Kritik zu Der seltsame Fall des Benjamin Button

Trailer englisch © Warner Bros.

Nach einer Kurzgeschichte von F. Scott Fitzgerald inszeniert David Fincher die verkehrte Lebensgeschichte eines Mannes,der als Greis geboren wird und als Säugling stirbt

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Die Bürger von New Orleans sind erstaunt, ja nachgerade empört, als die neue Wanduhr in ihrer Bahnhofshalle eingeweiht wird. Welchen Sinn soll ein Chronometer haben, dessen Zeiger sich rückwärtsdrehen? Welche Hilfe sollte er ihnen bei der pünktlichen Abfahrt und Ankunft leisten?

Die Erregung lässt kaum nach, als der Uhrmacher die Gründe nennt, weshalb er die Uhr so eingestellt hat. Er hat sie als eine Hommage an die im gerade zu Ende gegangenen Ersten Weltkrieg Gefallenen gedacht: Wenn sie nur ihre letzten Schritte rückgängig machen könnten, würden sie ihrem Schicksal entgehen. Die Worte dieses wehmütigen Humanisten illustriert der Film, indem er Soldaten zeigt, die in den Schützengräben der Somme ihrem sicheren Tod entgegengehen, und diese dann noch einmal rückwärtslaufen lässt. Es war die große Hoffnung der Anfangszeit des Kinos, dass der Tod nun seine Endgültigkeit verlieren würde. Aber der simple Reverse-Effekt wirkt frivol; allzu leicht lässt er sich herstellen. Welchen Trost sollte er für die Witwen, Mütter, Väter und Geschwister der getöteten Weltkriegssoldaten bereithalten?

Die Exposition von »Der seltsame Fall des Benjamin Button« führt einerseits mustergültig in die Exzentrik seines erzählerischen Entwurfs ein. Andererseits schürt er die Zweifel, ob er den richtigen Ton und die richtigen Bilder für ihn finden wird. Die neueste Regiearbeit von David Fincher geht auf eine Kurzgeschichte von F. Scott Fitzgerald zurück, mit der sie indes kaum mehr als den Titel und den besonderen Kniff gemeinsam hat: Sie erzählt die Lebensgeschichte eines Mannes, der als Greis geboren wird und als Säugling stirbt. Dieser Kniff ist eine jener vermeintlich vielversprechenden Ideen, die dann bei der Drehbucharbeit verheerenden Nachbesserungsbedarf anmelden. Es ist eine kuriose Anteilnahme, die der Zuschauer für eine Figur empfinden muss, die lange Zeit vor allem ein Spezialeffekt ist und die dazu verdammt ist, der eigenen, wundersamen Bestimmung nur als staunender Betrachter beizuwohnen. Das Leben geht an ihr spurlos vorbei, die Dinge stoßen ihr nurmehr zu. Sie weiß um die Vergeblichkeit ihrer Sehnsüchte und etwaigen Ziele. Sie ist, bei rechtem Licht betrachtet, lediglich ein verkehrter Jedermann, auch wenn Brad Pitt sie spielt.

Es ist ein eigentlich recht niederschmetterndes Sujet, ein Aspekt, dem der Film allerdings seine schönsten Sequenzen verdankt. Benjamins Vater legt das Monstrum, das seine Frau im Kindbett getötet hat, auf den Treppenstufen eines Altersheims ab. Dort macht das Findelkind seine ersten Erfahrungen von Verlust und Tod und lernt, sich selbst vor allem als einen Hinterbliebenen zu betrachten. Das Motiv der Versehrtheit des Lebens erfährt dort auch einen hübschen, komischen Dreh dank Benjamins senilem Bettnachbarn, der jedes Gespräch mit dem Satz »Habe ich dir eigentlich erzählt, dass ich siebenmal vom Blitz getroffen wurde?« beginnt und dem Film fortan garantierte Lacher beschert, indem er alle sieben Blitzschläge schildert.

Fincher hat gesagt, der Tod sei in jeder Einstellung des Films gegenwärtig. Gern nähme man ihn beim Wort. An der persönlichen Betroffenheit, die ihn und den Drehbuchautor Eric Roth über lange Jahre mit diesem Stoff verbunden hat, ist kein Zweifel: Der Autor verlor beim Schreiben der ersten Entwürfe seine Eltern, der Regisseur begleitete seinen Vater ein Jahr lang beim Sterben. Dem Film ist das nur passagenweise anzumerken. Er ist als qualliges, sentimentales Epos angelegt, in dessen Zentrum eine unerfüllte Liebe steht.

Die Etappen von Benjamins Leben sind erzählt, als gehörten sie längst vergangenen Kinoepochen an. Als Matrose auf einem Schleppkahn wird er zum Mann, selbst der Zweite Weltkrieg ist eine eher beschauliche Epoche, schließlich weiß man, dass das Leben des Helden noch nicht zu Ende gehen wird. Das philosophische Potenzial dieser Biografie, die Frage nach der Diskrepanz zwischen Unschuld und Erfahrung, zwischen Aufbruch und Ausgezehrtsein, schöpft der Film nicht ansatzweise aus. Der Gedanke an den Kreisschluss zwischen Greisen- und Kindesalter – die Verantwortungslosigkeit, das Recht, einfach da zu sein – mag einem beim Sehen unterlaufen. Der Film ermutigt nicht dazu.

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