Kritik zu Festung

© Farbfilm

Ein Film über Gewalt in der Familie – nicht im sozialen Brennpunkt einer Plattenbausiedlung, sondern hinter den hübschen Fassaden einer Kleinstadt

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Fast könnte die Szene aus einer Coming-of- Age-Komödie stammen: Die 13-jährige Johanna und der nur ein wenig ältere Christian sitzen stocksteif nebeneinander auf seinem Bett und schauen einen Zombiefilm. Eine hochromantische Situation also, in der man sich nun näherkommen möchte – aber wie? Johannas unbeholfene Offensive, »Wen würdest du denn gerne mal küssen?«, beantwortet Christian erst mal mit der Nachfrage »Ich?«, um dann nach schwerem Nachdenken die allerfalscheste Antwort zu geben: »Angelina Jolie.«

Es ist nicht der einzige Moment leisen Humors in diesem Film. Umso härter aber der Kontrast: Als Johanna nach Hause kommt, ist der Flur der elterlichen Wohnung verwüstet, im Bad steht die Mutter mit verquollenen Augen und blau geschlagenem Arm vorm Spiegel. »Mach deine Hausaufgaben!«, herrscht sie die entsetzte Tochter an.

Zu diesem Zeitpunkt ist längst klar: Erwachsen werden und erste Liebe stehen für Johanna unter dunklen Vorzeichen. Dort, wo sie Rückhalt und Geborgenheit finden müsste, herrschen Schweigen und Angst. Gerade erst ist der Vater von einer Therapie zurückgekehrt, mit Geschenken und gutem Willen, doch seine Aggressionen hat er nach wie vor nicht unter Kontrolle. Die Inszenierung setzt die Ausraster und Prügelattacken des Vaters gegen die Mutter nicht direkt ins Bild, sie beleuchtet die Auswirkungen. Die Familie ist zur »Festung« geworden, ein prekäres System, das nur in der Abschottung nach außen, hinter der Fassade einer heilen Welt, aufrechtzuerhalten ist.

Das Ensemble stellt die Kräfteverhältnisse in diesem System eindringlich dar: Allen voran überzeugt die Debütantin Elisa Essig als Johanna. Ihr tiefer Zwiespalt zwischen der Loyalität zur Familie und dem Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben bildet den Kern der Erzählung. Scham und Schweigen haben sie längst zu einer Außenseiterin in der Schule gemacht, doch die Gefühle für Christian könnten ihre Verschlossenheit aufbrechen. Die Mutter (Ursina Lardi) ist gefangen im Selbstbetrug, schwankend zwischen Schwüren, den Mann endgültig zu verlassen und der irrigen Hoffnung, er werde sich bessern. Die sechsjährige Mini (Antonia Pankow), jüngste der drei Töchter, vergräbt sich in ihrer Wut und der Sehnsucht nach einer intakten Familie. Die älteste Tochter Claudia (Karoline Herfurth) ist schon lange ausgezogen, in ihrem Leben jedoch wirkt die Gewalt weiter fort. Der Vater (Peter Lohmeyer) versucht sich vergeblich »zusammenzureißen« und schwankt so zwischen Nettigkeit, Beschwichtigung und völligem Kontrollverlust.

Über seine Innenwelt erfahren wir kaum etwas – und genau das ist eine der großen Stärken des Drehbuchs von Nicole Armbruster. Das große Thema häusliche Gewalt wird in diesem hauptsächlich von Frauen realisierten Film konsequent aus der Opferperspektive und als systemisches Geflecht von Abhängigkeiten betrachtet. Es geht ihm nicht um psychologische Ursachenforschung – das wäre ein anderer Film.

Man könnte Festung vorwerfen, in seiner Darstellung allzu modellhaft vorzugehen. Zum Beispiel weil die drei Töchter gewissermaßen drei verschiedene emotionale Reaktionen auf die Gewalt repräsentieren. Doch die Figuren sind in sich so glaubwürdig, dass die Konstruktion nicht aufgesetzt wirkt. Die finnischstämmige HFF-Babelsberg-Absolventin Kirsi Liimatainen erzählt mit großer Dichte, so lakonisch wie einfühlsam.

Spannend ist die Schwebe zwischen regionaler Verortung der Handlung und ihrer Abstraktion: Im hessischen Heppenheim gedreht, evoziert der Film mit Kleinstadtstraßen und Weinbergen das stimmige Bild eines konkreten Ortes. Zugleich ist insbesondere das kleinbürgerliche Heim der Familie von einer fast unheimlichen Anonymität und Austauschbarkeit. Unterstrichen wird diese Ambivalenz von der Kameraarbeit Christine A. Maiers: Ausgewaschene Farben, ein meist wolkenverhangener Himmel und Einstellungen, aus denen alles Nebensächliche herausgefegt scheint, fokussieren die Aufmerksamkeit auf die Figuren und ihre emotionale Gefangenschaft. Hoffnungslos ist der Film gleichwohl nicht. Ohne sich dem falschen Trost des Sentiments hinzugeben, zeigt er auch die Bruchstellen in den Festungsmauern.

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