Kritik zu Gloria – Das Leben wartet nicht

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In seinem eigenhändigen Remake seines 2013 auf der Berlinale gefeierten Frauenporträts »Gloria« verlegt der chilenische Regisseur Sebastián Lelio die Handlung von Santiago nach Los Angeles, mit Discopop der Achtziger statt Latinohits und mit Julianne Moore in der Titelrolle

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Das chilenische Original begeisterte 2013 das Berlinale-Publikum. Die Freude war auch deshalb so groß, weil die gleichermaßen leichtfüßige und unbestechliche Genauigkeit, mit der der chilenische Regisseur Sebastián Lelio in »Gloria« die Gefühle einer allein lebenden Mittfünfzigerin schilderte, einen Kontrapunkt zu den aus Hollywood gewohnten »Frauenfilmen« bildete. Dass Regisseur Lelio, 2017 mit dem Auslandsoscar für sein Transgenderdrama »Eine fantastische Frau« preisgekrönt, ein in Los Angeles angesiedeltes Remake drehte, stimmt deshalb misstrauisch. Doch selbst wenn Julianne Moore als »Frau in den besten Jahren« im landläufigen Sinn attraktiver ist als Glorias Erstbesetzung Paulina García, widersteht der chilenische Regisseur der Versuchung, die Titelheldin aufzupolieren.

Gloria übt also keinen pittoresken Singlefrauen-Filmberuf aus, sondern bleibt die mätzchenfreie Büroangestellte. Mit dem Wegfall der politischen Anspielungen des Originals konzentriert sich die Aufmerksamkeit noch stärker auf diese liebenswürdige Frau und ihre Haltung zu den Verheißungen und Gefahren ihrer Welt. Mit zarten Strichen und intimen Streiflichtern, in denen meist die Kameraeinstellungen des Originalfilms übernommen werden, wird das Biotop und die Gefühlslandschaft einer seit langem Geschiedenen skizziert, die bereits Großmutter ist. Ihr selbst nur halb bewusst, steckt Gloria in einem Umbruch, denn ihre erwachsenen Kinder, wiewohl nicht in gesicherten Verhältnissen lebend, nabeln sich zusehends ab. Doch Gloria hat ein Leben jenseits ihrer Familie und geht gern tanzen. Auf einer Ü-50-Discoparty begegnet sie Arnold, der sich in sie verliebt und sie mit seinem etwas wehleidigen Charme bezirzt. Arnold, Besitzer eines Paintball-Vergnügungsparks und seit kurzem geschieden, hat zwar auch so seine Probleme. Doch wenn er sie ansieht, hat er Sternchen in den Augen.

Was anfangs wie ein neues Glück wirkt, entwickelt sich zur Charakterprobe, bei der Gloria ihre Selbstachtung gegen die Sehnsucht nach Liebe und Zweisamkeit abwägen muss. Soll sie, eingedenk des Verrinnens der Lebenszeit, verzeihen, Geduld üben, Kompromisse eingehen? Nichts wäre indes falscher, als Glorias Prä-Arnold-Existenz als unglücklich zu bezeichnen; unglücklich wird sie erst durch ihn. Was genau will diese unabhängige Frau von einem Mann?

Im Grunde illustriert ihre Geschichte jenes Dilemma, das einst mit dem feministisch angehauchten »Fisch sucht Fahrrad«-Spruch beschrieben wurde. So wird die unbemannte Alltagsheldin, die sich ebenso weigert, zu versauern wie sich schlecht behandeln zu lassen, nie als zu rettendes Mangelwesen verkleinert. Lelio, der sich bei diesem Por­trät von seiner Mutter inspirieren ließ, zeigt unaufdringlich, dass Glorias Entscheidung die mutigere und würdigere ist. In einer feinen, sekundenkurzen Pointe kontrastiert er sie mit ihrem Gegenpol, Arnolds längst erwachsenen Töchtern und seiner Ex, die, Verkörperungen einer toxischen Weiblichkeit, permanent auf seine Unterstützung pochen. Ebenso klarsichtig zeigt er auf, wie verletzlich Gloria ist und in welchem Maße Männer auch eine Bedrohung darstellen. Das betrifft nicht nur Arnold, dessen Versuche, sie zurückzugewinnen, kurz vor der Handgreiflichkeit stehen, wobei John Turturro in unnachahmlich passiv-aggressiver Manier zugleich Mitleid erheischt. Da ist auch der tobende Nachbar und die mit einem Unbekannten in Las Vegas durchfeierte Nacht, deren üble Details Lelio etwas zu dezent verschweigt. Ebenso leise vollzieht sich Glorias Zusammenbruch und ihr Wiederaufrappeln. Laut wird sie dagegen im Auto, wenn sie Discoschlager der Achtziger mitsingt. Durch diese Pop-Ohrwürmer mit ihren Selbstermächtigungspredigten – im Original Latinohits – wird auch die Handlung getaktet, bis hin zu Laura Branigans programmatischer Hymne »Gloria«. Gloria dabei zuzusehen, wie ihr »Eier wachsen«, ist viel interessanter als ein Happy End mit weißen Rosen.

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