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Groß, größer, Nolan: Mit seiner neuzeitlichen Odyssee im Weltraum peilt der Starregisseur nach der »Dark Knight«-Trilogie nun nichts weniger als den ultimativen Science-Fiction-Film an. Der phasenweise brillante Trip in eine andere Galaxie wirkt allerdings reichlich überfrachtet
Die erste Überraschung, gleich zu Beginn: Der Anfang ist ein richtiger Anfang. Christopher Nolan, für gewöhnlich kein Freund der klassischen Dramaturgie, steigt diesmal mit einer ziemlich konventionellen Exposition ins Geschehen ein. Also kein irritierendes Verwirrspiel wie in Memento, Prestige, Inception, sondern eine geradlinige Annäherung an die »gewohnte Welt«. Und die besteht zunächst einmal aus einer abgelegenen Farm irgendwo im Mittleren Westen, endlosen Maisfeldern und sehr viel Staub. Wir sind irgendwo in der nicht allzu weit entfernten Zukunft, an dem Punkt, wo die Krise in die Apokalypse umzuschlagen droht: Den Menschen geht die Nahrung aus, und die Natur holt sich den Planeten zurück. Wer noch arbeiten kann, wie der Expilot Cooper (Matthew McConaughey), steht auf dem Feld und baut die letzten Pflanzen an, die überhaupt noch wachsen.
Die zweite Überraschung: Die Exposition mag und mag kein Ende nehmen. In aller Seelenruhe etabliert Nolan das innige Vater-Tochter-Verhältnis zwischen Cooper und der niedlichen Murph (Mackenzie Foy), die einen Poltergeist hinter ihrem Bücherregal vermutet. In diesen Minuten sieht Interstellar tatsächlich aus wie der Steven-Spielberg-Film, der er vor Jahren beinah geworden wäre: Familienkino zum Staunen, groß und aufwändig gemacht, aber im Kern doch vor allem gefühlvoll. »Ich kann auch anders«, scheint Nolan hier wie Murphs Geist zwischen den Bildern zu kommunizieren, ich bin nicht nur der König von Technokratie, Drehbuchraffinesse und Bombast, als der ihr mich alle anbetet, sondern auch – ein großer Erzähler.
Tatsächlich wird sich der ruhige Beginn sehr viel später, in den letzten der prall gefüllten 169 Minuten von Interstellar, auf durchaus verblüffende Weise auszahlen. Ohne ihren schlichten emotionalen Unterbau würde die komplexe Raumfahrer-Story deutlich kälter und abstrakter wirken, als sie es ohnehin schon tut. Irgendwann also steht Cooper schließlich doch in einer streng geheimen, unterirdischen Raketenabschussbasis (soweit ist es gekommen: die NASA als Untergrundorganisation) und repräsentiert die letzte Hoffnung der Menschheit. Er soll den Flugkörper durch ein Wurmloch in eine andere Galaxie befördern und dort ein neues Zuhause für die Erdenbürger finden.
Und das wird, in gleich mehrfacher Hinsicht, ein Rennen gegen die Zeit. Denn nicht nur kostet es Zeit, die ungeheuren Distanzen im Weltraum zurückzulegen – zwei Jahre allein bis zum Saturn, vor dessen majestätischem Ring das Wurmloch womöglich von einer außerirdischen Spezies platziert wurde. Die Zeit vergeht im All auch relativ gesehen langsamer – so dass die Menschheit am Ende von Coopers Mission vielleicht längst ausgestorben sein wird.
Nolan setzt Coopers Trip als große Weltraumoper in Szene und erweist sich dabei wie gewohnt als grandioser Handwerker, der meisterhaft mit Bildern und Bilderrhythmen umzugehen weiß. Die Szenen sind, unterstützt von Hans Zimmers manchmal etwas zu penetrantem Orgel-Score, abwechselnd elegisch wie bei Kubrick, packend wie bei Lucas, realistisch wie bei Cuarón, und selbstverständlich kann sich Nolan wie in jedem seiner Filme auf die Klasse eines exquisiten Ensembles verlassen, zu dem am Boden alte Haudegen wie Michael Caine und John Lithgow zählen und in der Raumkapsel jüngere Stars wie Anne Hathaway und Wes Bentley. Zugleich unternimmt die Inszenierung jeden möglichen Versuch, um das Geschehen wissenschaftlich zu grundieren: Immer wieder erklären uns die Figuren anhand von Relativitäts- und Quantentheorie, warum sich die Dinge so und nicht anders verhalten.
Das Problem von Interstellar aber liegt gar nicht so sehr in den Details, sondern eher im großen dramaturgischen Bogen, den Nolan und sein Bruder Jonathan diesmal zu sehr überfrachten. Besonders an den Schnittstellen zwischen Action und Philosophie, zwischen Sachlichkeit und Emotion, zwischen Science und Fiction knirscht es gewaltig; Nolan will sehr viel, schafft auch viel, aber fürs große Erzählen, für den ganz großen Wurf, der der Film erkennbar sein will, hätten die zahllosen Einzelteile eben doch mehr ergeben müssen als bloß ihre Summe.