Kritik zu Baden Baden

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In Rachel Langs so radikalem wie poetischem Spielfilmdebüt lässt sich eine ­scheinbar ambitionslose junge Frau einen Sommer lang durch Straßburg treiben

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Ana hat die Orientierung verloren. Das ist offensichtlich. Die Unsicherheit, die in ihrem Blick liegt, spricht Bände. Lange dauert es nicht mehr, und sie verliert ganz die Nerven. Doch dann kommt endlich der erlösende Moment. Die junge Frau, die als Fahrerin für eine Filmproduktion jobbt, ist endlich am vereinbarten Ort angekommen. Nur sind sie und ihr Fahrgast Lois, der Star des Films, viel zu spät dran. Also schreit der Produktionsleiter Ana voller Wut an und macht sie so lange herunter, bis ihr die Tränen über das Gesicht laufen. In diesem Augenblick findet sie nicht einmal mehr den Rückwärtsgang und zieht noch mehr Zorn auf sich. Die ganze Zeit über bleibt die Kamera ganz nah an der 26-Jährigen dran und hält einfach ihr Scheitern fest.

Diese ersten Minuten von Rachel Langs Spielfilmdebüt »Baden Baden« haben etwas Erdrückendes. Sie brennen sich dem Betrachter regelrecht ein. Der unerbittliche Blick der Kamera und die Nähe zu Ana schaffen eine klaustrophobische Atmosphäre. Die ganze Situation ist verstörend. Man möchte sich ihr entziehen und kann es doch nicht. Salomé Richards Gesicht und ihre Tränen, ihre Verzweiflung und ihre Stärke, die trotz allem durchscheint, nehmen einen gefangen. Wenn Rachel Lang schließlich einen befreienden Schnitt setzt und damit ihre Protagonistin ebenso wie den Zuschauer dieser alltäglichen Hölle entreißt, gibt es kein Zurück mehr: Anas charmante Richtungslosigkeit und ihre tiefe Einsamkeit haben sich auf den Betrachter übertragen. Er wird zu ihrem Begleiter, der stets mit ihr um etwas Halt und Liebe ringt und doch nicht weiß, wo er sie finden soll.

Eine Geschichte im klassischen Sinn erzählt Rachel Lang nicht. Als Anas Großmutter nach einem Sturz in ihrer Wohnung ins Krankenhaus kommt, setzt sie sich zwar das Ziel, deren Badezimmer zu renovieren. Aber die Entschlossenheit, mit der sie an dieses Vorhaben herangeht, unterstreicht nur den Eindruck, dass sie sonst kaum weiß, was sie will. Also lässt sich »Baden Baden« ebenso treiben wie diese junge Frau, die nicht von ihrem Exfreund, dem selbstverliebten Künstler Boris (Olivier Chantreau) loskommt, aber bei Gelegenheit auch mal mit ihrem besten Freund Simon (Swann Arlaud) schläft. Ständig erlebt sie berufliche und amouröse, familiäre und gesellschaftliche Niederlagen. Aber nichts davon wirft sie um.

Anas zielloses Hin und Her ist letztlich eine Form von Auflehnung gegen die Erwartungen der Gesellschaft. Und genau so hat auch Rachel Lang ihren Erstling in Szene gesetzt. Straßburg, Anas Heimatstadt, wirkt in Langs Film kalt und technokratisch. In dieser Stadt kann jemand wie Ana nicht heimisch werden. Der einzige Ausweg, der bleibt, ist ein Bekenntnis zur Ungewissheit, die bewusste Weigerung, sich einzufügen. »Baden Baden« wird mit seinen spröden Bildern und seiner mäandernden Erzählweise zu einem faszinierenden Störkörper in der europäischen Filmlandschaft. Wie Ana fügt sich Langs Vision eines anderen, widerständigen Erzählens nicht ein, und wie Ana verdient auch sie größte Hochachtung.

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