Kritik zu Cyrano

© Universal Pictures

Erica Schmidt schrieb zusammen mit der Band »The National« 2018 eine neue Musicalfassung von »Cyrano de Bergerac« – mit ihrem Mann, Peter Dinklage, in der Hauptrolle. Joe Wright hat es nun für die Leinwand adaptiert

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»Ich lass mich nicht retten«, ruft Roxanne empört aus, während sie, umweht von roten Locken, elfenbeinfarbenen Rüschen, rosa Unterröcken und grün wallendem Organza durch ihr Reich fegt: »Ich bin nicht in Not!«, entgegnet sie ihrer Kammerzofe, die auf Heirat drängt. Joe Wright hat ein Faible für solche kämpferisch eigenwilligen Frauen, es gab sie in all seinen Filmen, er fand sie in Klassikern wie Jane Austens »Stolz und Vorurteil« und Tolstois »Anna Karenina«, in modernen Klassikern wie Ian McEwans »Abbitte« und Tracy Letts »The Woman in the Window« und in Originaldrehbüchern wie »Wer ist Hanna?« 

In Umkehrung der klassischen Geschlechterrollen sind die Frauen in seinen Filmen oft eher resoluter und die Männer eher sanfter. In besonderer Weise gilt das nun auch für seine Neuinterpretation von Edmond Rostands Stück »Cyrano de Bergerac«, die auf der Musicalbearbeitung von Erica Schmidt basiert. Die wiederum hat als Ehefrau des kleinwüchsigen Peter Dinklage eine besondere Perspektive auf den Stoff. Als Duo Drehbuchautorin und Schauspieler geben sie der Geschichte eine neue Tiefe und Universalität, die nicht am Make-up-Tool einer überdimensionalen Nase hängt 

In Schmidts Musical ist »Cyrano« nun die Geschichte einer Ménage-à-trois, in der sich zwei Männer, die um dieselbe Frau werben, durch eine Schwindelei zum Traummann ergänzen: Die stattliche Erscheinung von Christian (Kelvin Harrison Jr. aus »Waves«) wird erst mit der tiefen Seele von Cyrano (Dinklage) zu einem kompletten Menschen: »Ich bin ein Poet«, sagt er, »meine Worte aus Eurem Munde: Ich mach Euch zum Romantiker, wenn Ihr mich dafür stattlich macht.« Dinklage ist es, der dem luftigen Spiel der Verwechslungen und dem ästhetischen Rausch der Farben und Formen emotionale Tiefe verleiht und den Stoff damit über seine schönen Oberflächen erhebt. Im Kontrast dazu wirkt Haley Bennett als Roxanne, die schon in der Bühnenversion neben Dinklage spielte und den Stoff an den Regisseur herangetragen hat, fast unwirklich püppchengleich und prinzessinnenhaft. 

Kunst und Märchen sind in den Filmen von Joe Wright immer schon ein tröstendes Gegenmodell zur harschen Realität von Krieg, Leid und Armut gewesen: Auch in »Cyrano« schwelgt er in kunstvollen Kreationen, angefangen schon in der Eröffnungsszene im Theater. Die Märchenhaftigkeit der Szenerie wird hier ins Musical übergeführt: Während es oft gewöhnungsbedürftig künstlich wirkt, wenn Schauspieler unvermittelt beginnen, ihre Dialoge zu singen, gelingen Joe Wright fließend weiche Übergänge vom Sprechen zum Singen, von alltäglichen Arbeitsabläufen zur Tanzchoreografie, in einer mit Mehlstaub gepuderten Bäckerei oder in einem Klosterlazarett, in dem die Köpfe der Nonnen von schwerelos wippenden Haubenskulpturen gerahmt sind. Die besondere Bedeutung der Sprache schlägt sich in vielen Großaufnahmen von Federspitzen und flüssiger Tinte nieder, die sich zu Worten, Sätzen und Briefen fügen. 

Nach vielen Filmen, deren Schauplätze im Studio gebaut wurden, drehte Joe Wright jetzt in der realen, kleinen Barockstadt Noto in Sizilien, ein elfenbeinfarbener Weltkulturerbetraum, in dessen Kalktuffsteinbauten Set und Wirklichkeit verschmelzen. Zusammen mit seinem Stammteam mit Kameramann Shamus McGarvey, Productiondesignerin Sarah Greenwood, Setdesignerin Katie Spencer und Kostümdesignerin Jacqueline Durran erschafft er eine so opulente wie entrückte Zauberwelt, die durch schamlos große Gefühle geerdet ist. Es ist auch ein Ausflug in die kindliche Wahrnehmung, bevor die Welt durch Ironie und Zynismus vergiftet wurde.

Meinung zum Thema

Kommentare

»Cyrano« ist wundervoll inszeniert, hat einen beträchtlichen Schauwert; auch daß statt Gerard Depardieu mit prosthetischem Riesenzinken nun Tyrion Lannister ;-) die Titelrolle innehat (wohl aus Gründen woker pc, nach der Darsteller nur spielen dürfen, was sie auch im echten Leben sind ^^), ist eine nette Abwechslung. Der Schwachpunkt des Musicals (!) ist das generische Gedudel ohne jeden Wiedererkennungswert. Sie hätten’s mal mit Musik versuchen — oder sie ganz weglassen sollen.

Grandiose Musik in einer peinlichen Inszenierung — das Gegenstück zu »Cyrano«.
Das Script zu »Xanadu« wurde während der Dreharbeiten [s]zusammengeschustert[/s] verfaßt, die Musik zu »Cyrano« offenbar auch.

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