Kritik zu Gaucho Gaucho

© Rapid Eye Movies

Das Regieduo Michael Dweck und Gregory Kershaw ist fasziniert von unter­gehenden Traditionen. Nach ihrem Dokumentarfilm über Trüffelsucher im Piemont feiern sie nun den Elan argentinischer Gauchos: im schönsten aller Filmformate, Cinemascope und Schwarz-Weiß 

Bewertung: 4
Leserbewertung
0
Noch keine Bewertungen vorhanden

Es kommt selten vor, dass man auf Charaktere den altertümlichen Begriff des Originals anwenden darf. Dazu muss einiges zusammenkommen: Eigensinn, eine nonkonformistische Lebensweise, vielleicht eine gewisse Verschrobenheit und auch ein Hauch Philosophie. Der stilisierte Dokumentarfilm »Gaucho Gaucho« birst vor solchen Figuren.

Da ist zum Beispiel der rüstige, graubärtige Lelo. Er gibt zu, in seiner Jugend ein Dummkopf gewesen zu sein. Sein Ungestüm und die Liebe zum Wein brachten ihn schon ins Gefängnis, aber wenn er noch einmal jung wäre, würde er alles genauso machen wie früher, denn er hat sich seinen Traum erfüllt. Santito wiederum ist ein Tausendsassa, neben dem Viehtrieb trägt er die Zeitung zu Pferde aus, moderiert eine Radiosendung und tritt beim Rodeo als leutseliger Zeremonienmeister auf. Die wackere Gaucha schließlich ist bereits mit 17 ein Original, denn weibliche Gauchos gibt es eigentlich nicht.

Die Regisseure Michael Dweck und Gregory Kershaw sind ganz vernarrt in diese Gestalten, die eine aussterbende Tradition am Leben erhalten. Wir lernen sie nicht mit ihren tatsächlichen, sondern ihren Kosenamen kennen, was bereits viel über die Vertrautheit verrät, die das Gespann zu der verschworenen Gemeinschaft herzustellen vermochte. Die Gauchos stehen längst auf verlorenem Posten, aber ihrem Alltag merkt man das nicht an. Er ist so hart, entbehrungsreich und abenteuerlich wie seit eh und je. Keinen Moment käme man auf die Idee, ihr Elan könnte erlöschen, wenn die Viehtreiber in atemlosem Tempo über die Pampa galoppieren. Sie sind eins mit der Natur: Wenn eines ihrer Tiere den dreisten Kondoren zum Opfer fällt, erweisen sie ihm die letzte Ehre wie einem Kameraden. Ihren ärgsten Widersacher zeigt der Film nicht: den Fortschritt.

Vielmehr verherrlichen die Regisseure das stolze Aufbäumen dieser untergehenden Kultur in atemraubenden Landschaftstableaus. Das facettenreiche Schwarz-Weiß mutet indes nicht nostalgisch an. Es fängt die schroffe Anmut der Ebenen und zerklüfteten Gebirge ein und vermittelt eine Ahnung von der Farbenpracht der Kostüme. Der heterogene Soundtrack (von Bizets »Perlenfischern« bis hin zu altgedienten Popsongs) beglaubigt den Eindruck einer vitalen Folklore. Überlieferung ist die schönste Sorge dieses Films, der empfindsam dafür ist, dass der nächsten Generation mit dem Erlernen des Handwerks auch eine Lebenshaltung vermittelt wird. Die Dialogszenen sind sichtlich nachinszeniert. Die Protagonisten spielen sich selbst und verkörpern die Werte dieser tief verwurzelten Gegengesellschaft. Man merkt, dass die Regisseure vor den Dreharbeiten die Western John Fords studiert haben. (Manchmal haben sie auch dessen sprichwörtliches Glück gepachtet, wenn etwa die Sonne durch die Wolken bricht, als drei Gauchos sich demütig zum Gebet niederknien.) Ihr Erzählgestus ist lebhaft konservativ, die Montage tritt zurück gegenüber einer ausdauernden Aufmerksamkeit, die den Momenten jeweils Integrität und Gewicht verleiht. Umso furioser wirken die Ausritte der Gauchos (und der 17-jährigen Gaucha!), in denen ihre Energie und ihre Seelen entfesselt werden.

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt