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© Walt Disney

Das Musical stellt lang schon eine Verlockung für Steven Spielberg dar. Nun hat er sich den Jugendtraum erfüllt und den Klassiker von Leonard Bernstein, Jerome Robbins und Stephen Sondheim neu interpretiert

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Es braucht nur ein Augenblick, da signalisiert der Film bereits, wofür er sich entschieden hat. Er stellt sich leise vor, blendet einfach nacheinander die drei Worte ein, aus denen sein Titel besteht. Diese Zauberformel muss nicht hinausgeschrien werden, um ihre Macht zu entfalten. In der kurzen Stille liegt Magie genug.

Sie weckt klangvolle Erwartungen. Gleich wird das Pfeifen verlockend in den Straßen von Manhattan widerhallen und der Aufruhr von Leonard Bernsteins Partitur anheben als ein Sog, dem man sich schwer entziehen kann. Der Pakt ist geschlossen zwischen dem Film, seinem Stoff und den Erinnerungen des Publikums. Der diskrete Auftakt besiegelt, dass der Erzählimpuls von Steven Spielbergs Version nicht die Überbietung sein wird. Der majestätische Helikopterflug über Manhattan, mit dem 1961 die Erstverfilmung des Musicals einsetzte, braucht keine Konkurrenz.

Der Schauplatz will jetzt unter anderen Vorzeichen entdeckt werden. Die erste Kranfahrt der Kamera Janusz Kaminskis nimmt eine Abrissbirne in den Blick, die bedrohlich über einer urbanen Trümmerlandschaft schwebt. Tony Kushners Drehbuch macht die Handlung in der historischen Konkretion des Jahres fest, in dem das Musical seine Premiere feierte: 1957. Ein Plakat verspricht, dass im Jahr darauf das dicht besiedelte Einwandererviertel an der Upper West Side bereits Luxuswohnungen gewichen sein wird. Dieses Slumbereinigung auf Geheiß des New Yorker Stadtplaners Robert Moses (dem Schurken aus »Motherless Brooklyn«) ist ein frühes Beispiel der Gentrifizierung und spitzt den Territorialkampf zwischen den Jets und den Sharks noch weiter zu.

Spielbergs Neuverfilmung sieht so aus, als sei sie tatsächlich in dieser Zeit gedreht worden. Die Farben der Dekors, Kostüme und Autos leuchten wie einst in Eastmancolor. Die Kamera macht sich die Entdeckerfreude des frühen Breitwandkinos zu eigen, dynamisiert die Geschehnisse mit ausdrucksvollen Auf- und Untersichten. Die Charaktere müssen keine Figuren von heute werden. Gewiss, ihre Dialoge wurden sacht politisch entstaubt, aber ihre romantische und eben auch zerstörerische Verve gehorcht noch dem patriarchalen Ehrgefühl und Rassismus der 1950er Jahre. Kushner und Spielberg vertrauen auf ihre kinetische Aktualität; ihre gegenwärtige Relevanz ist ein verzagter Hintergedanke. Sie besinnen sich auf das, was 1957 und seither die Faszination der »West Side Story« ausmachte: die urbane Modernisierung von Shakespeares »Romeo und Julia«, die dem Musical soziale Dringlichkeit verlieh.

Es ficht sie nicht an, dass sich das Genre seitdem diversifiziert hat. Kushner und Spielberg kehren entschieden zum Original zurück. Sie überdenken die Vorlage als einen Klassiker, mit dem sie sich aus einer je persönlichen Perspektive heraus auseinandersetzen. Spielberg erfüllt sich mit diesem Film den langgehegten Traum, endlich ein Musical zu inszenieren; es ist seine lebhafteste Regiearbeit seit langem geworden. Raum, Zeit und Darsteller entfesselt er mit einem Elan, der nicht nur aus den Kinoerinnerungen seiner Kindheit gespeist ist, sondern eine enorme Unmittelbarkeit gewinnt. Kushners Drehbuch nimmt behutsame Umdeutungen gegenüber Arthur Laurents Libretto vor, die plötzlich ganz neue Sichtweisen eröffnen. Manchmal genügt es schon, wenn er ein Lied einer anderen Figur in den Mund legt. »Somewhere« wird im Stück von einer jungen Puerto Ricanerin gesungen, deren flehentliche Zeile »A place for us« die Hoffnung auf ein Ankommen in den USA ausdrückt. Im Film von 1961 ist es ein Sehnsuchtsduett des Liebespaares Maria und Tony. 2021 jedoch wird es zum Klagelied der sturmerprobten Ladenbesitzerin Valentina, die am Ende nicht mehr an eine Aussöhnung glauben mag. Die Wirkung ist niederschmetternd, denn sie war die einzige Erwachsene im elternlosen Universum dieses Films, die verstand, was Fürsorge und Heimat bedeuten.

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