Kritik zu Habermann

© Farbfilm

Mit der deutsch-tschechischen Koproduktion packt Juraj Herz ein heikles Thema an: die Vertreibung der deutschen Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Tschechoslowakei

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Der Mob trennt Mutter und Kind. Jana, die tschechische Frau des deutschen Mühlenbesitzers August Habermann, wird, weil sie als Deutsche gilt, auf den Zug gestoßen, Jan, der tschechische Freund der Familie, kann das Kind gerade noch vor Schlimmerem bewahren. Die Szenen der Aussiedlung der Deutschen im Jahre 1945 und der Grausamkeiten gegen sie umklammern die Geschichte in »Habermann«. Und es ist offensichtlich, dass die Ausschreitungen vor allem aus zwei Motiven heraus erfolgen: rassistischer Hass und persönliche Bereicherung. Und der tschechische Widerstand entpuppt sich auch als eine eher klägliche Erscheinung.

Diese Szenen haben ihre Sprengkraft, vor allem natürlich in Tschechien, wo die Vertreibung der Deutschen in der Gesellschaft jahrzehntelang ein Tabuthema war – selbst im Film der letzten Jahre, der Vertriebenenschicksale eher zögerlich und die Erinnerung an die Deutschen sehr vermittelt thematisierte.

August Habermann gehört zur deutschen Oberschicht im Sudetenland, er besitzt ein Sägewerk und eine Mühle, Familienbesitz schon in der vierten Generation. Ein fürsorglicher Unternehmer und kultivierter Mann, der noch dazu perfekt tschechisch spricht (was in den deutschen Enklaven nicht jeder beherrschte). Wenn ihm nicht einmal die Hand gegen seine Frau ausrutschen würde, wäre er eine rechte Lichtgestalt. Sein bester Freund ist der Tscheche Jan, dem er auch schon mal mit einer größeren Summe Geld aushilft, und der mit einer Deutschen verheiratet ist. Am Tag der Taufe seiner Tochter, am 30. September 1938, platzt die Geschichte in Habermanns Leben: Die Nazis haben das Sudetenland, wie es damals hieß, »heim ins Reich« geholt, und SS-Sturmbannführer Koslowski setzt Habermann unter Druck und schikaniert ihn.

Dieser Film will zu viel und er meint es zu gut, vor allem mit seinen Hauptfiguren Habermann und Jan, für deren Verhalten frühere Generationen gern das Adjektiv »anständig« verwendeten. Mit jeder Drehbuchwendung wird die Ausgewogenheit dieses Films immer deutlicher zur Schau gestellt: der gute (Habermann) und der böse Deutsche (Koslowski, der als Figur ganz aus der Tiefe des Nazi-Bilder-Fundus gezerrt wurde), der aufrechte Tscheche und der Mob seiner Landsleute. Dass Habermanns Frau Halbjüdin ist und er damit erpressbar, gehört ja mittlerweile (siehe »Jud Süss«) zu den wenig subtilen Entlastungstricks der Drehbuchautoren von Filmen über die NS-Zeit.

Einmal aber läuft »Habermann« zu großer Form auf. Da fordert Koslowski die Ermordung von 20 Tschechen für zwei von den Widerständlern (natürlich fast aus Versehen) erschossene Wehrmachtsoldaten, und Habermann schachert mit dem Nazi mit dem Familienschmuck um die Liste. Zehn Menschen kann er retten. Mehr nicht. Eine eindrückliche Szene der Verstrickung, die zeigt, was diesem Film vor allem fehlt: Konzentration.

Meinung zum Thema

Kommentare

Wenn man 1938 im Sudetenland gelebt hat, das die Alliierten Hitler im Rahmen ihrer Appeasement Politik kampflos überlassen haben und als gut bürgerlicher Deutscher eine tschechische Jüdin heiratete, geriet man gleich mehrfach unter Druck.
Das thematisiert Juraj Herz († 2018) in seinem Film. Und genau das tut August Habermann (Mark Waschke) mit Jana (Hannah Herzsprung). In diese Familienidylle marschieren die Nazis ein. Hier stellvertretend – aber hervorragend besetzt – mit Sturmbandführer Koslowski (Ben Becker). Sehr realistisch und weit weg vom Hollywood Klischee wird hier die Machtübernahme am ‘Kleinen Mann‘ sowie am reichen Sägewerkbesitzer demonstriert.
Von ersten Schikanen bis zu Massenerschießungen leiden die Einheimischen unter den Besatzern.
Regisseur Juraj Herz hat sich für die Ringform entschieden: d.h. der Anfang und das Ende zeigen ähnliche bis gleiche Aufnahmen von Drangsalierungen durch die Wehrmacht.
Die Wiederholung am Schluss geht noch tiefer unter die Haut, weil man jetzt Zusammenhänge erkennt. Auch Habermanns Entwicklung von ahnungslosen Optimisten zum realistischen Oppositionellen wird eindrucksvoll geschildert. Dabei hat er nur seinen Betrieb und seine Arbeiter im Sinn – egal ob Deutsche oder Tschechen, Juden oder Christen. Die Zivilcourage seiner Frau Jana verfängt beim Sturmbandführer nur vorübergehend, solange dieser sich Chancen bei der jungen Frau Habermann ausrechnet.
Nach der militärischen Niederlage 1945 geraten alle Deutschen unter Generalverdacht und bekommen Rache und Vergeltung zu spüren. Unter den Nazis galt Habermann als Judenfreund, unter den Tschechen als Naziabkömmling.
Die nichtexistierende Staatsmacht erlaubt Plünderungen und Vandalismus. Der Mob regiert auf der Straße. Alle werden über einen Kamm geschoren. Habermann sowie Jana werden prominente Opfer. Aber auch der Widerstand regt sich: Koslowski fährt bei seiner überstürzten Abreise in einem Feuerball zur Hölle. Zuvor hat er noch Habermanns Familienschmuck mitgehen lassen. Niedere Instinkte wie Raub und Mordlust bedienen die Ideologische Verbohrtheit. Spannend und ergreifend gemacht, wird der Faschismus wieder einmal entlarvt. Zu Recht preisgekrönt. Es wird ungeschönt Kante gezeigt.

Dieser Film bedient alle Klischees. Wahr dürfte sein, dass die Tschechen zu vorsichtig waren um in größerer Zahl ihren Kopf im Kampf gegen die Nazis zu riskieren. Wahr ist leider auch, dass der Mob auf den Straßen getobt hat und dieser sogar hunderte von Deutschen Juden das Leben gekostet haben soll.

Der Film ist leider nicht fehlerfrei und wohl mehr als eine an die Realität angelehnte Geschichte um Verstrickungen zu sehen. Eine Szene hat mir fast die Schuhe ausgezogen: 1944, ein Lazarettzug voller Verwundeter macht kurz Halt. Originalzitat: "In Kursk und Stalingrad sind die Lazarette überfüllt..." Wie heißt es so schön: Dümmer geht immer...Die Szenen eher subtiler Unterdrückung der Tschechen durch die Nazis und die brutale Gewaltorgie bei Kriegsende gegen die Deutschen trifft es aber insgesamt ganz gut.

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