Kritik zu Boulevard

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Robin Williams’ letzte Rolle: Nach 26 Ehejahren beginnt ein Mann, sich seine verdrängte Homosexualität einzugestehen, nachdem er sich in einen Stricher verliebt hat

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Es wirkt passend, dass der letzte Film von Robin Williams ihn nicht als Komödianten zeigt. Am stärksten war er ohnehin meist dann, wenn er sein clowneskes Image nutzte, um das Tragische oder auch Monströse seiner Leinwandcharaktere umso irritierender wirken zu lassen. Man denke an »Insomnia« oder die unterschätzte Tragikomödie »World's Greatest Dad«. Das Gute-Laune-Grinsen verzerrte sich da zur Grimasse eines Verklemmten.

So ähnlich verhält es sich auch in »Boulevard«, nur dass das Humorige hier gleich ganz weggelassen wird. Williams verkörpert darin einen Bankangestellten namens Nolan, der in einer gesichtslosen Kleinstadt vor sich hin lebt. Er ist seit 26 Jahren verheiratet, die Ehe scheint routiniert, aber glücklich. Das Paar wohnt in einem adretten Haus, gelegentlich kommen Freunde vorbei und im Job steht Nolan vor einer Beförderung. Amerikanisches Provinzleben par excellence, nicht aufregend, aber irgendwie ganz behaglich. Umso berührender ist es zu beobachten, wie Nolan sich in dieser Beschaulichkeit zusehends fremd und falsch fühlt. Denn Nolan ist schwul, hat diese Neigung aber jahrzehntelang unterdrückt. Erst als er sich in den jungen Stricher Leo verliebt, erwacht in ihm das diffuse Bedürfnis, etwas zu verändern.

Eine große Stärke des Films besteht in seinem Verzicht auf Schuldzuweisungen. Nolans Frau Joy ist liebevoll und sein bester Freund Winston stets für ihn da. Trotzdem fehlt da etwas. Jenseits des Themas der heimlichen Homosexualität lässt »Boulevard« sich als Porträt eines Biedermanns lesen, der zuschauen musste, wie seine Liebsten eine Form von Erfüllung fanden – Joy in der Liebe zur Literatur, Winston als umschwärmter Uniprofessor –, während er selbst seine tiefsten Bedürfnisse jahrzehntelang unterdrückte. Ein Zustand, den Nolan mit ausweichender Servilität und einem eigentümlich introvertierten Humor überspielt – da ist es dann wieder, dieses verzerrte Lächeln. Momentweise fürchtet man, seine zunehmende Obsession für den jugendlichen Prostituierten könne in einen blutigen Befreiungsschlag à la »Taxi Driver« münden. Aber Regisseur Dito Montiel vermeidet klugerweise Sensationseffekte. Er inszeniert die so alltäglich anmutende Geschichte betont zurückgenommen, präzise und mit Konzentration auf seine Hauptfigur.

Im Grunde ist »Boulevard« ein Ein-Personen-Film. So hervorragend sämtliche Darsteller auch sind, liegt der Fokus ganz auf Robin Williams und wie er Nolans Unglücklichsein, sein Hadern mit sich selbst in Körpersprache übersetzt, in Gesten, Schritte, Blicke und nicht zuletzt in die verspannten Züge um seinen Mund. Allein beim Anblick des jungen, undurchschaubaren Leo beginnen seine Augen zu strahlen. Williams lässt uns an der quälenden Befreiung dieses Mannes teilhaben, in dessen Leben es unweigerlich zum Bruch kommen muss. Als Zuschauer ist dabei die Versuchung groß, das Schicksal des Darstellers irgendwie mit der Kunst abzugleichen. So oder so bleibt »Boulevard« für Robin Williams eine hochfeine letzte Vorstellung.

Meinung zum Thema

Kommentare

Hallo. Es ist mal wieder typisch Robie Williams. Ich denke, dass all diese Filme so autentisch sind, wie auch dieser, da sie wie ein Fenster in Robie Williams Seele sind. Wir haben alle als Zuschauer seine Filme genossen. Jedoch der Abgang von Williams scheint mir die rückblickende Antwort zu sein....Mir tut es Leid, dass wir all diese Rufe als Fans nicht begriffen haben....Oder täusche ich mich, ich weiss es nicht.
Boulevard zeigt einen Mann, der mit 60zig den Absprung noch zu schaffen scheint. Ein Wunsch? Ein Wunschdenken? Ja, es ist wohl eine Glücksgeschichte, die vielen Menschen aber verwehrt bleibt. Auch bei Schwulen und Lesben, die auch im Jahre 2016 sich selber unterdrückt ihr Leben ungeoutet und somit ungelebt bis in den Sarg zu ende bringen...Ich frage mich, ob die Geschichte nicht zu gut erzählt wird. In den meisten Fällen hätte es einen anderen Verlauf genommen. Der Alte hätte sich einen anderen Callboy gesucht. Oder so weiter gelebt, oder sich das Leben genommen........,,, soviel zum Nachsdenken

ein kleines meisterwerk, wie
zärtlich die figuren gezeigt werden, und
wie williams traumwandlerisch den film
beherrscht und durchdringt...

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