Kritik zu Buñuel – Im Labyrinth der Schildkröten

© Arsenal Filmverleih

Ein Animationsfilm über die Entstehung eines Dokumentarfilms, der dazu noch auf einer Graphic Novel beruht: Salvador Simó vollzieht ein Stück Zeitgeschichte nach

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Ein Stück Kinogeschichte, so bizarr wie die Werke seiner Protagonisten – und Animation ist die konsequenteste Art, sie zu erzählen. 1930 sind Salvador Dalí und Luis Buñuel nach ihrem gemeinsamen Kurzfilm »Un ­chien andalou« (Ein andalusischer Hund) die gefeierten Stars des Surrealismus, zumindest in der Pariser Bohème. Doch nach dem Skandal um seinen Film »L'Âge d'Or« (Das goldene Zeitalter) und schließlich dessen Verbot (das erst ein halbes Jahrhundert später aufgehoben werden wird) ist Buñuel plötzlich pleite, niemand will seinen nächsten Film finanzieren. Der junge Künstler kann noch nicht einmal ein scheinbar kleines Projekt weiterverfolgen, eine Dokufiktion über »Las Hurdes« (Land ohne Brot), eine der ärmsten Regionen Spaniens in den Bergen von Extremadura.

Da kauft ein Freund, der Anarchist Ramón Acín, ein Ticket der Weihnachtslotterie und verspricht kurzerhand, im Falle eines Gewinns den Film zu finanzieren. Tatsächlich haben die beiden Glück; Acín überreicht Buñuel wenig später 20 000 Pesetas. Gemeinsam machen sie sich auf in den Landstrich, wo Buñuel freilich nicht einfach einen Dokumentarfilm dreht, sondern eine Parodie auf die Konventionen sensationalistischer Reisedokumentationen dieser Zeit. Er verfremdet und überhöht die ­anthropologische Expedition durch einen surrealistischen Blickwinkel, inszeniert eine Art Reisebericht, in dem die Erzählerstimme stark überzogene Beschreibungen der hoffnungslosen Existenz der Landbevölkerung liefert. Der Zensur war die Darstellung der bitteren Armut in dieser Region zu authentisch, eine »Rufschädigung des spanischen Volks«, und so wurde »Las Hurdes« 1933 kurz nach der Uraufführung in Spanien verboten.

Salvador Simós Entscheidung, aus dieser Entstehungsgeschichte einen Animationsfilm zu machen, hat noch einen näherliegenden Grund: Sein Werk ist die Adaption der gleichnamigen Graphic Novel von Fermín Solis, die bislang nicht auf Deutsch erschienen ist. Simó montiert in die animierten ­Sequenzen im klassischen 2D-Stil mit klaren Linien und vorrangig brauner Farbpalette (Animation: Manuel Galiana, »Der Illusionist«) immer wieder Originalaufnahmen aus »Las Hurdes« und zeichnet so sehr anschaulich die Hintergründe der Dreharbeiten nach, bei denen offensichtlich in mancher Szene im großen Stil nachgeholfen wurde, wenn es denn der Dramatik half. Im ­Comic wie im Film geht es letztlich nicht um das, was wahr und was erfunden ist, gerade in der Überzeichnung ist womöglich mehr Erkenntnis zu finden als in vermeintlicher Objektivität – die es eben auch im Dokumentarfilm nicht geben kann.

So traben bei einer Panikattacke Buñuels die berühmten Dalí-Elefanten auf Giraffenbeinen durch die Straßen, und auch die titelgebende Riesenschildkröte, die Buñuel deutlich überragt, tritt in Erscheinung. 1936 wurde das Verbot von »Las Hurdes« schließlich aufgehoben und der Film öffentlich ­gezeigt, doch Acín erlebte das nicht mehr. Er war als Anarchist zu Beginn des spanischen Bürgerkriegs von Falangisten ermordet worden, sein Name wurde aus den Credits entfernt.

Meinung zum Thema

Kommentare

Eine Kombination aus dokumentarischen Aufnahmen von Bunuels Film Land ohne Brot (Las Hurdes, 1933) und eigens dazu gemachter Animationspassagen. Ein großer Teil beschreibt die Schwierigkeiten, diesen Film über die Menschen in der Extremadura zu drehen. Es gibt finanzielle Probleme, menschliches Leid der armen Leute der Gegend und viele Hinweise auf Bunuels surrealistische Albträume. Ebenso häufig wird ein Streiflicht auf die Vater – Sohn Problematik geworfen. Das sind die besten Stellen des ansonsten meist etwas zähen Film. Da sind die Elefanten auf haushohen Stelzen noch echte Hingucker. Die meist staksigen Bewegungen der Figuren vertiefen den V-Effekt. Immer wieder wird im Gespräch auf Dali hingewiesen, was auf die Dauer etwas ermüdet, da es immer nur darum geht, wer der authentischste der beiden ist. Und die Frage bleibt unbeantwortet. All diese Dinge vergrößern die Distanz zum Publikum.
Bunuel Enthusiasten können diesen Film durchaus genießen, denn sie sehen über die Mängel hinweg. Regisseur Salvador Simó hat einfach zu viel in den Film hineingepackt: Biographisches und Berufliches angereichert mit einer Dokumentation.

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