Kritik zu Das Leuchten der Erinnerung

© Concorde Filmverleih

Ist es nicht erstaunlich, dass sich italienische Filmemacher viel weniger für die USA interessieren als ihre deutschen oder französischen Kollegen? Nun begibt sich Paolo Virzì (»Die Überglücklichen«) auf dieses unerschlossene Terrain, entdeckt in seinem Roadmovie durch die Südstaaten freilich auch viel Vertrautes

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Der Film hat keine Zeit zu verlieren. Mit Exposition mag er sich nicht lange aufhalten, lieber setzt er sich unverzüglich in Bewegung, das Nötige kann er schließlich noch auf dem Weg erzählen. Dabei ist ihm Hast fremd. Er legt einfach nur das Tempo vor, das er seinen Hauptfiguren schuldig ist.

Als der Film beginnt, haben Ella (Helen Mirren) und John (Donald Sutherland) ihre Entscheidung schon getroffen; hinter dem Rücken ihres besorgten Sohnes Will (Christian McKay). Er hätte unbedingt versucht, ihnen die Reise im altersschwachen Wohnmobil auszureden. Nun hat er das Nachsehen und findet ihr gemütliches Haus in Massachusetts menschenleer vor. »Sie sind abgehauen«, berichtet er am Telefon verzweifelt seiner Schwester Jane (Janel Moloney). Überrascht fragt sie zurück: »Vor wem?« Die richtigen Fragen müssten eigentlich lauten »Wozu?« und »Wohin?« – und der Film beantwortet sie umgehend. Diese letzte Eskapade soll das Rentnerpaar am Ende nach Key West zum Haus Ernest Hemingways führen, dem großen Idol des pensionierten Lehrers John. Dorthin haben sie es bisher nie geschafft. Diesen Traum müssen sie sich unbedingt erfüllen, bevor es zu spät ist.

Der Anfang ihrer Reise steht unter einem guten Stern. Zwar ist ihre Stammtankstelle noch nicht geöffnet. Aber die neuen, aus Syrien stammenden Besitzer lassen sich dann doch erweichen, den beiden einen der Pekannussriegel mit auf den Weg zu geben, die sie so sehr mögen. Natürlich wird es eine Reise in die gemeinsame Vergangenheit, auf die Paolo Virzì seine Protagonisten schickt. Ella stammt aus dem Süden, und Helen Mirren gibt ihr den passenden Akzent dazu. Sie wollen sich ihre affektiven Erinnerungen zurückerobern, was indes ein schwerer Kampf ist, denn John leidet an Alzheimer. Aber Ella, die selbst schwer erkrankt ist (woran, offenbart der Film erst später), gibt ihn nicht auf. Unnachgiebig beharrt sie darauf, dass er sich Namen, Orte und Situationen ins Gedächtnis zurückruft. Das ist ein Tauziehen, welches Virzì den Zuschauern getrost zumutet, mal enervierend, mal lustig und dann ungemein beglückend, wenn sich Johns Erinnerung plötzlich wieder einstellt.

Für diese Gratwanderung braucht es Schauspieler, die einfühlsam und von robuster Verletzbarkeit sind. Mirren und Sutherland stehen wunderbar für ihre Figuren ein, ohne in die Falle der Sentimentalität zu tappen. Man begleitet sie gern. Trotz ihrer Krankheiten zeigen sie sich rüstig, Johns Fahrtüchtigkeit steht nie wirklich infrage. Sie sind auch sehr kontaktfreudig. Ella quatscht mit jedem, und John ist glücklich, wenn er junge Kellnerinnen für Hemingways Prosa begeistern kann. Zuweilen flammt Eifersucht auf, die nicht immer unbegründet ist. Mithilfe eines Diaprojektors versucht Ella abends, die verlorene Idylle ihres Zusammenlebens einzuholen. Johns Krankheit droht, ihr ihren Mann wegzunehmen. Wenn sie von Rückkehr spricht, meint sie das nicht im geografischen Sinne.

Unterdessen verliert Virzì die Kinder des Paares nicht aus den Augen. Auch zwischen ihnen brechen alte Konflikte auf. Man spürt, dass die Sorge um die Eltern einen wesentlichen Rückhalt für den orientierungssuchenden Will bedeutet und Jane vielleicht nur auf den ersten Blick die Lebenstüchtigere ist. Das Verschwinden von Mutter und Vater gibt ihnen Lebenslektionen auf, die Virzìs Film nie wirklich ausbremsen. Er hat sich nicht zu viel vorgenommen; Donald Trumps Wahlkampf bleibt ein unprätentiöses Hintergrundrauschen.

In diesem Roadmovie geschieht ansonsten wenig, das man nicht erwartet hat, und Luca Bigazzis Kamera erbeutet in den Südstaaten kaum mehr als schöne Postkartenmotive. Da Virzì jedoch einen engen, unverbrüchlichen Pakt mit seinen Helden eingeht, betrachten wir diese Welt mit ihren Augen und gewinnen die Klischees eine sachte Frische.

Meinung zum Thema

Kommentare

Regisseur Paolo Virzi hat einen gewagten Spagat versucht, aber mit Helen Mirren (Ella) und Donald Sutherland (John) kann eigentlich nichts schief gehen. Er hat Alzheimer, sie einen Tumor und dennoch machen sie einen letzten gemeinsamen Trip mit ihrem Wohnmobil (Originaltitel: Freizeit Sucher) entlang der Ostküste bis Florida. Sie wandeln auf den Spuren von Ernest Hemingway und geleiten den Plot sicher an der Schmonzette vorbei in Richtung bittersüße Oldie Romanze.
Er ist mit seiner Demenz für die amüsanten Szenen zuständig, sie unterdrückt ihre Schmerzen, nimmt Pillen und sagt, wo’s lang geht. Beide machen das meisterlich. Egal ob sie einen Überfall verhindern oder John sich verläuft. Abends testet sie sein Erinnerungsvermögen mit Dias aus den Anfängen ihrer Ehe. Mal erkennt er jemanden mal nicht. Das kann ihm auch bei seinen Kindern passieren. Selbst als er ihr seinen Jahrzehnte zurückliegenden Seitensprung beichtet und sie ihn wutschnaubend in einem Heim abstellt, finden sie doch wieder zu einander, nachdem ihr Zorn verraucht ist. Sie versuchen es sogar mit ganz vorsichtigem Sex. Doch der Tod hat bei Ella schon an die Tür geklopft und John kommt allein nicht zurecht. So findet Ella eine Möglichkeit, die für beide eine Lösung zu sein scheint. Das wird ohne große Emotionen und doch nicht ohne Eindruck dargestellt. Der lyrische deutsche Titel stellt den des Originals etwas in den Schatten. Zumal der deutsche Synchronsprecher das Wort ‘Leisure‘, wenn nötig in verschiedenen Variationen anbietet. Aber sonst ist alles top.

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