Kritik zu Can and Me

© Real Fiction Filmverleih

2022
Original-Titel: 
Can and Me
Filmstart in Deutschland: 
09.03.2023
L: 
85 Min
FSK: 
Ohne Angabe

Die Klänge, die Irmin Schmidt und seine Kollegen von Can schufen, passen in keine Schublade. Mit großer Materialfülle porträtiert Michael Aust in seinem Dokumentarfilm den experimentierfreudigen Musiker, zeichnet die Bandgeschichte und seine Solokarriere nach

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Wie kam ein Schüler von Ligeti und Stockhausen, der bereits als Dirigent und Pianist reüssierte, dazu, sich von der »ernsten Musik« abzuwenden und stattdessen eine Rockband zu gründen? Irmin Schmidt selbst beschreibt einen Aufenthalt in New York als ausschlaggebend, wo er an einem Wettbewerb teilnehmen wollte, dann aber an La Monte Young, Terry Riley und Steve Reich geriet, mit ihnen musizierte, »und interessante Drogen hat es auch gegeben«. Er sei dort »vom Glauben abgefallen«, erzählt er in »Can and me«, in ihm habe es gebrodelt, und aus diesem Brodeln sei die Band Can entstanden, die er 1968 gemeinsam mit Holger Czukay, ebenfalls Kompositionsschüler bei Stockhausen, in Köln aus der Taufe hob. Mit Schmidt an den Keyboards, Czukay am Bass, Jaki Liebezeit am Schlagzeug, Michael Karoli an der Gitarre und wechselnden Vokalisten schufen sie Werke zwischen Avantgarde, Rock und Jazz, voller unerhörter Sounds, elektronischer Experimente und schroffer Rhythmen. Obwohl sie kaum »Hitmaterial« produzierten, feierten sie bald erstaunliche Erfolge und wurden prägend für so viele Bands und Musiker von Punk bis Techno. 

In den ausführlichen Gesprächen, die die Klammer von »Can and me« bilden, betont der heute 85-jährige Schmidt – letztes lebendes Stammmitglied – die Bedeutung von Freiheit und Spontaneität für das Schaffen der Band sowie ihre demokratische Verfasstheit. Can war immer ein Kollektiv, einen Bandleader gab es nicht. Man hört Schmidt gerne zu, wenn er im Interview in seinem Haus in der Provence, wo er seit 1980 lebt, oder auf Spaziergängen von seinem Schaffen und seinen Weggefährten erzählt oder auch mal über die Stille philosophiert, die für ihn »das wichtigste Geräusch« sei. Bedächtig und warmherzig spricht er von seinen Weggefährten, sehr differenziert lässt er auch seine Kindheit und Jugend, seine Rebellion gegen die noch allgegenwärtigen Nazis – darunter sein eigener Vater – Revue passieren. Nach der ausführlich aufgefächerten Geschichte von Can kommen dann auch die unzähligen Soloprojekte Schmidts zur Geltung, von seinen Dutzenden Filmmusiken bis zur Oper »Gormenghast«. Wichtigste Protagonistin neben Schmidt selbst ist seine Frau Hildegard, die in Cans Anfangstagen eher zufällig in die Rolle der Bandmanagerin geriet und sich bis heute um alles Organisatorische und das Bandarchiv kümmert. Daneben kommen Künstler wie Wim Wenders und Roland Klick, Gregor Schwellenbach und Helmut Zerlett zu Wort.

Michael P. Aust, Kulturveranstalter und Leiter des Festivals »SoundTrack Cologne« ist als Filmschaffender bisher nur produzierend in Erscheinung getreten, beweist in seinem Regiedebüt aber ein gutes Gespür für die Verknüpfung von »Talking Heads« und dem reichen Archivmaterial, aus dem er schöpfen konnte. Sein weitgehend chronologisches Vorgehen ist bei der Fülle an Themen und Personen unbedingt von Vorteil, um als Betrachter den Überblick zu behalten. Zugleich aber birgt der Film immer wieder Momente der Poesie. So ist »Can and Me« das Porträt einer faszinierenden Künstlerpersönlichkeit samt Zeitreise in eine Ära kühner musikalischer Experimente.

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