Kritik zu Anna Karenina

© Universal Pictures

Sie ist die vermutlich berühmteste Ehebrecherin der europäischen Literatur; zig Bühnenfassungen und Verfilmungen hat es von »Anna Karenina« schon gegeben.  

Bewertung: 4
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4 (Stimmen: 2)

Was für eine Show! Joe Wright, der mit seinen Verfilmungen von Stolz und Vorurteil (2005) und Abbitte (2007) bewiesen hat, dass er ein ausgesprochenes Talent für Literaturadaptionen besitzt, verlegt »Anna Karenina« auf die Bühne, in ein Theater, das schon bessere Tage gesehen hat und dessen Ausstattung den staubigen Charme eines Antiquitätenladens verströmt. Es ist eine überraschende, aber überzeugende Regieentscheidung. Nicht nur, dass das Gehabe der feinen zaristischen Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts unecht und dekadent wirkt – als Schauspiel, das keine Privatsphäre zulässt. Indem Wright und sein Drehbuchautor Tom Stoppard den psychologischen Realismus der Romanvorlage beiseitelegen, lassen sie zudem keinen Zweifel daran, dass sie sich der Zitathaftigkeit dieser Verfilmung bewusst sind. »Anna Karenina « zählt schließlich zu den Großwerken der Literatur, zig Bühnenfassungen und Verfilmungen des Stoffes hat es schon gegeben. Diesen Adaptionen einfach noch einen weiteren Kostümfilm hinterher zuschieben, der die Liebes- und Leidensgeschichte von Anna und ihrem Kavallerieoffizier mit viel Herzschmerz nachbuchstabiert, wäre wenig originell gewesen und auch der Vorlage nicht gerecht geworden. Viele Adaptionen des Romans konzentrieren sich ja fast ausschließlich auf die »romantische« Liebesgeschichte von Vronsky und Anna und verlieren die drei Ehen aus dem Blick, die in der Romanvorlage ebenso bedeutsam sind. Joe Wright bindet sie in sein Welttheater ein: Da ist zunächst die Ehe von Anna (Keira Knightley) und Karenin, den Jude Law herausragend, vielschichtig, nicht leicht durchschaubar und mit mönchischer Strenge spielt. Dieser Karenin mag steif und engherzig sein – aber er ist auch verletzlich in seiner Liebe zu Anna. Außerdem die Ehe von Annas Bruder Oblonsky (Matthew Macfadyen), der ein Schürzenjäger ist, mit Dolly (Kelly Macdonald); und die von Oblonskys Freund Levin (Domhnall Gleeson), der die Konventionen der Gesellschaft verachtet und auf dem Land lebt, mit Dollys reizender Schwester Kitty (Alicia Vikander). Im Roman ist die Levin-Dolly-Geschichte zentral, handelt es sich dabei doch um den positiven Gegenentwurf zur selbstzerstörerischen Liebe von Anna und Vronsky.

Die wichtigste Frage bei einer »Anna-Karenina«-Verfilmung aber bleibt natürlich die nach der Hauptdarstellerin. Um es vorwegzunehmen: Keira Knightley, die schon bei Stolz und Vorurteil und Abbitte mitspielte, ist eine hinreißend neurotische Anna. Sie kann die Herzlichkeit, den Charme, die Eleganz und reizende Lebhaftigkeit dieser Dame der St. Petersburger Gesellschaft ebenso verkörpern wie das Düstere der Figur, Rücksichtslosigkeit, Selbstzweifel, Grausamkeit und Rachsucht. Wenn Anna die Nase rümpft, was sie fast ein wenig zu oft tut, sieht die schöne Frau für einen Moment fast hässlich aus, erinnert der Gesichtsausdruck an die Grimasse eines Tiers. Eine Art von Gesichtsverlust liegt in dieser Marotte, die hervorragend zu Anna passt, die sich in die Ehe mit dem überkorrekten, ungeliebten Karenin gefügt hat – und plötzlich von ihrem Körper, ihren Instinkten aus dieser Umlaufbahn katapultiert wird. Glück ist das nicht. »Ich habe keinen Frieden zu vergeben«, sagt Vronsky. Und Anna: »Du hast mein Glück gemordet. Mörder, Mörder«, so stöhnt sie beim Liebesakt. Weil Keira Knightley so mager ist, kann sie nicht nur die Stofffülle ihrer eleganten Roben bestens tragen, sie sieht bei aller Schönheit auch immer ein wenig angekränkelt aus.

Wright geht zu diesen Verwirrungen der Herzen beherzt auf Distanz, wenn er das Geschehen ins Theater verlegt und dazu ein Insert zeigt: »Russisches Kaiserreich«. Das Gesellschaftspanorama, das Tolstoi auf den mehr als tausend Buchseiten von »Anna Karenina« entwirft, lässt sich heutzutage ja erst mal nur als Kulisse begreifen, eine Tatsache, die Wright immer wieder ins Gedächtnis ruft, wenn er etwa während einer Einstellung eine Kulisse aus dem Bild schiebt und durch eine andere ersetzt, oder eine Figur eine schwere Eisentür im Theater öffnet und sich dahinter eine Schneelandschaft oder Blumenwiese auftut.

Ausstattung, Make-up, Kostüme und die Musik von Dario Marianelli sind exquisit. Eine Schlüsselszene ist ein Ball, dessen Tanzszenen der renommierte Choreograf Sidi Larbi Cherkaoui entwickelt hat. Auf diesem Ball verfallen Vronsky und Anna einander bei einem rauschhaften Tanz, der wie ein Geschlechtsakt anmutet. Die übrigen Paare stehen zwischendurch still wie eingefroren; das Ganze wirkt wie der Rausch von Automaten. Eine reizvolle Spannung entsteht dadurch, dass sich die Kamera von Seamus McGarvey nicht an das antiillusionistische Konzept hält. Während das Theater naturgemäß mit der Totalen arbeitet, stürzt sich die Kamera unter Demonstration aller filmischen Mittel sehr agil in die Szenen und reißt auch den Zuschauer mit. Das Konzept überzeugt, weil schon Tolstoi ein Panorama zeichnet, in dem – sieht man von Kitty und Levin ab – nichts mehr so richtig zueinander passt. Alles droht auseinanderzufliegen: die Ehe von Anna und Karenin ebenso wie die von Dolly und Oblonsky. Und auch die Gesellschaft scheint enormen Fliehkräften zu unterliegen. »Anna Karenina « spielt im Jahr 1874. Und obwohl es noch ein paar Jahrzehnte dauern wird bis zur Oktoberrevolution, trägt die Gesellschaft, die hier Leben nachspielt, die Keime des Untergangs schon in sich.

Schwächen hat der Film vor allem im letzten Drittel, wenn er sich zu wenig Zeit lässt, die Zermürbung der Liebe von Anna und Vronsky auszumalen. Es ist ja nicht so, dass die Ehebrecherin zuallererst an der Rache der Gesellschaft zugrunde ginge, es ist eher eine Art Selbstbestrafung, der sie sich in der Druckkammer dieser Gesellschaft unterwirft. Wie sich Annas und Vronskys Leidenschaft gewissermaßen selbst auffrisst – dafür findet Wright kaum noch Bilder. Und Aaron Taylor-Johnson als Vronsky wirkt wie ein oberflächlicher Schönling. dem man am Ende nicht glaubt, dass Anna an ihrer Liebe zu ihm zerbricht.

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