Kritik zu Die schönsten Jahre eines Lebens

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52 Jahre nach »Ein Mann und eine Frau« inszeniert Claude Lelouch die Wiederbegegnung seines legendären Paars Anouk Aimée und Jean-Louis Trintignant. Nur zwei der drei Beteiligten haben sich verändert

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Jedes Mal, wenn Anne ihn besucht, muss sie sich Jean-Louis erneut vorstellen. Jedes Mal hält er sie für einen Neuzugang in dem Altenheim, das den schönen Namen »Domaine de l'orgueil« trägt, Sitz des Stolzes. Sie bleibt eine Unbekannte für ihn, mithin eine mögliche Eroberung. Aber zugleich erscheint sie ihm vertraut: Ihr Blick und die Geste, mit der sie ihre Haarsträhne zurückstreicht, wecken seine schönsten Erinnerungen. Das Vergessen ist das Wunder des Entdeckens.

Vor einem halben Jahrhundert haben die zwei Filmgeschichte geschrieben, als sie sich am Strand von Deauville verliebten. Damals war sie (Anouk Aimée) ein Skriptgirl und er (Jean-Louis Trintignant) ein gefeierter Rennfahrer. Nun sitzt Jean-Louis im Rollstuhl und behauptet, nie von dem Ort gehört zu haben. Sein fürsorglicher Sohn hat die Wiederbegegnung eingefädelt, denn der Vater spricht nur noch von Anne. Sie zögert erst, denn es ging damals nicht gut aus mit ihnen. »Er hat mich erkannt«, sagt sie, danach, als sich Traum und Wirklichkeit begegnet sind, »ohne mich wiederzuerkennen.«

1966 war »Ein Mann und eine Frau« ein weltweites Phänomen: ein Wechselbalg aus ungenierter Sentimentalität und dem Aufbruchsgeist der Nouvelle Vague, der die Goldene Palme in Cannes gewann sowie zwei Oscars. Er ist nach wie vor der Anker von Claude Lelouchs staunenswerter Karriere, auf den der Regisseur oft zurückblickt. Wunderbar selbstironisch hat dieser Meister filmischer Koketterie es in »Ein glückliches Jahr« getan; dass er 1985 eine Fortsetzung drehte, würde er hingegen gern aus seiner Filmographie streichen. Der Strom der Erinnerungen macht an dieser Eskapade also nicht halt, sondern fließt in die Gegenwart hinein, angetrieben von der wunderbar verwitterten Präsenz der Hauptdarsteller und der Beharrlichkeit des Regisseurs. Hingebungsvoll blendet er zu den Bildern von 1966 zurück, zelebriert sie später auch in Doppelbelichtung seines rasanten Kurzfilms »Rendezvous« von 1976, während Francis Lais unvergessliche Musik mit den sterblicheren Chansons von Calogero verschmilzt. Zuweilen muss man fürchten, Lelouch sei weniger von seinem Paar fasziniert als vielmehr von der eigenen filmischen Mythologie.

Aber dann nimmt er sie wieder zärtlich in den Blick. Er respektiert den depressiven Zug, den Trintignants Leinwandaura letzthin angenommen hat, wartet aber ungeduldig auf sein erstes Lächeln; das reservierte (Lächeln) Aimées kostet er sanft aus. Anne steht dem Leben näher als Jean-Louis, ihr Elan soll sich auf ihn übertragen. Aber wohin soll das führen, außer in Vergangenheit und Nostalgie? »Die schönsten Jahre des Lebens sind die, die man noch nicht erlebt hat«, lautet das Motto Victor Hugos, das Lelouch dem Film zuversichtlich vorangestellt hat. Das Leben zu feiern ist das Hauptprojekt seines Kinos. Das schöne Problem seines 49. Films ist, dass seine Protagonisten sich verändert haben, die Welt in den Augen des Regisseurs aber dieselbe geblieben ist. Mit Furor arbeitet er daran, einer altmodischen (und recht altherrenhaften) Vorstellung von Charme, Galanterie und Verzauberung im Kino wieder Glanz zu verleihen.

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