Kritik zu Borga

© Across Nations Filmverleih

In seinem Spielfilmdebüt erzählt York-Fabian Raabe die Migrations­geschichte eines Ghanaers – mit viel Gespür für Figuren und Orten und Eugene Boateng in der Hauptrolle

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Fotos können trügerisch sein. Und verführerisch. Als Kojo von einem Cousin ein Foto in die Hand gedrückt bekommt, das seinen Onkel in Deutschland zeigt, wächst in ihm der Wunsch, auch dorthin zu gehen. Und er bricht auf. Denn der Onkel ist ein »Borga«: So heißen in Ghana die Afrikaner, die es im fernen Europa zu etwas gebracht haben. Kojo lebt mit seinen Eltern und seinem Bruder in Agbogbloshie, einem Stadtteil der Millionenstadt Accra, und verdient, wie alle dort, seinen Lebensunterhalt mit dem Zerpflücken von Elektroschrott, der aus Europa kommt. Eine schwere Arbeit und auch eine gefährliche; schon in ihrer Jugend haben Kojo und sein Bruder Kofi Geld damit verdient, dass sie die Plastikummantelungen der Kabel verbrannt haben. 

York-Fabian Raabe streift in seinem Debütfilm die Lebensverhältnisse nicht nur, er nimmt sich viel Zeit, etwa das Verhältnis der Brüder auszuloten (das bis zum Schluss gespannt bleibt) oder die clanmäßigen und patriarchalen Strukturen vorzustellen. Immer wieder wird Kojo nach Agbogbloshie zurückkehren. Als er es geschafft hat, sich dorthin durchzuschlagen, wo das Foto entstanden ist, nach Mannheim, erklärt ihm der Onkel, wie das Foto, das er nach Ghana schickte, zustande kam: für 50 Euro, mit einem gestellten Auto, vor einem Haus, das nicht ihm gehört. Das ist sicherlich eine der stärksten Szenen des Films, ganz beiläufig erzählt. 

Mannheim kann sehr kalt sein. Raabe hat nicht nur ein gutes Gespür für die Beziehungen zwischen seinen Figuren, sondern auch für Orte. Und Mannheim ist ja, zum Glück, noch keine zu Tode fotografierte filmische Gegend. »Borga« spielt in der Hafengegend, und einmal sieht Kojo den Schiffen nach, die den Rhein hinauffahren. Hat er es geschafft? Zumindest wird Kojo, eindrücklich und nonchalant verkörpert von Eugene Boateng, erst mal seinen Weg machen, die Notärztin Lina (Christiane Paul) kennenlernen und Geld verdienen. Anfangs mit Deals mit einem Elektronikmarkt, später zu einem hohen Preis: als Drogenschmuggler. 

Kojo lebt aber in einem Dazwischen. Seine Familie wird er nicht aus dem Kopf bekommen. Sein Bruder fertigt die Container ab, die er nach Accra schickt. Aber als Kojo einmal nach Accra zurückkehrt, mit blauem Anzug, Motorrad, und mit Geld um sich schmeißt, läuft sein Besuch aus dem Ruder. Und als Lina merkt, dass er nicht derjenige ist, der zu sein er vorgab, verlässt sie ihn. »Borga« war beim diesjährigen Max Ophüls Preis zu Recht der große Gewinner, mit vier Preisen: bester Spielfilm, Preis der ökumenischen Jury, Publikumspreis und Preis für den gesellschaftlich relevanten Film, der an den Produzenten und Hauptdarsteller Eugene Boateng ging.

»Borga« mutet mitunter geradezu dokumentarisch an, wenn die Kamera durch die Straßen und Wege von Accra fährt; die Schauspieler sprechen in ihrer Muttersprache, meistens in Twi. Das bleibt im fertigen Film unsynchronisiert (mit Untertiteln) und ist ganz wichtig für die Authentizität. Einen solchen Blick auf eine afrikanische Szene hat man im deutschen Film bislang nicht gesehen.

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