, das immer auch mit einer Vernachlässigung der Tochter einherging, hat sie nie interessiert und gegen die moralischen Widrigkeiten der Welt hat sie sich einen schnoddrigen Zynismus zugelegt. Sätze wie »Etwas mit Juden kommt immer gut. Und behinderte Juden zählen doppelt« gehen ihr leicht über die Lippen, wenn sie ihrem Freund erklärt, warum ein Praktikum in einem Behindertenheim in Tel Aviv der ultimative Karrierekick ist. Im Vorstellungsgespräch wurde nämlich auch soziale Kompetenz abgefragt und aus ihrer Notlüge vom ehrenamtlichen Einsatz um die deutsch-israelischen Beziehungen wird Ernst, als die Mutter ihr das Ausstellen der Bescheinigung verweigert und Hanna tatsächlich einen Praktikumsplatz besorgt.

In Israel geraten Hannas klar strukturierten Zukunfts- und Lebensvorstellungen zunehmend ins Wanken. In der Freiwilligen-WG, wo sie Quartier bezieht, herrscht absolutes Chaos. Mit ihrer schroffen, effizienzorientierten Art stößt sie bei den Behinderten im Heim schnell an Grenzen. Der Flirt mit ihrem israelischen Arbeitskollegen Itay (Doron Amit) verwirrt die Seele genauso wie er ihr schmeichelt. Die zum Praktikum gehörenden Besuche bei einer Holocaustüberlebenden laufen seltsam ins Leere, bis Hanna durch Gertraud (Lia Koenig) von den Schuldverstrickungen ihrer Großeltern erfährt.

Anfangs wirkt Julia von Heinz’ Hannas Reise etwas schematisch mit seiner am Bildungsroman orientierten Lernzieldramaturgie. Zu deutlich scheint Hanna als junge Karrierezicke ohne jegliches politisches Gewissen gezeichnet, die mit der historischen Distanz ihrer Generation die eigene Ignoranz rechtfertigt und vorhersehbar eines Besseren belehrt wird. Aber mit der Ankunft in Israel kommt der Film in ein offeneres Fahrwasser und arbeitet an der Verunsicherung der Heldin genauso konstruktiv wie an der Destabilisierung der eigenen Läuterungsdramaturgie.

Von der vermüllten Friedensdienstler-WG über die offen strukturierte Behinderteneinrichtung bis zu den Ausflügen ins Nachtleben Tel Avivs sucht und findet Julia von Heinz Locations und Bilder jenseits gängiger Israel-Klischees und lässt ihren Film immer wieder frei in der fremden Umgebung atmen. Das gilt besonders für die Annäherung zwischen der selbstbewussten Praktikantin und »ihrer« Holocaustüberlebenden, die von der israelischen Theaterikone Lia Koenig mit wunderbarem Understatement dargestellt wird. Auch Karoline Schuch überzeugt durch ihr differenziertes Spiel, mit dem sie ihre Hanna ohne Katharsisstress vom Stereotyp der herzkalten Karrieristin befreit und dennoch auch in der Verunsicherung die Integrität der Figur bewahrt.

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