Kritik zu Die rote Kapelle

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Carl-Ludwig Rettinger hat für seinen Dokumentarfilm über das lockere Widerstandsnetzwerk der »Roten Kapelle« in Deutschland, Frankreich und Belgien mit Angehörigen der Hitlergegner gesprochen

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Es hat nicht viele Menschen gegeben, die sich zwischen den Jahren 1933 und 1945 dem Terror der Nazis widersetzten. Eine der wichtigsten und auch heterogensten war die »Rote Kapelle«. So hieß sie im Jargon der Gestapo, die damit die vielen einzelnen Widerstandsnester (Kapelle im Sinne von Orchester) benannte. Das Andenken an den Widerstand war nach 1945 der Perspektive des jeweiligen Gesellschaftssystems unterworfen, im Westen, wo sich in Politik, öffentlicher Verwaltung und Wirtschaft diverse Täter und Schreibtischtäter wieder in Amt und Würden befanden, galten Widerständler als Vaterlandsverräter, selbst das Gedenken an den militärischen Widerstand rund um den 20. Juli musste zu Beginn der 50er Jahre regelrecht durchgesetzt werden. In der DDR mit ihrer Verbundenheit mit dem »großen Bruder« Sowjetunion galt gerade die »Rote Kapelle« als eine zentral von Moskau gelenkte Organisation – ein Aufbaumythos. 

Heute wissen wir, dass die zentrale Lenkung ein ideologisches Konstrukt war. Der Dokumentarfilm von Carl-Ludwig Rettinger versucht, die Menschen um Harro Schulze-Boysen und Hans Coppi wieder in ihr historisches Recht zu setzen – und referiert vieles, das heute, im Unterschied zu den Jahrzehnten zuvor, als Stand der Forschung gilt. Vor allem ist es ihm gelungen, mit den Nachfahren der Widerständler zu sprechen, auch über ihr Verhältnis zu ihnen, und mit ihnen an die Orte des damaligen Geschehens zu fahren. Das ist sehr berührend, etwa wenn Lital Levin in Paris im Lichtschacht des Hauses steht, in dem ihr Großonkel Leopold Trepper von der Gestapo verhaftet wurde. Trepper war der »Grand Chef« des sowjetischen Spionagerings, zu dem die Berliner Kontakt hatten. Oder wenn der in Berlin lebende Historiker Hans Coppi junior von seinem Vater erzählt, den er quasi nie kennengelernt hat, und von dem knappen Jahr berichtet, das er mit seiner Mutter verbrachte, bevor die Nazis sie umgebracht haben. 

Der Film rekonstruiert die Geschichte der »Roten Kapelle« aber nicht nur durch Erzählungen und Fotos, sondern illustriert sie durch Ausschnitte aus zwei Filmwerken: dem DEFA-Spielfilm »KLK ruft PTX – Die Rote Kapelle« (1970) und der (west-)deutsch-französischen Miniserie »Die Rote Kapelle« (1971), beide sicherlich geboren aus dem Geist des Kalten Krieges. Gleichzeitig versucht die Doku aber auch aufzuzeigen, was diese beiden Werke verschweigen, und Sachverhalte richtigzustellen, etwa die Rolle der Gestapo – ein irritierendes Verfahren, zum einen die Bilder für bare Münze zu nehmen, sie aber andererseits infrage zu stellen. 

»Die Rote Kapelle« ist ein, um es positiv zu fassen, instruktiver Dokumentarfilm mit einem wichtigen Anspruch, der durchaus seine Berechtigung in der politischen Bildung hat. 66 Menschen aus dem Umfeld der »Roten Kapelle« haben die Nazis ermordet, nach einem kurzen, scheinheiligen Gerichtsprozess. Auch darauf wirft dieser Film ein kurzes, aber erhellendes Licht. Denn dem Ankläger des »Reichskriegsgerichts«, Manfred Roeder, offenbar ein zweiter Freisler, gelang es nach Kriegsende weitgehend unbehelligt davonzukommen.

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