Kritik zu Bittere Kirschen

© Filmlichter

2011
Original-Titel: 
Bittere Kirschen
Filmstart in Deutschland: 
13.09.2012
L: 
107 Min
FSK: 
12

Nach Viehjud Levi (1999), seinem großen Erfolg, und zuletzt Offset (2006) ist es still geworden um Didi Danquart. Nun kehrt er mit einer ambitionierten Literaturadaption nach Judith Kuckart ins Kino zurück

Bewertung: 3
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Ausgangspunkt dieses assoziativen Bilder- Puzzles ist die Geschichte der Schauspielerin  Lena (Anna Stieblich), deren Karriere ein unfreiwilliges Ende nimmt. Sie habe »keinen positiven Wiedererkennungswert für die Zuschauer«, erklärt der Intendant, um ihr nicht ins Gesicht sagen zu müssen, sie sei zu alt. Die Beisetzung ihrer Mutter führt sie zurück in ihr Heimatdorf, wo ihre Jugendliebe Ludwig (Ronald Kukulies) ihr einen Antrag macht. Sie lehnt ab und reist nach Auschwitz.

Der Grund dieses spontanen Trips enthüllt sich aufgrund der elliptischen Erzählweise erst im Nachhinein. Eine Rolle spielt dabei Julius Dahlmann (Martin Lüttge), der Jugendfreund ihrer Mutter, den Lena auf deren Beerdigung nach Jahren erstmals wieder sah. Heimlich folgt er ihr nach Auschwitz, wo die Erinnerungen an seinen Vater wieder lebendig werden, der hier vor 60 Jahren KZ-Aufseher war. Weiteres Motiv für seine Rückkehr an den Ort seiner Kindheit ist seine Liebe zu Lenas Mutter, die zeitlebens unerfüllt blieb.

Lena lässt ihn zunächst kühl abblitzen; sie begegnet zwei weiteren Männern: Dem Torwart einer Fußballmannschaft und dem katholischen Priester Richard (Wolfram Koch) in Glaubenskrise. Ihm offenbart Lena ihre Abneigung gegen die konventionelle Form des musealen Gedenkens an den Holocaust. Dieser »Ort soll mit sich allein bleiben, als unbegreiflicher Raum«. Als Sinnbild dieser Unbegreiflichkeit verweigert der Film sich den üblichen Bildern aus dem Lager. Zu sehen sind alltägliche Stadtansichten aus dem heutigen Oswiecim.

In Judith Kuckarts Roman, den Danquart und sein Autor Stephan Weiland »frei« adaptierten, fügt sich dieses assoziative Geflecht möglicherweise zu einer geschlossenen Struktur. Die filmische Umsetzung bleibt dagegen auf unproduktive Weise enigmatisch. Gegen Ende erst, wenn der Geduldsfaden beinahe gerissen ist, gelingen magische Momente. Auf der Rückfahrt verlieren Lena, Julius und Richard sich an einer verlassenen Tankstelle aus den Augen. Das Innere eines Containers weitet sich zu eine Art »Tarkowski-Raum«, in dem die drei eine halluzinierte Zeitreise durchleben.

Diese gelungenen Szenen stehen im Spannungsverhältnis zur spröden Darstellung der Akteure. Allein Anna Stieblich als Lena hat eine gewisse Präsenz, wären da nicht ihre theaterhaft-metaphysischen Monologe über das Wesen der Erinnerung. Auf dieser Suche nach der verlorenen Zeit lesen Danquart und sein Kameramann Johann Feindt Beobachtungen vom Wegesrand auf, die von einem gefühlten Bilderrahmen eingefasst sind: ein antiquierter Münzfernsprecher mit Wählscheibe, ein Kruzifix, vor dem ein Motorrad älteren Modells liegt. Atmosphärisch erinnert diese pittoreske Nostalgie an den Neuen Deutschen Film der 70er Jahre. Verbunden ist damit auch jene deutsche Erdenschwere, bei der vage formulierte Ideen als Gedankenreichtum suggeriert werden.

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