Kritik zu Birds of Passage

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Die Anfänge der kolumbianischen Drogenkartelle, erzählt als episches Gangsterdrama – und Parabel über den Untergang einer Kultur durch ihre Verwandlung in eine brutale Wirtschaftsmacht

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Es ist ein merkwürdiger Hybrid, den Ciro Guerra auf sein oscarnominiertes Urwaldabenteuer »Der Schamane und die Schlange« folgen lässt, nun gemeinsam mit Cristina Gallego inszeniert, die zuvor als Produzentin firmierte: »Birds of Passage« beginnt wie ein ethnographisch geprägtes Liebesdrama bei den Wayuu, dem größten indigenen Stamm im Norden Kolumbiens, entwickelt sich dann aber rasch zu einer Gangstersaga, die Motive des Paten oder der Scorsese-Epen aufgreift – eine ­mörderische Geschichte um Gier und Macht und deren Zerstörungskraft.

In mehreren Kapiteln mit Titeln wie »Wildes Gras« oder »Die Gräber« zeichnet der Film die Entstehung der kolumbianischen Drogenkartelle durch den Marihuana­handel nach. Etwa eineinhalb Jahrzehnte lang ab 1968 führt der Weg von einfachsten Hütten und archaischen Ritualen zu modernen Villen, teuren Autos und waffenstarrenden Leibwächtertrupps. Und dieser Weg wirkt so zwingend, als erzählte der Film von den Anfängen der Fliegerei oder den ersten ­Computern.

In einer Wüstengegend feiert zu Beginn des Films ein Wayuu-Clan das Ende des »Jahrs der Abgeschiedenheit« der jungen Zaida, die damit zur Frau geworden ist. Ein Gast der Feier ist der entfernte Verwandte Rapayet, und der setzt sich spätestens beim Tanz mit Zaida in den Kopf, sie zu heiraten. Deren Mutter Ursula, die als Matriarchin die Familiengeschicke lenkt, sieht ihn allerdings nicht als standesgemäßen Bräutigam an und verlangt ein viel zu hohes Brautgeld. Es ist dann ein Zufall, der Rapayet auf die Idee bringt, wie er die Summe zusammenbekommt: Einige Gringos des »Peace Corps« würden gewisse Mengen Marihuana kaufen, um es in die USA zu schmuggeln. Und da gibt es doch noch diesen Familienzweig in den Bergen, der das Zeug anbaut und dem Rapayet und sein Kumpel Moisé 50 Kilo zu günstigen Konditionen abkaufen können …

Aus diesen simplen familiären und ­geschäftlichen Konstellationen entwickeln sich alle folgenden Konflikte, erwächst ein Drama von mörderischer Dynamik. Rapayet und Zaida heiraten, und weil es doch so super funktioniert und Geld gebracht hat, werden aus dem einen, mit Marihuana ­beladenen Esel für die Gringos zunächst immer längere Eselskarawanen, dann gut bewachte Kolonnen von Pick-up-Trucks. Der Handel floriert, Gras und Geld fließen reichlich, doch da Moisé der schnelle Reichtum zu Kopf steigt, zeigt sich bald die blutige Kehrseite des Erfolgs. Zwischen den Clans flammen Konflikte auf, die der um Ausgleich bemühte Rapayet immer weniger in den Griff bekommt.

Die Familie geht über alles. Dieser Grundsatz, der zu Beginn in einem Kontext der Tradition, eines Lebens mit Weissagungen und Geistern, mit Talismanen und prophetischen Träumen geäußert wird, reduziert sich irgendwann auf einen starren Begriff von Familienehre, die es mit allen Mitteln zu verteidigen gilt.

»Birds of Passage«, der offensichtlich auf genauer Kenntnis der Traditionen der Wayuu beruht und auch durch seine Besetzung mit vielen Laien neben den Profischauspielern authentisch wirkt, zeigt den Wandel von deren Welt in vielen wie beiläufigen Momenten. Die Korruption durch Geld und Macht zeichnet sich äußerlich in der Veränderung der Häuser, der Kleidung und Accessoires ab, des gesamten Habitus der Protagonisten, äußert sich aber auch im immer sinnleerer wirkenden Festhalten an althergebrachten Regeln und im Verlust der Verbindung zur spirituellen Welt: Die Träume sprechen nicht mehr zu den Menschen, sie bleiben so stumm wie die ominösen Vögel, die unheilkündend durch einige Szenen stapfen. »Wir haben die Seele ver­loren – niemand beschützt uns mehr«, heißt es irgendwann.

Man könnte nun »Birds of Passage« eine etwas einfach gestrickte Moral vorwerfen, in deren Logik die unschuldige indigene Kultur vom Kapitalismus und dessen Virus grenzenloser Gier zerstört wird. Aber ganz so leicht macht es sich der Film nicht, er zeigt nämlich auch, wie viel Gewaltpotenzial bereits in den archaischen Denk- und Machtstrukturen angelegt ist. Schade ist allerdings, dass die Figur der Zaida, die anfangs als eine Hauptfigur etabliert wird, im Lauf der Geschehnisse weitgehend aus dem Blick gerät.

Doch die nüchterne Dynamik, mit der Gallego und Guerra die immer weiter in blutigen Wahnsinn driftende Familiengeschichte erzählen, indem sie sie in prägnante Ellipsen und klare, dramatische, oft an Western erinnernde Bilder fassen – das ist ungeheuer spannend. Und die poetische, unaufdringliche Eleganz, mit der in dieser Erzählung Archaisches, Modernes und zeitlos Menschliches ineinanderfließt, ist ein­zigartig.

Meinung zum Thema

Kommentare

das ist eine sehr ärgerliche und schwurlige rezension des filmes. kein erläuternder kommentar zu den "peace corps" - schon WIKIPEDIA als filter informiert:"„Das Programm entstand in Folge des Kalten Krieges und diente im Ost-West-Konflikt dem Ziel, der chinesischen und sowjetischen Einflussnahme auf andere Staaten etwas entgegenzusetzen..." kolumbien wird und wurde eben als "hinterhof der usa" betrachtet. und dann diese chupze, die im film gezeigte broschüre “Di no al comunismo” in der rezension zu unterschlagen, welche die botschaft des beginns dieses kolumbianischen dramas dokumentiert. und dann, bitte es ist so, schwafelt der rezensent von "einfach gestrickte(r) moral" des filmes. und dann noch dieser herablassende kommentar, der film beruhe "offensichtlich auf genauer kenntnis der traditionen der wayuu". ja geht es noch! der rezensent sollte sich auf den hosenboden setzen und zumindest diese rezension zur kenntnis nehmen:
https://www.lacoladerata.co/cultura/relatos/beberas-de-tu-sangre/
so wie in epd/film 4/19 geht es jedenfalls nicht.
b. behrend

Ärgerlich sind eher solch dahingeschmierten Kommentare.

solche lustigen Kofferwort-Namen, jaja, Jezebel and the freedom fighters...

... dass ich dein Humorzentrum getroffen habe.

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